Oskar Lafontaine - ein politischer Triebtäter

Mit Lafontaine hat die SPD einen Helmut Kohl ebenbürtigen Machtpolitiker / Nicht über die Studentenbewegung, sondern über die Stadtwerke in die Politik eingestiegen / „Lieber populistisch als unpopulär“ / Schulmeister im Kabinett / Das Deutschlandlied kommt dem Kanzlerherausforderer nicht über die Lippen  ■  Von Petra Bornhöft

Saarbrücken/Bonn (taz) - Er hat etwas Modisches an sich, der Oskar. Das paßt nicht in die Landschaft am Saarkanal. Im weißen Oberhemd präsentiert sich der Bäckerssohn Lafontaine allenfalls auf Wahlplakaten, inmitten eines „Rama„ -Familienensembles. Gewöhnlich bevorzugt er urbane Elegance. Spätestens seit der „stabilen Beziehung“ zu einer blonden Genossin mit Stoppelhaarfrisur - von einer Wochenzeitung ahnungsvoll als eine von 13 Personen der 90er Jahre präsentiert - trägt der Kandidat dunkle Seidenhemden, farblich hundertprozentig auf Leinenjacketts oder Gabardineanzüge abgestimmt. Bedeutungslose Äußerlichkeit?

Ganz und gar nicht. Oskar sei ein „Renaissance -Triebmensch“, ein „barocker Jesuiten-Sozi“, sagen Freunde, „allen menschlichen Sinnen aufgeschlossen“. Er säuft gern, speist vom Feinsten, möchte schönen Frauen gefallen und liebt die Macht. In diesem Sinne sei der kleine Napoleon (Längenmaß: ein Meter neunundsechzig, knapp über Gregor Gysi) ein „politischer Triebtäter“.

Perfekt beherrscht der vermeintliche „Sponti aus Saarbrücken“ (ZDF) die Inszenierung von Politik und Person zumindest auf heimischem Terrain. Die Veranstaltungen im Landtagswahlkampf gleichen einem Ritual. Unter einer halben Stunde Verspätung macht Oskar es nicht. Der Saal muß voll sein, die Stimmung mittels Bier und Marschmusik dem saarländischen Siedepunkt entgegenstreben. Dann von der Tür ein Handsignal an den Dirigenten der örtlichen Kapelle: „Glück auf, der Steiger kommt“ - und mit ihm der Regional -Fürst. Um die Spannung zu steigern und Volksnähe fotogen zu demonstrieren, setzt sich Lafontaine zunächst zehn Minuten an einen Tisch vor der Bühne. Stilistisch ohne Eleganz übermittelt der Redner später dem Volk Botschaften, stets mit den gleichen Witzen, Wortspielen und Kostproben saarländischer Mundart verknüpft. Und immer klatscht das Publikum, wenn „Oskar“ die immer gleiche Geschichte von der schwarzen Saar erzählt: „Immer, wenn ich als kleiner Junge an der Saar saß und in den schwarzen Fluß guckte, dachte ich: Oskar, daß mußt du später mal ändern.“

Keine Alternative zum Power-Pack

Eine Botschaft des Kanzlerkandidaten im Geburtsort Dillingen -Pachten (leider hat die SPD versäumt, dem aus Bonn angekarrten Journalistentroß das Geburtshaus Lafontaines zu zeigen) lautet: „Es gibt nur ein einziges Motiv für die Kanzlerkandidatur in Bonn: dort mehr für das Saarland tun zu können als von hier aus. Das ist keine Zusage, aber ich wollte es mal ansprechen.“ Im ersten Satz eine populistische, aber populäre Eindimensionalität, im zweiten Satz eine typische, leicht zu überhörende, doch verkündete Einschränkung.

