Vom Drogenkrieg zur Legalisierungs-Debatte

Historische Entwicklungen halten sich nur selten an willkürliche Festlegungen wie den Gregorianischen Kalender. Und doch wünschte manch ein Kolumbianer am vergangenen 31.Dezember gerade dies: Mit den 90er Jahren sollte alles anders und die Schrecken der 80er Jahre vergessen werden. Die Rückblicke in der Presse auf das zurückgelassene Jahrzehnt riefen noch einmal alles in Erinnerung: Krieg gegen die linke Opposition, die Amokläufe der Guerilla, die Skrupellosigkeit der Kokainbarone. Letztere waren es, die Mitte August 1989 den beliebtesten Politiker des Landes hatten ermorden lassen. Sie entfesselten im Zuge des Drogenkrieges eine Kampagne des Bombenterrors, die erstmals auch die Bevölkerung in den Großstädten in Angst und Schrecken versetzte.

Während die Sprengsätze explodierten, schien das ohnehin labile kolumbianische Staatsgebilde gänzlich auseinanderzufallen: Die Justiz war dem Terror ausgeliefert, ebenso die Presse, der Kongreß gab Forderungen der Kokainbarone nach, die Regierung schien machtlos. Derweil blickte - trotz der schon seit Jahren wütenden Gewalt - die Weltöffentlichkeit erstmals auf das südamerikanische Land. Einer der Gründe für das massive Interesse der internationalen Presse: Ronald Reagans kommunistisches „Reich des Bösen“ zerfiel, die „bösen Reichen“ des Drogenhandels mußten für ein neues Feindbild herhalten. Blutrünstige Gauner, unschuldige Opfer und unerschrockene Strafverfolger: all das paßte zudem bestens in publikumswirksame Revolverblatt-Schemata. Das weltweite Interesse wurde der zentralen Bedeutung des Kokainhandels in der kolumbianischen Krise gerecht - aber leider nicht ihrer Komplexität.

Angebot und Nachfrage

Solange die Nachfrage nach Kokain bei Millionen Konsumenten in den USA und Europa besteht, heißt es in Kolumbien immer wieder, wird nach den Regeln der Marktwirtschaft auch weiterhin für das Angebot an Rauschgift gesorgt - trotz aller Versuche, den Kokainhandel zu unterbinden.

Der Drogenkrieg hat dem mächtigen Kokainverteilerring von Medellin stark zugesetzt: einer der Anführer, Gonzalo Rodriguez Gacha, wurde erschossen, elf Mitglieder aus der zweiten Reihe an die USA ausgeliefert und Besitztümer im Wert von geschätzten 250 Millionen Dollar beschlagnahmt. Die Entführung Ende Dezember von über zwanzig Industriellen oder ihrer Verwandten - unter ihnen auch der Sohn des Privatsekretärs des Präsidenten Virgilio Barco - zur „Finanzierung des Krieges gegen die Oligarchie“ könnte nach einer solchen Bilanz eher als Akt der Verzweiflung, denn als Machtbeweis des Medellin-Kartells ausgelegt werden. Doch selbst wenn die kolumbianischen Drogenhändler derzeit tatsächlich bedrängt sind, kommt der Kokainfluß nicht zum Erliegen, wie der Großhandelspreis für das Kilogramm Kokain auf dem US-Markt zeigt: War er zu Beginn des Drogenkrieges auf 15.000 bis 20.000 Dollar geschnellt, ist er inzwischen wieder auf „normale“ 10.000 bis 12.000 Dollar gefallen. Kokain gibt es weiter in Hülle und Fülle, das Geschäft läuft prächtig.

