Dubcek setzt auf Westintegration

Sacharow-Preis-Verleihung in Straßburg / Prager Regierung arbeitet an Memorandum CSSR-EG und will in den Europarat / Delors und Kohl halten Assoziierungsverträge für möglich  ■  Aus Straßburg Thomas Scheuer

Sinnieren über die europäische Integration war gestern mehrfach angesagt: Alexander Dubcek und Jacques Delors äußerten sich in Straßburg, Helmut Kohl setzte abends in Paris nach. Alexander Dubcek, Leitfigur des Prager Frühlings von 1968 und mittlerweile wieder Präsident der tschechoslowakischen Bundesversammlung war nach Straßburg gereist, um den Sacharow-Preis des Europäischen Parlamentes entgegenzunehmen.

Mit dem Preis ehrt das Parlament Menschen, die sich durch ihren Einsatz für die Menschen- und Freiheitsrechte ausgezeichnet haben. Das EP hatte sich Dubcek als dritten Preisträger - nach Nelson Mandela und Anatoli Marchenko übrigens schon vor der Wende in Prag - ausgeguckt.

Auf einer anschließenden Pressekonferenz von Journalisten auf seine europapolitischen Vorstellungen abgeklopft, kündigte Dubcek an, sein Land wolle „den Weg der Gemeinschaftlichkeit in Europa“ einschlagen. So werde sich die CSSR bald um die Mitgliedschaft im 23 Staaten umfassenden Europarat bewerben. Ferner wolle Prag sich um eine Annäherung an die EG, über eine Assoziierung bis hin zur Mitgliedschaft, bemühen. Letztere bezeichnete Dubcek als „eine Frage der Zeit“. Die Prager Regierung arbeite derzeit an einem Memorandum über das Verhältnis zwischen CSSR und EG.

In krassem Gegensatz zu solchen Liebäugeleien hatte EG -Kommissionspräsident Jacques Delors erst knapp zwei Stunden zuvor, bei der Vorstellung seines Arbeitsprogrammes für 1990, EG-Vollmitgliedschaften osteuropäischer Länder eine klare Absage erteilt: „Hüten wir uns vor übereilten Hoffnungen“, warnte Delors unter Verweis auf Spanien und Portugal. Deren Beitritt waren immerhin sieben Jahre zäher Verhandlungen vorausgegangen.

Delors bezweifelte, daß die osteuropäischen Länder „politisch und wirtschaftlich für eine pluralistische Demokratie und für die Marktwirtschaft gerüstet“ seien; auf einem gemeinsamen Markt hätten deren „unzureichend vorbereitete Wirtschaftssysteme in den nächsten Jahren kaum Chancen“. Als „denkbare“ Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit nannte Delors „entsprechend angepaßte Assoziierungsverträge“ samt bei Bedarf zu gründender gemeinsamer Instanzen.

Als „Sonderfall“ bezeichnete Delors allerdings die DDR: „Sie hat ihren Platz in der Gemeinschaft, falls sie dies wünscht.“ Deren Sonderstatus sei schon 1957 im Rahmen der römischen EG-Gründungsverträge durch ein Protokoll über den innerdeutschen Handel begründet worden.

Solches war natürlich Musik in Helmut Kohls Ohren: In einer Rede vor dem französischen Institut für internationale Beziehungen am Mittwoch abend in Paris dankte der Kanzler Delor ausdrücklich für dessen DDR-Exkurs vom Vormittag, und auch dessen Assoziierungsoption fand seinen Beifall: Es sei „in der längerfristigen Perspektive“ über Formen der Assoziierung nachzudenken, die die osteuropäischen Länder „möglichst nah an die EG heranführen müssen“. Kohls Rede war erneut von dem Bemühen geprägt, französische Ängste vor einer Verschiebung des bisherigen EG-Machtzentrums weg von der Achse Paris-Bonn nach Osten zu beschwichtigen. Frankreich und Deutschland gemeinsam, so Kohl, sollten der Motor für die Kooperation der EG mit Osteuropa sein.