Zu dieser „Methode Lafontaine“ gehört, daß er an der Fiktion strickt, er werde erst nach dem 28.Januar während eines Urlaubs über die Kanzlerkandidatur entscheiden. Längst in der Parteispitze abgekaspert, hat die SPD zum Power-Pack vom Saarkanal sowieso keine personelle Alternative. „Wer Kohl herausfordern und Mehrheiten gewinnen will, der kann nicht auf einem Mindestbedarf an täglich zwölf Stunden Schlaf bestehen und dem darf nicht nach zwei Minuten Rede der Versöhnungsschweiß aufs Hemd tropfen“, ist zu erfahren. Gemeint sind Björn Engholm und Johannes Rau. Keine zwölf Stunden nach der Niederlage im Januar 1987 kritisierte Lafontaine Raus schlappen Bundestagswahlkampf in Grund und Boden. Jochen Vogels Klarsichthüllen-Attribute gelten schon länger nicht als hinreichend zur Mehrheitsbeschaffung. Klappt es 1990 für den Saarländer nicht, wie zu erwarten ist, dann könnte der 46jährige Aufsteiger sich immer noch 1994 um den Kanzlerjob bewerben.

Daß er sich für fähig hält, die Republik zu regieren, unterstreicht die Dirigentenszene der Wahlveranstaltungen. Regelmäßig leitet sie den Abschied vom Volk ein. Bevor Lafontaine wieder mit 150 Stundenkilometern an Tempolimitschildern vorbeidüst - bei 140 km/h verlor die taz im Verfolger-Polo die Rücklichter des MP-Mercedes im dichten Nebel aus den Augen - schwingt er den Taktstock zum „Marsch von den alten Kameraden“. Mehrmals wendet sich der Akteur auf der Bühne mit schelmisch-triumphierendem Blick den Journalisten im Publikum zu. „Habt ihr endlich verstanden, wie virtuos ich mit dem Plebs aufspielen kann?“, heißt die Botschaft dieser Szene.

Außenpolitik im Affekt?

So wirksam wie Oskar Lafontaine die notwendige Volkstümlichkeit ins Bild rückt, so erfolgreich boxte er sich und seine politischen Ansichten nach vorn. Ohne jeden Knick die Karriere, die nach der Schule im Bischöflichen Konvikt Prüm in der Eifel und dem Physik-Diplom 1969 bei der Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft Saarbrücken begann. Nicht die Studentenbewegung, sondern die Stadtwerke bildeten das Sprungbrett für den Landtagsitz (1970). Mit 33 Jahren zum Oberbürgermeister (1976) von Saarbrücken gewählt, regiert er seit 1985 als erster sozialdemokratischer Ministerpräsident das Saarland.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der heutige Multifunktionär die ersten Schlachten in der Bundespartei bereits gewonnen. Die wohl wichtigste Auseinandersetzung war der Streit um den Nato-Doppelbeschluß zur Raketenstationierung. „Wir haben damals mit Oskar an der Spitze die Partei umgelegt“, erinnert sich ein Anhänger. Lafontaines heftige Attacken gegen die SPD Helmut Schmidts stellten ein ausgeprägtes Gespür für den Zeitgeist unter Beweis. Schlagzeilenträchtig hatte er was von „Generalstreik“ gegen den NATO -Doppelbeschluß und Austritt aus der Allianz gemurmelt. Angeblich, so die offizielle Richtigstellung, ist Lafontaine „immer mißverstanden oder falsch wiedergegeben worden, er hat stets eine gaullistische Position vertreten“. Die las sich so: „Austritt aus der militärischen Integration des Bündnisses“, entsprechend dem französischen Beispiel. Später dann eine neue, relativierte Formel vom „Abkoppeln der Bundesrepublik von den integrierten Schaltkreisen des Atomeinsatzes“ durch die USA, sprich eine Reform der Nato -Kommandostruktur. Heute begnügt sich der kommende Kohl -Herausforderer mit Stichworten zur angestrebten „europäische Friedensordnung“, lehnt Neustationierung von „Atomraketen, die auf Leipzig gerichtet sind“, ab und betet brav den weiteren Forderungskanon der Partei herunter.

Gewisse Sorgen machen sich einige Genossen über „Oskars Lücke in der Außenpolitik“, speziell über das auf gegenseitige Abneigung beruhende Verhältnis zu den Amerikanern. Die haben ihn wegen seiner Reden gegen die Vormachtstellung der Yankees in Europa bisher immer abblitzen lassen. Umgekehrt verhehlte der vom 'Spiegel‘ als „SPD-Linker“ mythologisierte Saarländer selten seine Aversion gegenüber den Pentagon-Strategen.