Ein labiler Kompromiß

Was aber tun, wenn die Repression keinen Erfolg verspricht? Um dem Bombenterror ein Ende zu bereiten, plädieren viele für einen Dialog mit den Kokainbossen. Präsident Barco jedoch wird bis zum Ende seiner Amtszeit bestimmt nicht verhandeln: zu verhärtet sind die Fronten zwischen ihm und den Drogenbossen, zu stark seine internationalen Verpflichtungen. Da hätte sein Nachfolger, wie immer er auch heißen mag, eine freiere Hand - vorausgesetzt, die USA ließen ihm dazu den nötigen Spielraum - und die jüngsten Versuche einer Seeblockade Kolumbiens durch US -Flugzeugträger stimmen da skeptisch. Ansonsten könnte der neue Präsident nämlich genau das tun, was bislang alle kolumbianischen Regierungen seit dem Beginn des Kokainbooms Anfang der achtziger Jahre getan haben: einen stillschweigenden Kompromiß mit den zum Machtfaktor gewordenen Kokainbaronen suchen. Doch die letzten Jahre haben gezeigt, daß solche labilen Kompromisse auf längere Sicht weder das Geschäft noch die Gewalt verhindern können.

Ein heikles Thema: Legalisierung

Einen wirklichen Ausweg aus der Drogenkrise könnte nur die Legalisierung des Kokains bieten. Und das ist ein heikles Thema. Öffentlich traut sich momentan kaum ein Politiker, auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Zu groß ist das politische Risiko, bei derartigen Erklärungen den Eindruck des Liebäugelns mit der Drogenmafia zu hinterlassen. In privaten Gesprächen dagegen ist die Möglichkeit einer Legalisierung in aller Munde und findet nur wenige Widersacher.

Auch die Kokainbarone beschäftigen sich seit neuestem mit dem Thema. „Über die Legalisierung soll geredet werden“, schrieb in ihrem letzten Kommunique ein Zusammenschluß von Mafiosi, die „Gruppe der Auslieferbaren“, „denn 40 Millionen Nordamerikaner haben schon legalisiert“. Daß ausgerechnet die Kokainbarone, nach einer beispiellosen Kampagne des Bombenterrors, auf die Legalisierung des Kokains zu sprechen kommen, ist nicht ohne Tragik: Allein durch die Illegalität des Kokains ist die kolumbianische Drogenmafia zu dem geworden, was sie heute ist.

Das hängt in erster Linie damit zusammen, daß ein illegales Geschäft oft rentabler ist als ein legales. Für die zur Produktion von einem Kilo Kokain notwendige Kokapaste zahlt der kolumbianische Drogenbaron an die 2.250 Dollar. Der Großhandelspreis in den USA fluktuiert derzeit zwischen 10.000 und 20.000 Dollar, erreichte in den Pionierzeiten des Kokainbooms aber auch schon einmal 50.000 Dollar. Werden die Kosten des Kokainbarons - Labor, Transport, Schmiergelder abgezogen, bleibt auf jeden Fall eine hohe Gewinnspanne. Die Gewinne und der milliardenschwere Umsatz sind durch die Illegalität bedingt: Wer im Geschäft mitmischt, riskiert Kopf und Kragen, Gefängnis und Tod. Den hohen Einsatz seines eigenen Lebens läßt sich der Drogenhändler, ganz und gar Geschäftsmann, durch hohe Einkünfte entlohnen. „Hohe Risiken entsprechen hohen Gewinnen“, lautet eine der simpelsten Regeln der Marktwirtschaft.

Die Neureichen und das Establishment

Nach Schätzungen der US-Zeitschrift 'Forbes‘ befinden sich unter den zwanzig reichsten Menschen der Welt neben Friedrich Karl Flick und Fürst von Thurn und Taxis zwei kolumbianische Kokainbarone: Pablo Escobar mit drei Milliarden, Jose Luis Ochoa mit zwei Milliarden Dollar. Zählen die Kokainbosse schon weltweit zu den Steinreichen, fällt ihr Vermögen inmitten der eher bescheidenen kolumbianischen Wirtschaft noch mehr ins Auge. Das erst durch die Illegalität des Drogenhandels ermöglichte Kapital wird auf ausländischen Banken gehortet oder daheim in legale Wirtschaftszweige investiert. Rund eine Million Hektar Land, so schätzt kein geringerer als die Weltbank, befinden sich im Besitz der Kokainhändler. Escobar und Konsorten kaufen alles auf, was zu kaufen ist: von Fußballklubs über Radiosender bis zu Industrieunternehmen.

