Späte Premiere

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(Und der Mensch lebt auf der Erde, 17.1., 20.45 Uhr, DDR 2) Alles Glück der Erde läge auf dem Rücken der Pferde, meinten einige Mitglieder der Tierproduktions-LPG im sächsischen Dörfchen Meltewitz, die sich in ihrer Freizeit mit Hingabe dem erhabenen Reitsport widmeten. Doch solche Geständnisse, noch dazu vor laufender Kamera, galten 1982 in der DDR immer noch als staatsfeindlich und durften keinesfalls im Fernsehen gesendet werden.

Diese bittere Erfahrung machten die beiden Defa-Regisseure Wolfgang Schwarze und Gitta Nickel, die damals vergeblich um die Ausstrahlung ihres Dokumentarfilms stritten. Dabei hatten sie doch nur mit ihrem Film Und der Mensch lebt auf der Erde ein vielschichtiges Bild des Lebens in einem landwirtschaftlichen Kollektiv aufzeichnen wollen.

Die Meltewitzer Bürger, durch eine jahrhundertelange bäuerliche Struktur geprägt, sprachen über ihre Erfahrung mit der Kollektivierung der Landwirtschaft. Die Verstaatlichung hat dem einzelnen mehr Freiheit, d.h. Freizeit beschert. Doch durch die Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion verloren die einzelnen LPG-Mitglieder das Gefühl für die Gesamtverantwortung. Der Fahrer der Pflanzen -LPG hört eben nicht das jämmerliche Gebrüll der Kühe und Schweine, wenn er die Futtermittellieferung zu spät bringt.

Die Männer machen praktische Verbesserungsvorschläge, ohne daß jemals eine Spur von Staatsverdrossenheit durchdringt. Doch schon dieser Anflug von selbstbestimmter Haltung war den Herrn Zensoren von der Abteilung Publizistik zuviel. Die Bauern sprachen mit sehr viel Liebe über „ihr“ Dorf, über das Festhalten an alten Traditionen, zu denen es auch gehört, einmal im Jahr eine Fuchsjagd zu Pferde durchzuführen. Gerade diese Szene - die Dokumentaristen hatten stimmungsvolle Bilder der galoppierenden Jagdgesellschaft gezeigt - waren den Fernsehverantwortlichen ein Dorn im Auge. Das Pferd als Inbegriff des verderbten, nutzlosen Feudalsystems! Statt dessen hätten sie besser den Schweinemastbetrieb loben sollen.

Jetzt erhielt Gitta Nickels und Wolfgang Schwarzes Werk eine verspätete Würdigung. Das DDR-Fernsehen sendete die poetische Dokumentation am Mittwoch abend mit anschließender Diskussion mit den Meltewitzer Bürgern.

Der couragierte Bürgermeister hatte sich trotz zahlreicher Repressionen durch die SED-Kreisleitung niemals zu einer Distanzierung gegenüber der damals von ihm gemachten Äußerungen zwingen lassen. So ist der Film ein frühes Zeugnis für den beharrlichen Demokratisierungswillen der DDR -Bevölkerung und gleichzeitig ein später Abgesang auf die erstarrte SED-Politik.

utho