Leicht pikiert kolportieren Amerikaner eine Episode aus Lafontaines USA-Reise 1987. In Washington empfing ihn nur die zweite Garde. Beleidigt über Terminabsagen von Bush und Shultz, sperrte sich der SPD-Mann gegen ein Gespräch mit Frank Carlucci, damals Reagans Sicherheitsberater. Dennoch schlug er das Treffen nicht aus, knallte sich aber vorher die Birne zu mit einer Flasche Whisky. Danach „hing Mister L. bei Carlucci im Stuhl und konnte nur noch lallen“. So die Überlieferung. Sein Gegenüber wahrte die Fassung. Nach dem Meeting indes urteilte Carlucci - wenig später US -Verteidigungsminister - über Lafontaine: „Der Typ ist schwachsinnig.“

Ist er natürlich nicht. Vielmehr ist diese Episode nur ein Beispiel dafür, „daß spontan der Bauch mit ihm durchgeht“, erklärt ein langjähriger Beobachter, der eine baldige Good -will-Tour in die Staaten prophezeit und ansonsten auf „Regulative“ für den (früher) bisweilen spontanen Kanzlerkandidaten hinweist.

Kein schneller Atomausstieg

Die Ablehnung des Nato-Doppelbeschlusses brachte Lafontaine Sympathien bei der Linken ein. So auch sein durch und durch sozialdemokratisches Nein zur Atomenergie. Schon zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition entwickelte er sich zum Gegner der Parteiräson. Als Ministerpräsident schimpfte er über die „Todeszentrale Cattenom“, 50 Kilometer Luftlinie von der Staatskanzlei entfernt. Während des jetzigen Wahlkampfes im saarländischen Kohlerevier schleudert der Kandidat der CDU entgegen: „Es können nicht immer nur Gruben, es müssen auch mal Kernkraftwerke stillgelegt werden.“ Die Frage ist nur: wann?

Darauf bleibt der Feind der Atomlobby eine präzise Antwort schuldig. Beim Nürnberger SPD-Parteitag erklärte Lafontaine die beschlossene Zehnjahresfrist für unrealistisch. Die Partei gab der Öffentlichkeit später Interpretationshilfe, derzufolge die Frist mit einem Sieg bei den Bundestagswahlen beginne. Coram publico schweigt Lafontaine derzeit oder schwafelt über die „Unwägbarkeiten des Zeitraumes für den Ausstieg“. Der, so hörte es die taz, werde „mit Lafontaine nicht laufen, jedenfalls nicht innerhalb von zehn Jahren. Da hat er seine Position nicht geändert“.

Eindeutig festgelegt hat sich der „Joker aus dem Saarland“ ('SZ‘) gegen den Export von Atomtechnologie in die DDR. Daß der Kanzlerkandidat im Wahljahr deutlichere Worte zum inländischen Ausstieg aus der Atomenergie verlieren müßte, ist angesichts der Stimmungslage der Nation unwahrscheinlich. Immer dann, wenn eine Diskussion auf dieses Thema zu kommen droht, schwenkt er rasch auf die Energiepolitik des Saarlandes und deren Paradebeispiel, die Stadtwerke Saarbrücken. In der Tat gilt deren Tarif- und Sparsystem bundesweit als vorbildlich für neue Wege in der kommunalen Energiepolitik.

Kompliziertes Verhältnis zu den Gewerkschaften

Bis zu neunzig Minuten unterhält Oskar Lafontaine gegenwärtig sein heimisches Publikum. Kaum ein aktuelles Politikfeld, das er nicht streift. Eine Ausnahme: der gerade begonnene Tarifkampf der IG Metall um die 35-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich. Keine Silbe entflutscht dem Redner, aber bisher will auch niemand der (saarländischen) Metaller und Stahlwerker von ihm dazu etwas hören. Hinter den Kulissen indes brüten Polit- und Gewerkschaftsfunktionäre mit dem gleichen Parteibuch. Die Lage ist kompliziert.