Die etablierte wirtschaftliche Führungsschicht kann da oft nur noch klein beigeben. Dort, wo die Kokainökonomie ihre Hauptsitze hat, in den Großstädten Cali und Medellin, werden in den noblen Stadtvierteln vermehrt gute nachbarschaftliche Beziehungen gepflegt. Nicht etwa, weil die Bourgeoisie die Neureichen mit offenen Armen empfängt, sondern weil die alte Führungsschicht sich effektiv nicht gegen die Machtteilung wehren kann. Unabhängig von allen moralischen Erwägungen über die Kriminalität des Drogenhandels ist die Macht der Kokainbarone in Kolumbien zu einem so gewichtigen Faktor geworden, daß jeglicher Repressionsversuch gegen die Neureichen aussichtslos erscheint. Der Gewinn an wirtschaftlicher Macht geht dabei notgedrungen einher mit der Zunahme an politischem Einfluß: Ebenso wie die legale Industrie versucht die Mafia etwa im Kongreß ihre Interessen einzubringen - und schafft es, sie gebührend vertreten zu lassen, wie 1989 Diskussionen im Senat und im Repräsentantenhaus um die heikle Frage der Auslieferung von Kokainbaronen an die USA zeigten.

Geschäftsbedingungen in der Illegalität

Der Drogenhandel ist illegal: Es besteht also zumindest theoretisch für den Kokainbaron die ständige Drohung der Strafverfolgung. Gleichzeitig aber muß der Drogenboß, wenn er etwa eine Ladung Kokain nach Europa verschickt, eine Vielzahl von möglichen Verrätern ins Vertrauen ziehen: Handlanger, die den Transport organisieren, Polizisten, die ein Auge zudrücken, Pistoleros, die für die Sicherheit der Operation zuständig sind, Zollbeamte, die eine amtliche Bescheinigung ausstellen müssen. Verschwiegenheit ist überall auf der Welt käuflich - umso mehr, wenn es sich um derart deftige Schmiergelder handelt, wie die großzügig ausgestreuten Kokaindollars. Von den traditionellen Parteien über die Kirche bis hin zur Guerilla: In Kolumbien hat so gut wie jeder einmal Geld von der Drogenmafia empfangen. Die Illegalität des Geschäftes bedingt die Korruption einer ganzen Gesellschaft. Die konkrete Alternative lautet zumeist: Entweder ihr laßt euch bestechen oder wir bringen euch um.

Denn das Kokaingeschäft entfesselt ein ungeheures Gewaltpotential, das sich zu den althergebrachten Problemherden der kolumbianischen Gesellschaft - der staatlichen Repression und dem Kampf der Guerilla - gesellt. Auch die Gewalt entspringt, wie die hohen Gewinne und die Korruption, der Illegalität des Drogenhandels. Verkauft ein Möbelfabrikant auf Anzahlung ein Dutzend Stühle, kann er sicher sein, vor einem Gericht klagen zu können, falls der Käufer den Zahlungen nicht nachkommt. Verkauft ein Drogenhändler dagegen eine Tonne Kokain an einen Kollegen, der noch schnell eine Flugzeugladung zusammenstellt, kann er nicht auf eine vertragliche Zusicherung oder einen eventuellen Gerichtsprozeß rechnen. Da das Geschäft illegal ist, muß er seine Interessen mit physischer Gewalt absichern: Wenn du nicht zahlst, geht es dir an den Kragen. Auf der nationalen Ebene, wo sonst mächtige Gremien die Interessen ganzer Wirtschaftszweige vom Staat einfordern, können die Kokainbarone mangels anderer Kanäle und angesichts der Illegalität des Geschäftes nur mit Mord und Bombenterror vorgehen. Die hohen Gewinne, die auf dem Spiel stehen, verringern dabei jegliche Skrupel bei der Anwendung von Gewalt. Alfred Herrhausens Ermordung, die aus gänzlich anderen Motiven erfolgte, erschütterte die Bundesrepublik. In Kolumbien fallen Jahr für Jahr reihenweise Herrhausens unter dem Kugelhagel der Drogenmafia.

