Über den Gebrauch gemeiner Wörter

■ Bertolt Brechts und Elfriede Jelineks Suchbewegungen nach Sprachen der Lust

Sabine Kebir

Elfriede Jelinek hatte einen „weiblichen Porno“ schreiben, das heißt weibliche „Lust“ in Wörter bringen wollen. Bei dem Versuch kam schnell heraus, daß die Sprache der „Lust“ so männlich besetzt ist, daß das Unterfangen schier unmöglich zu sein scheint. Sie schrieb dann etwas, was man unter Umständen zwar als Porno ansehen kann, aber doch eben nur das ewige männliche Lied von der Lust an der Quälerei des Weibes ist. Sie hofft, daß sich die Leser nicht nur einfach aufgeilen , sondern „blaß“ werden beim Lesen und denken: Ja, so ist es, unser beschissenes Patriarchat.

Der Vorgang erinnerte mich an ähnliche Bemühungen von Bertolt Brecht, der in der Angelegenheit freilich keinen Frauenbonus für sich in Anspruch nehmen konnte. Seine Versuche aus den zwanziger Jahren, die sexuelle Brutalität, die zwischen Männern und Frauen herrscht, im Stile der Neuen Sachlichkeit darzustellen, wurden bislang nicht nur als Männerpornographie angesehen, sondern auch als zynische autobiographische Reminiszenz - da sie zum Teil in der Ich -Form abgefaßt sind:

Sonett über einen durchschnittlichen Beischlaf

Bis ich dich endlich übern Stuhl habe

Hoff ich, du seist endlich die ausgesiebte

Und etwas nässer als die, die ich liebte.

(Es pflanzt die Hoffnung, ach, uns noch am Grabe!)

Ich seh: es geht. Ich hoffe: nicht zu schnell!

Von nun an denk ich immer nur an i h n!

(Gut: weniger Lieb und weniger Vaselin)

Dafür bricht der jetzt Schweiß aus ihrem Fell!

Ach, du verglichst mich schon mit einem Pferde

Vor fünf Minuten! Wie ich darauf scheiße!

Dieweil ich sinne, wie ich fertig werde

Nennst du mich Emil, der ich nicht so heiße!

Dies alles ist in höhrem Sinne schnuppe

Im Schweiß des Antlitz‘ koch ich meine Suppe!

Zwar gehört es zum ABC der Literaturkritik, in der Poesie das lyrische und unwirkliche Ich des Autors nicht automatisch als identisch anzusehen. Trotzdem hat die Kritik - als 1982 erstmals die deftigen Sonette erschienen (Gedichte über die Liebe, Suhrkamp) - recht einhellig auf das „paschahafte“, „chauvinistische“, „sexuelle Machtgefühl“ des Autors kurzgeschlossen. Die Erinnerungen von Brechts großer Jugendliebe Paula Banholzer und der ersten Ehefrau Marianne Zoff (beide in: So viel wie eine Liebe, München 1981) widerlegen aber die weitverbreitete Auffassung von der Identität des jungen Brecht mit „Baal“, der in Frauen nur ein Sexobjekt sah. Der junge Brecht soll zwar ein zäher, das heißt nicht zu entmutigender Frauenjäger gewesen sein. Einmal am Ziel, war er jedoch angeblich ein durchaus aufmerksamer und zärtlicher Liebhaber. Daß die derben „Augsburger Sonette“ nicht ohne weiteres als Männerwitze einzuzordnen sind, legt auch Brechts ursprüngliche, seinerzeit aber nicht verwirklichte Publikationsabsicht nahe. Sie sollten zusammen mit anderen Sonetten über die Schrecken der Welt (Ich war von Kindheit immer für das Böse; Zur Erinnerung an den Raubmörder Josef Klein und andere) veröffentlicht werden: ein Panoptikum über den Verfall der Menschlichkeit.

Zwischen 1933 und 1935 entstand eine zweite Serie deftiger Sonette, bei denen es sich diesmal jedoch nachgewiesenermaßen um autobiographisch verankerte Liebesgedichte handelt. Sie waren der Mitarbeiterin und Geliebten Margarete Steffin gewidmet. Das Hauptmotiv dieser zweiten Serie derber Sonette ist die Verbaliserung des Liebesaktes. Brecht will Intimstes benennbar machen. Die Sprachlosigkeit, in der der Liebesakt bis heute meist noch stattfindet, war in seinen Augen Ausdruck des puritanischen Geistes, der überwunden werden müsse. Daß er sich damals für das volkstümlich-derbe Wortmaterial entschied und nicht für das allmählich in Schwung kommende (und heute florierende) wissenschaftlich-lateinische Vokabular (das zwar besser als keines ist, sich aber doch den Vorwurf eines gewissen puritanen Erbes gefallen lassen muß), dürfte nur sehr prüde Geister verwundern. Brecht ging es ja nicht um die Anhebung der kleinbürgerlichen Sexualmoral. Wie der Film Kuhle Wampe zeigt unterstützte er die sich damals in der Arbeiterbewegung artikulierende Forderung nach einer befreiten Sexualität für alle. Offensichtlich wollte er das beim einfachen Volk gebräuchliche Wortmaterial durch das Einschweißen in kunstvolle Verse aufwerten. Damit eckte er freilich nicht erst später, bei der posthumen Veröffentlichung der Gedichte, sondern auch bei Margarete Steffin selber an. Sie stammte aus der Arbeiterklasse und mochte die vulgären Ausdrücke nicht, zumal ihr Einwirken auf Brechts Schreiben das Ziel hatte, aus ihm einen „Klassiker“ zu machen. Mehrere Sonette haben die Uneinigkeit des Paares gerade in diesem Punkt zum Inhalt:

Das dritte Sonett

Als ich schon dachte, daß wir einig wären

Gebrauchte ich, fast ohne drauf zu achten

Die Wörter, welche meinten, was wir machten

Und zwar die allergemeinsten, ganz vulgären

Da war's als ob von neuem du erschrakst

Als sähst du jetzt erst, was das, was wir machten, sei

In vielen Wochen, die du bei mir lagst

Lehrt ich von diesen Wörtern dir kaum zwei.

Mit solchen Wörtern rufe ich den Schrecken

Von einst zurück, als ich dich frisch begattet.

Es läßt sich länger nunmehr nicht verdecken:

DAs Allerletzte hast du da gestattet!

Wie konntest du dich nur in so was schicken

Das Wort, für das, was du da tatst, war.

Das Verschweigen des schrecklichen Wortes, das das Reimschema freilich aufdrängt, ist ein humoriger Kunstgriff, der der Adressatin sagen will: Ist es nicht lächerlich, daß wir es nicht aussprechen? Man mag zu Brechts Versuchen, den Liebesakt zu verbalisieren, stehen wie man will, sein Grundanliegen würde heute jeder Psychologe bejahen. Daß wir nicht benennen können oder wollen, was wir doch ganz gerne tun oder tun würden, schadet der Sache selbst.

Die Ablehnung, die seinerzeit die Steffin den „Ausdrücken“ Brechts entgegbrachte, und die vergeblichen Versuche der Jelinek, aus der real vorhandenen Sprache einen weiblichen Porno zu entwickeln, weisen freilich darauf hin, daß die Sache für Frauen ganz besonders prekär steht. Das jahrhundertelang nicht nur mit dem Geruch von Kneipenobszönität behaftete, sondern auch durch die reale Brutalität des Homo masculinus belastete männliche Wortmaterial scheint für weibliche Lust unbrauchbar zu sein. Bedeutet das aber, daß sie nicht existiert und nicht irgendwann doch auch dringendst benannt werden müßte? Ein neuer Kontinent sucht seine Kolumbinen.

Vielleicht haben Steffin und Jelinek in der Tat nicht das letzte Wort gesprochen. Im Zuge zunehmender sexueller Emanzipation sind in der Tat weibliche Erfindungen auf diesem Gebiet zu erwarten und/oder schließlich und endlich vielleicht auch ein etwas milderer Blick auf die scheußlichen Wörter. In diese Richtung weist das Sonett der Dichterin Ingeborg Arlt aus Brandenburg, das als Antwort auf eines der Augsburger Sonette gedacht ist. Zunächst Brecht:

Sonett Nr. 15

Über den Gebrauch gemeiner Wörter

Mir, der ich maßlos bin und mäßig lebe

Gestattet, Freunde, es euch zu verweisen

Mit rohen Wörtern so um euch zu schmeißen

Als ob es daran keinen Mangel gäbe!

Beim Vögeln können Wörter Lust erregen:

Den Vögler freut es, daß das „vögeln“ heißt

Wer mit dem Wort zum Beispiel um sich schmeißt

Soll sich auf löchrige Matratzen legen.

Die reinen Vögler sollte man nur henken!

Wenn sich ein Weib mitunter auspumpt: gut.

Den Baum spült sauber keine Meeresflut!

Nur nicht dem Geiste eine Spülung machen!

Die Kunst der Männer ist's: vögeln und denken.

(Der Männer Luxus aber ist's: zu lachen.)

Ingeborg Arlt kritisiert natürlich die überzogene Männlichkeitspose des Sonetts, stimmt seiner Grundforderung dann aber überraschend zu:

Zu Brechts Sonett

Über den Gebrauch gemeiner Wörter

Vom Vögeln schreibt uns Brecht hier, und er denkt

Ja wahrlich schlecht nicht von der Kunst der Männer

(Die wir zu schätzen wissen): Aber wenn er

Uns keinen Luxus zuspricht - stimmt's? Das kränkt.

„Der Männer Luxus aber ist's zu lachen.“

Als würden uns, wenn wir die Beine spreizen,

Nicht auch gelegentlich die Wörter reizen,

Als würden wir uns deshalb Sorgen machen!

Und überhaupt: Nicht Wörter sind gemein.

Was immer auch uns naß macht - es ist gut.

Gemein ist's, wird kein Geist uns zugeschrieben.

Doch könn'n wir denken, könn'n wir auch verzeihn.

Und schließlich ist der Menschen Luxus: lieben.