Vor zwei Jahren provozierte Lafontaine die Gewerkschaftsriege und Altvorderen der Partei mit seinen Plädoyers gegen den vollen Lohnausgleich und das gewerkschaftliche Tabu des arbeitsfreien Wochenendes. Unüberhörbar fiel er der ÖTV während der Tarifrunde in den Rücken, polterte gegen die „Sesselfurzer“ im Öffentlichen Dienst und raunzte die Gewerkschaften an, ihr „Gequassel von der Einmischung in die Tarifautonomie“ zu beenden.

Der Eklat mit demagogischem Zungenschlag kam vielleicht aus dem Bauch, mehr noch folgte er machtpolitischem Kalkül: Ohne Lockerung der SPD-Ehe mit der Gewerkschaftsbürokratie und deren Klientel sind in der Bundesrepublik keine Mehrheiten mehr zu gewinnen. Das wollte Lafontaine der Partei demonstrieren. Die kapiert es mit traditioneller Schwerfälligkeit.

Nachdem sich die Gemüter abgekühlt, die Sozialdemokraten ob des sichtbar werdenden Schaukampfcharakters einen Burgfrieden geschlossen hatten, steht die Kuh jetzt erneut auf dem Eis. „Wie kriegen wir Oskar am vollen Lohnausgleich vorbei?“ runzelt die Parteispitze die Stirn. Denn als Kanzlerkandidat kann er nicht mit gewohnter Schärfe gegen die Gewerkschaften polemisieren. Andererseits „steht die Glaubwürdigkeit ein bißchen auf dem Spiel“, räumt man ein. Noch wissen die Strategen offenbar nicht, wie Lafontaine während des Tarifkampfes seine Meinung staatsmännisch verkaufen kann, eben ohne jemandem weh zu tun. Den Sozis schwant, daß „es für Oskar schwer wird, mit den alten Positionen weiterzufahren“. Doch in seiner Person harmonieren Konfliktfähigkeit und Opportunismus ebenso perfekt wie bei Helmut Kohl.

Grundsätzlichere Streitpunkte mit Teilen der Gewerkschaft und dem schlappen linken Flügel der SPD werden im Wahljahr ebenso bedeutungslos bleiben wie zuvor. Daß er in der Wirtschaftspolitik einen eher kapitalfreundlichen Kurs verficht, der den Gedanken Lothar Späths nahekommt, damit hat sich seine sozialdemokratische Partei längst arrangiert.

Im Kabinett fließen „Blut und Tränen“

Wenn die SPD sich damit nicht arrangiert hätte - für einen reformistischen Laden ohnehin kein allzu gravierendes Problem -, würde es ihren heimlichen Chef kaum jucken. Sein Verhältnis zur SPD ist kein libidinöses oder ausgewiesen programmatisches, eher ein instrumentelles. Das schildern saarländische GenossInnen nahezu klaglos als Tatsache. Manchmal sei ihm die Partei „richtig lästig“.

Sitzungen des Landesvorstandes, nach Selbsteinschätzung eines Mitgliedes „Leute der dritten Garnitur“, kann der kluge Oskar nicht leiden. Widerwillig latsche er hin, nur nach dem Motto „es muß halt sinn“. Regelmäßig muß Lafontaine in diesem Gremium seine Schlagzeilen erläutern. Das geht selten über die Bühne ohne erhobenen Zeigefinger und die Einleitung „Damit daß jetzt endlich verstanden wird...“.

Den Oberlehrer spielt der SPD-Vize offenbar häufiger und gnadenloser als der Parteivorsitzende Vogel. „Oskar weiß alles besser“, beschreibt ein Förderer den MP. Wenn der überhaupt in der Kabinettsrunde erscheint, dort nicht Zeitung liest, dann „fließen Blut und Tränen“ verlautet aus anderer Quelle. Die Schwächsten sind häufig seine Opfer. Als die Arbeits- und Sozialministerin heulend aus der Sitzung rannte, wußte es am Abend halb Saarbrücken.

So sehr Lafontaine Frauen mag, von Gleichberechtigung via Frauenministerium oder Quotierung hält er nichts. Allerdings führen die SPD-Frauen auch nicht gerade einen leidenschaftlichen Kampf gegen die Chauvi-Filiale im Saarland.