Geschäftsschädigung durch Legalisierung

Wäre das Kokain legal, gäbe es heute nicht das Problem der mörderischen Gewalt und der unendlichen Macht der Kokainbosse. Der Drogenhandel könnte unter staatliche Kontrolle gestellt und die heute illegal wuchernden Gewinne kanalisiert werden. Allerdings: Bei einer Legalisierung des Kokains würde Kolumbien warscheinlich schnell aus dem Geschäft fliegen. Die kolumbianischen Drogenhändler sind weniger Kokainproduzenten als für die Verarbeitung und den Vertrieb des Rauschgiftes verantwortlich. Zwar wird auch in Kolumbien Koca angebaut, aber es wachsen nicht die hochwertigen Varianten des Kocastrauchs der südlichen Anden. Bei einer Legalisierung könnten Peru und Bolivien direkt exportieren und getrost auf die Vermittlerdienste der Kolumbianer verzichten. Da Kolumbiens Wirtschaft nicht allein auf der Kokainökonomie basiert, wäre der Devisenverlust wahrscheinlich zu verkraften, zumal er sicher der gegenwärtigen Krise vorzuziehen ist.

Eine internationale Debatte steht aus

„Die intensive Debatte über die Notwendigkeit einer Umorientierung der Politik gegen die Drogenmafia ist ein Fortschritt, den wir alle anerkennen und fördern müssen.“ Wer da im Juni 1988 auf eine lebhafte Legalisierungsdebatte in den USA einging, war kein geringerer als Präsident Virgilio Barco. Der jetzige Feldherr im Drogenkrieg damals weiter: „Die Alternativen werden nur dann wirklich effektiv sein, wenn alle in das Netz der Produktion, der Weiterverarbeitung, des Transports und des Konsums verwickelten Länder sich zusammen an einen Tisch setzen, um pragmatisch darüber zu diskutieren, was getan werden kann und wie es getan werden soll.“ Präsident Barco sprach damals aus, was heute in der kolumbianischen Legalisierungsdebatte feststeht: Auf jeden Fall müßte jegliche Lösung weltweit akzeptiert werden. Nicht auszudenken, was geschehen könnte, wenn Kolumbien einseitig den Kokainhandel legalisiert: Schon jetzt wird das Land in der Weltöffentlichkeit mit unverhohlener Skepsis betrachtet - bei einer Legalisierung würde es endgültig zum Paria degradiert werden. Allein die wirtschaftlichen Sanktionen könnten Kolumbien binnen Kürze in den Ruin stürzen.

Ob es eines Tages zu einer Legalisierung kommen wird, hängt davon ab, wie der zweite Aspekt des Drogenproblems diskutiert wird: der des Konsums. Hierbei handelt es sich um eine Debatte, die in erster Linie in den Industrienationen geführt werden muß. Nicht, daß in Kolumbien keine Drogen konsumiert werden, aber im Vergleich zur Gewalt handelt es sich hierbei um ein zweitrangiges Problem.

Für Kolumbien ist es bald zu spät

So sind die Kolumbianer dazu verdammt, eine stockend anlaufende Debatte in den Industriestaaten abzuwarten und sich solange mit den Kokainbaronen einen blutigen Krieg zu liefern. Sollte weltweit eines Tages die Legalisierung des Kokains beschlossen werden, könnte es für Kolumbien allerdings schon zu spät sein. Beunruhigend ist, daß seit neuestem sogar die Kokainbarone eine Debatte über die Legalisierung fordern. Sie scheinen bereit zu sein, auf die Illegalität, durch die sie erst mächtig wurden, zu verzichten. Die führenden Bosse wollen ihre Milliarden in Frieden genießen. So gesehen, könnte eine Legalisierung höchstens noch verhindern, daß Nachzügler im Drogenhandel den gleichen gewalttätigen Weg gehen wie die jetzigen Bosse. Für einen solchen Ausstieg aber könnte die Zeit schon zu knapp sein. Zum einen besteht die Möglichkeit, daß der kolumbianische Drogenkrieg das Geschäft einfach auf andere Länder und andere Händler verlagert, die die gleichbleibende Nachfrage ungestörter befriedigen können. Zum anderen ist das Kokain eine Modedroge und kann durch synthetisches Rauschgift ersetzt werden. Bislang ist das „natürliche“ Kokain immer noch billiger als das chemische Gemisch. Aber das kann sich ändern. Der Legalisierungsdebatte sollten solche Aussichten keinen Abbruch tun. Selbst wenn sie für Kolumbien schon zu spät kommen sollte, würde eine Legalisierung doch verhindern, daß in absehbarer Zeit andere Staaten dazu gezwungen werden, das Feuer des Drogenhandels mit dem Benzin der Repression zu bekämpfen.

Ciero Krauthausen

Am Anfang war es nur Milton Friedman. Schon 1972 - damals hatte Präsident Nixon gerade seinen Drogenkrieg ausgerufen sprach sich der libertäre Ökonom aus Chicago und Vater des Monetarismus für eine Freigabe des Drogenhandels aus. Die Legalisierung von Drogen, so schrieb der spätere Nobelpreisträger damals im US-Magazin 'Newsweek‘, werde einen Rückgang der Kriminalität bewirken und gleichzeitig zu einer zuverlässigeren Anwendung der Gesetze führen. „Können Sie sich etwa eine andere Maßnahme vorstellen, die soviel zum Erhalt von Recht und Ordnung beitragen wird?“, fragte der Volkswirtschaftslehrer von der Chicago-School spöttisch alle diejenigen Drogenkrieger, die - wie Dick Nixon - noch daran glaubten, das ganze Drogenproblem in der Kriegspfeife rauchen zu können. Mehr als 17 Jahre später sah sich der genobelte Geldmengentheoretiker erneut gezwungen, in Sachen illegaler Drogen Stellung zu beziehen. Im Herbst 1989, einen Tag nachdem George Bush es seinen republikanischen Amtsvorgängern in naiv-gefährlichem Vertrauen auf staatliche Gewalt nachgetan und seinen eigenen Drogenkrieg ausgerufen hatte, meldete sich Friedman wieder zu Wort, diesmal im 'Wall Street Journal‘: „Jeder Freund der Freiheit“, so sorgte sich der Nobelpreisträger, „muß über die Aussicht entsetzt sein, daß die Vereinigten Staaten in ein Gefangenenlager verwandelt werden könnten.“

Legalisierungs-Lobby

im Aufwind

Diesmal steht Milton Friedman mit seinem Legalisierungswunsch nicht mehr allein. 60 Jahre nach dem Scheitern der Alkohol-Prohibition in Amerika und nach Dekaden erfolgloser Drogenbekämpfung hat die kleine, aber einflußreiche Legalisierungslobby nun eine öffentliche Diskussion über das Ritual des Drogenkriegs erzwungen. 'Newsweek‘ widmete den Legalisierern im Dezember eine Titelgeschichte, während sich das Busineß-Magazin 'Financial World‘ gar offen für ein Drogen-laisser-faire einsetzte: „Legalisierung von Drogen, das mag sich zunächst furchtbar anhören, aber am Ende einen kosteneffektiven und gangbaren Weg darstellen.“ Und auch das britische Wirtschaftsmagazin 'Economist‘ riet den Amerikanern im Kampf gegen die Sucht nach illegalem Stoff: „Mit Repression, wie hart sie auch sein mag, wird sich der Krieg gegen die Drogen nicht gewinnen lassen. Es ist Zeit, einen anderen Weg zu versuchen.“ Wie lange dieses plötzlich erwachte Interesse der US-Medien an den Legalisierungsargumenten auch immer anhalten mag, die Zeiten, in denen die Forderung „Legalize it“ nur von den Drogenfreaks aus Kalifornien erhoben wurde, sind nun wohl endgültig vorbei.