Weit gefehlt, dem MP auf Frauen beschränkte Härte zu unterstellen. In der Stadt, in der sich ministeriale und außerparlamentarische Politiker als Duzfreunde begegnen, blieb Lafontaines gestörtes Verhältnis zu seinem Umweltminister Jo Leinen nicht lange verborgen. Der sitzt nur deshalb noch auf seinem Sessel, weil sein Landtagsmandat die SPD-Mehrheit sichert und er fachlich zwar als Null, aber dennoch als „begnadeter Politikverkäufer“ angesehen wird.

Im Kabinett fällt Lafontaine gern über Leinen her. Vor allem, wenn er ihn bei Unaufmerksamkeiten erwischt. Er registriert, daß der Untergebene in Akten blättert. Den Körper kerzengrade aufgerichtet, fordert Lafontaine mit schneidender Stimme: „Josef, wiederhole mal, was ich gesagt habe.“ Hilflos blickt blickt der Angesprochene um sich und schweigt. Triumphierend beugt sich Lafontaine nach vorn, breitet die Arme aus und grinst: „Seht ihr, er hat mal wieder nicht zugehört.“ Derartige Fisimatenten haben den blassen Leinen, aus dem SPD-Schaufenster ins Regal geräumt, im Laufe der letzten fünf Jahre erbleichen lassen. Während dieser Zeit hat der Regional-Monarch allerdings auch bewiesen, daß er für seine Günstlinge sorgt. Das Tempo, mit dem die SPD den regierungsüblichen Filz über den nach knapp drei Jahrzehnten eroberten Staatsapparat zog, hat selbst wohlmeinende Realisten überrascht.

Noch nie das Deutschlandlied gesungen

Jene Arroganz, die Lafontaine auch in der SPD -Programmkommission an den Tag legte, schürt bei manchen GenossInnen die „Angst vor Skrupellosigkeit“. Angesprochen auf seinen Populismus, entgegnete der Primus unter Willy Brandts Enkeln im 'Spiegel'-Interview: „Populistisch ist besser als unpopulär sein und am Volk vorbeireden.“ Und an anderer Stelle wieder so ein Kernsatz: „Der deutsche Stammtisch ist manchmal klüger als die Politik.“ Den studiert der ambitionierte Mehrheitsbeschaffer ebenso ausgiebig wie professionell. In Bonn ließe er sich auf alle Koalitionen ein, versichern Freunde. Spekulationen zuhauf. Tatsächlich turtelte der Saarländer zu Hause wechselweise mit der FDP und den Grünen.

Für eine Option allerdings, und das scheint relativ glaubwürdig, ist Lafontaine nicht zu gewinnen: die Politik des deutschen Nationalismus. Er ist kein Internationalist im sozialistischen Sinne. Die „Vereinigten Staaten von Europa“ hat er sich - schon vor dem Umbruch in Osteuropa - auf die Fahnen geschrieben. Auch jetzt hält er diese Politik für „klüger“ als die Orientierung auf den deutschen Nationalstaat. Zwar beugt Lafontaine sich dem Druck der Ereignisse und Stimmungen, rückte ab von seiner Forderung nach Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft - „wir leben nicht mehr im Jahre 1985“ - doch die Einheitsformel „dieses unser Vaterland“ kriegt er in der Öffentlichkeit nur in ironisierender Nachahmung von Kohls Mundart raus. Dessen „übertriebene Deutschtümelei“ gegenüber Aussiedlern prangerte Lafontaine bereits 1988 an.

Die letzte Lunte, professionell nach den ersten, hinsichtlich der Brüder und Schwestern negativen Umfragen gezündet, zielte auf den bröckelnden rechten Parteirand mit Tendenz zum REP-Spektrum. Ob das Werben gegen staatliche Anreize für die Ausreise DDR-Müder machtpolitsch erfolgreich war, wird sich am Wahlabend des 28.Januar zeigen. Selbst bei einer Niederlage und trotz „nicht auszuschließender Positionsänderungen“ - beim Absingen des Deutschlandliedes wird Lafontaine weiterhin die Lippen zusammenkneifen. Und ist das etwa nichts in diesen Zeiten?