Nach dem couragierten Aufruf des schwarzen Bürgermeisters von Baltimore, Kurt Schmoke, die Gesetze zum Drogenmißbrauch zu überdenken, wagten sich in den letzten Monaten immer mehr respektierliche Persönlichkeiten mit ihrer Kritik an der Anti-Drogenstrategie der Bush-Administration in die Öffentlichkeit. „Es scheint mir“, so befand Ex-Außenminister George Shultz auf einem Vortrag an der Stanford Business School, „daß wir nichts verbessern werden, bevor wir nicht den Aspekt der Kriminalisierung aus dem Drogengeschäft herausgenommen haben.“

Und im Dezember, nach elfeinhalb Jahren sinnloser Gerichtsverhandlungen über Verstöße gegen das Drogengesetz, verlieh auch der New Yorker Bundesrichter Robert W. Sweet seiner Frustration öffentlich Ausdruck: „Der Krieg gegen die illegalen Drogen ist eine Bankrotterklärung“, kritisierte der zur Legalisierung bekehrte Robenträger die Überlastung der Gerichte mit Drogenprozessen. Drei Viertel der jährlich 750.000 Festnahmen für ein Rauschgiftdelikt erfolgen wegen Besitzes von Marihuana.

So treffen sich in der Legalisierungsbewegung heute Linksliberale und Rechtslibertäre, Drogenfreaks und Bürgermeister, Richter, Publizisten und Politikprofessoren sowie Polizisten, Ärzte und Sozialarbeiter, denen nur eines gemeinsam ist: Die Einsicht, daß Amerikas Drogenproblem nicht durch Kriminalisierung und staatliche Gewalt gelöst werden kann.

Das Ausmaß

des Drogenkonsums

Daß die Legalisierungsbefürworter jetzt in den Medien Gehör finden, ist kein Zufall. Denn nie ist das katastrophale Scheitern traditioneller Drogenbekämpfung deutlicher zu Tage getreten, als zu Beginn der 90er Jahre. In der letzten Dekade sind die Kosten der offiziellen Drogenbekämpfung in den USA um das Sechsfache, auf 7,9 Milliarden Dollar, angestiegen, während der Preis für das Kilo Kokain im gleichen Zeitraum um 80 Prozent gesunken ist. 21 Millionen haben in ihrem Leben schon einmal Kokain geschnuppert; eine Million braucht täglich Crack, eine rauchbare Koksform, die Amerikas Unterklassenkids ein erschwingliches und intensives Kurzhoch beschert, für dessen Wiederholung jedoch fast jeder Preis gezahlt wird. Sieben Millionen US-Bürger rauchen mindestens einmal die Woche Marihuana, eine Million ist heroinsüchtig. 57 Millionen Amerikaner rauchen, 18 Millionen sind alkoholabhängig. Zehn Millionen bevorzugen Beruhigungsmittel und psychotherapeutische Drogen; und eine Million nimmt Halluzinogene wie LSD, PCP und Ice, eine rauchbare Form von Speed, die nach ihrem „Erfolg“ auf Hawaii zur neuen Modedroge der 90er Jahre avancieren könnte.

Die Prohibition ist gescheitert

Angesichts solcher Zahlen halten nicht nur die Legalisierungsbefürworter den jüngsten Drogenfeldzug für Geldverschwendung und Zeitvergeudung, denn Bushs „Drogenzar“ Bill Bennett hat nur erneut die längst gescheiterten Rezepte angewandt: mehr Polizisten, mehr Knäste, härtere Strafen. Bennetts internationale Zugabe, zum Stopp des Drogennachschubs jetzt möglicherweise auch amerikanische Truppen in den koks- und marihuanaproduzierenden Andenstaaten einzusetzen, mag zwar in der US-Bevölkerung populär sein, unter den Experten glaubt allerdings niemand an den Erfolg militärischer Drogenbekämpfung. „Zusätzliche Bemühungen zum Abfangen von Drogen“, so steht es ganz trocken in einem Bericht der „Rand Corporation“ zum Drogennachschub, „werden das Kokainangebot in den USA nicht verringern.“ Solange ein Gramm Kokain mit einem Endverbraucherpreis von 130 Dollar seinen Wert nach dem Transport in die USA um das Zwölffache steigert und, verglichen mit den Herstellungskosten in Kolumbien, sogar um das 43fache, wird der Drogenhandel nicht zu stoppen sein.

Dies, nämlich die enormen Preisaufschläge aufgrund der Kriminalisierung des Handels, so argumentieren die Anhänger einer Legalisierung, sei genau das Problem. So wie die Alkohol-Prohibition zwischen 1919 und 1933 mit den bootleggers die damals profitabelsten kriminellen Vereinigungen der Welt schuf, so hat auch das Verbot harter Drogen zur Herausbildung professioneller Drogenkartelle geführt, die einen jährlichen Profit von rund 50 Milliarden Dollar erwirtschaften. Während die Kriminalisierung des Handels den Drogendealern durch ein Hochtreiben der Preise derzeit enorme Zusatzgewinne beschert, würde eine Legalisierung dem Staat Steuereinnahmen in Milliardenhöhe einbringen, die dann für Betreuungs- und Rehabilitationsprogramme eingesetzt werden könnten.

Vorbereitung auf

den „Drogenfrieden“

Damit in Zukunft mehr als gegenwärtig nur zehn Prozent der Bevölkerung eine Entkriminalisierung des Drogengeschäfts befürworten, müssen die Anhänger einer Legalisierung noch eine ganze Menge Überzeugungsarbeit leisten. Denn als die 1987 gegründete „Drug Policy Foundation“ auf ihrer Internationalen Konferenz zur Drogenreform im November angesichts des heftig kritisierten Drogenkrieges die spekulative Frage stellte: „Was würde geschehen, wenn es Frieden gäbe?“, da blieben die Antworten der aus aller Welt angereisten Anti-Prohibitionisten doch recht unklar.

So treffend und überzeugend die Analyse über das Scheitern der Kriminalisierungsstrategien ausfiel, so unterschiedlich und ungenau waren die Vorstellungen der Konferenzteilnehmer über die Modalitäten einer Legalisierung. Lester Grinspoon, von der Harvard Medical School, setzte der emotionalen und irrationalen Behandlung der verschiedenen legalen und illegalen Drogen durch die Bush-Administration eine „Schädlichkeitssteuer“ entgegen, die sich an den sozialen Kosten der jeweiligen Droge orientieren soll. Danach würde das Zigarettenrauchen (jährlich 400.000 Tote) höher besteuert als der Alkoholkonsum (100.000 Tote), bliebe der Marihuanagenuß nahezu steuerfrei, während der Crack-Konsum dem Staat Steuereinnahmen in Milliardenhöhe einbringen müßte.

Peter Cohen, Drogenexperte von der Universität Amsterdam riet der amerikanischen Legalisierungsbewegung, sich in Zukunft mehr mit den Ängsten und Befürchtungen der Nichtabhängigen auseinanderzusetzen, um deren Widerstand gegen eine Legalisierung abzubauen. Auf die Einzelheiten einer Entkriminalisierung angesprochen, betonte der Präsident der „Drug Policy Foundation“, Arnold S. Trebach, daß niemand für eine plötzliche und vollständige Freigabe sämtlicher Drogen eintrete. Ein von seiner Organisation vorgestellter Gesetzesentwurf sieht denn auch nur eine kontrollierte Legalisierung bestimmter Drogen in ausgewählten Bundesstaaten vor, um die Auswirkungen erst einmal beobachten zu können. Daß in Amerikas Supermärkten neben Schokoriegeln demnächst auch Crack-Pulver zu kaufen sei, wie die Legalisierungsgegner oft polemisieren, befürwortet in der Tat niemand. Nur Marihuana würde für Erwachsene jederzeit käuflich sein; Kokain - und später vielleicht auch Crack - wären nach den Vorstellungen der Legalisierungslobby wie heute der Alkohol nur in speziellen Geschäften zu bestimmten Tageszeiten und vielleicht sogar nur auf Rezept erhältlich.

Wie allerdings unter solchen Bedingungen neben dem vom Staat regulierten Drogenmarkt die Herausbildung eines billigeren Schwarzmarktes verhindert werden kann, scheint auch den Verfechtern einer Entkriminalisierung nicht ganz klar zu sein. Doch schon eine nennenswerte Verkleinerung des illegalen Drogenmarktes wäre ihrer Ansicht nach bereits als Erfolg zu werten. Die Notwendigkeit, sämtliche Legalisierungsschritte in den USA mit entsprechenden Maßnahmen in den Produzentenländern der Andenregion abzustimmen, wurde in der Diskussion um eine Reform der Drogenbestimmungen nicht einmal ansatzweise erwähnt. Die Legalisierungsdebatte, so bewies die Washingtoner Drogenkonferenz im November, befindet sich erst in den Anfängen.

Das Risiko der Nachfrageexplosion

Eine Frage aber werden die Fürsprecher einer Freigabe des Drogenhandels bald beantworten müssen: In welchem Ausmaß würde der Drogenkonsum im Falle einer Legalisierung ansteigen? Während die Bush-Administration von einem Potential von 55 bis 75 Millionen Konsumenten harter Drogen spricht, von denen dann 18 bis 25 Millionen in der legalen Abhängigkeit enden könnten, weisen die Anti-Prohibitionisten solche Hochrechnungen als politisch motiviertes Horrorszenario zurück. Sie weisen darauf hin, daß die Freigabe von Marihuana in anderen Ländern und in bestimmten amerikanischen Bundesstaaten kaum zu einem Anstieg des Dope -Verbrauchs geführt hat. Und was die härteren Drogen angeht, so halten viele Befürworter der Legalisierung deren Gefährlichkeit schlicht für übertrieben. „Die riskantesten Drogen“, da ist sich der prominente Legalisierungsverfechter und Politikprofessor aus Princeton, Ethan Nadelmann, beinahe sicher, „haben aufgrund ihrer offensichtlichen Gefahren kaum eine Breitenwirkung.“ Diese Vermutung wird unter anderem mit Verweis auf die Tatsache begründet, daß die sozialen, moralischen und ökonomischen Kosten der Drogenbekämpfung in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben, während die Anzahl der gelegentlichen Kokainkonsumenten parallel dazu zwischen 1985 und 1988 von 23 Millionen auf 14,5 Millionen gesunken ist. Trotz des steigenden Crack-Konsums in den Innenstädten - dort also, wo die Auswirkungen der Kriminalisierung und ihr Scheitern als Strategie der Drogenbekämpfung am deutlichsten und tragischsten sind macht Professor Nadelmann geltend, daß die überwältigende Mehrheit aller Amerikaner hinsichtlich der Gefahren harter Drogen „immer noch zu einer semi-rationalen Entscheidung fähig ist.“ Einen starken Anstieg des harten Drogenkonsums halten Nadelmann und die Legalisierungslobby deswegen für äußerst unwahrscheinlich.

Der Dogmatismus der Drogenkrieger

Trotz all dieser durchaus plausiblen Argumente der Legalisierungslobby haben die dogmatischen Drogenkrieger der Bush-Administration eine Debatte über mögliche Alternativen zu ihrer gegenwärtigen Drogenpolitik rundherum abgelehnt. In einer Tirade gegen die „liberalen Intellektuellen“ beschuldigte Bill Bennett diese der „moralisch skandalösen“ Unterstützung der Drogenlegalisierung und bezeichnete ihre Alternativvorschläge zum Drogenkrieg kurzerhand als „substanzlose Schleimsuppe“. Die Legalisierer nehmen solche Ausfälle der Bush-Männer nach ihren jüngsten Publicityerfolgen allerdings gelassen hin. „Bush, Bennett und ihr hilfloser Drogenkrieg“, so erklärte Ethan Nadelmann den Mitstreitern für eine Legalisierung auf der Washingtoner Drogenkonferenz, „sind das beste Argument, daß wir haben.“

Rolf Paasch