Seltsame Weisen, Tennisspiele zu beenden

Bei den Australian Open werden Gabriela Sabatini und Mark Woodford im Rollstuhl abgeschoben, während John McEnroes Verbalinjurien mit einer Disqualifikation enden / Claudia Porwik und Steffi Graf im Viertelfinale  ■  Aus Melbourne Bernd Müllender

Australier lieben's derb und kräftig. Am Samstag fand das (Vor-)Urteil neue Bestätigung, wenn auch nur durch eine Kleinigkeit, nämlich das Design eines eigentümlichen einheimischen Rollstuhls. In down under scheinen sie gebaut, als sollten sie gleich mehrere Verletzte und Versehrte aufnehmen oder als sollte ein einzelner damit querfeldein dahinbrausen können durchs weite outback: mit merkwürdig-klobig, wuchtigem Gestell auf dicken Mountainbike-Reifen.

In einem solchen Gefährt ließ sich vorgestern das Frl. Sabatini, jene breitschultrige Person aus der Pampa, aus der Tennisarena schieben. Unfreiwillig, versteht sich. Den kleinen Ball hatte sie ganz passabel geschlagen, 6:2, 1:0 führte sie gegen Claudia Porwik aus West Germany. Dann knickte sie um, in Minutenschnelle quoll die Knöchelpartie auf wie Hefeteig, und die Tränen salzten alsbald die Wohlgerüche des namenseigenen Parfüms. Das Aus für die einzige, der wenigstens eine kleine Chance zugerechnet wurde, Steffi Graf Paroli bieten zu können.

Eine Stunde später, wieder der Centre Court, wieder ein schiefes Bein, wieder ein Knöchel dahin, wieder kam der Rollstuhl zum Einsatz. Daß es nunmehr den Aussie Mark Woodford auf dem stumpfen Boden getroffen hatte, traf die Einheimischen besonders hart. Auf Gras, wie früher im Kooyong-Stadion, wäre das alles nicht passiert, wußte Boris Becker.

Sabatinis unglückliches Aus lenkte alle Augen auf Porwik. Weil sie kaum mehr als einen Satz spielen mußte, durfte sie gleich Sonntag nachmittag nochmal ran - im Achtelfinale gegen das Burenkind Dinky van Rensburg aus Südafrika. Ein enges Match mit reichlichen Aufschlagverlusten auf beiden Seiten, aber einigen erstklassigen Passierschlägen der Deutschen, was sich schließlich in Zahlen 7:6, 3:6, 6:4 las.

Steffi Grafs schneller Erfolg gegen Raffaela Reggi (6:2, 6:3) war wegen der üblichen Normalität schnell vergessen, jetzt aber eilte die RTL-plus-Reporterriege („Claudia, wie fühlen Sie sich“) der Überraschungsviertelfinalistin hinterher, um am Ende („Ach, Entschuldigung“) gleich alles Gute fürs Halbfinale zu wünschen. Claudia Porwik selbst zeigte, daß West Germanys Tennisfrauen nicht automatisch gräfliche Coolness demonstrieren müssen. Locker und zufrieden, ohne jede Show, plauderte sie über ihre Seelenlage im Rampenlicht. Ach ja, klar, vorher habe sie im Spieltableau nur bis Sabatini geguckt, und jetzt sei es „schon ein bißchen komisch“, unter den besten acht zu sein. Ihrer verletzten Gegnerin habe sie ausrichten lassen, „daß sie hoffentlich bald wieder in den Zirkus zurückkommen“ möge, und ans Geld habe sie nun wirklich zu keiner Sekunde gedacht.

Ob das ihr höchstes Preisgeld sei bisher? „Wieviel ist das überhaupt, keine Ahnung.“ 25.000 US-Dollar: Oh, schon, ja, das tue ihr „ganz gut“. Porwiks Geldsegen zeigt indes die argentinische Inflationsmentalität im Tennis, vor allem bei den Frauen: 1978 noch bekam die Siegerin in Melbourne ganze 6.00 Dollar, heute 190.000.

Die Knöchel-Rollstuhl-Serie war erst der Auftakt für ein Wochenende der unkonventionellen Beendigungen von Tennisspielen. Für den Höhepunkt sorgte John McEnroe. Sein Match mit Michael Pernfors zeigte schon im Verlauf Aufregendes: unglaubliche Topspins des Schweden, der nicht nur mit dem Arm, sondern ganzkörprig auf seinen Gegner einzudreschen schien, sich dabei beinahe zu einem U bog, daß man Angst nicht nur um seine Knöchel haben mußte. Pernfors kämpfte Tennis und unterhielt die Zuschauer mit Kaskaden von schwedischen Flüchen und Jammerbekundungen, die fremdsprachenbedingt kaum jemand verstand. Anders McEnroe: Sein englisches Wortgeplänkel mit LinienrichterInnen und dem Schiedsrichter hatte verständliche Inhalte, die ihm im vierten Satz bei 2:1-Führung teuer zu stehen kommen sollten.

Schon verwarnt wegen Bedrohung einer Linienrichterin und ermahnt wegen demonstrativer Spielverzögerung, knallte der personifizierte Jähzorn, erregt über eine neue, natürlich falsche Entscheidung, sein zartbesaitetes Werkzeug zu Boden, was ihm einen Punktabzug einbrachte. Reklamierend, schimpfend zog er auf den Schiri los, verlangte nach dem Oberschiedsrichter. Der kam über den Platz gehastet, den Supervisor im Schlepp. Wütende Verbalgeplänkel ließen schon Böses ahnen, und dann war es so weit: „Spiel, Satz und Sieg Pernfors, 1:6, 6:4, 5:7, 4:2, McEnroe disqualifiziert“, verkündete der Schiedsrichter Gerry Armstrong. Selbst Bigmac, dem Rüpel aller Tennisrüpel, war solches noch nicht geschehen in einem Einzel-Grand-Prix. Und für ein Grand-Slam -Turnier war es eine Premiere überhaupt.

Pernfors, ein arroganter Kotzbrocken, gab Minuten später cool zu Protokoll, er sei glücklich, gewonnen zu haben, you know. Mehr gäbe es nicht zu sagen, die Regeln seien nun mal so. McEnroe erklärte sich der neuen Regeln unkundig, die schon nach dem Punkt-, nicht erst nach dem Spielabzug eine Disqualifikation nachsichziehen; ein Wissensdefizit, das eine Presseagentur für „den Sohn eines Rechtsanwalts“ augenblicklich rügte. Zumal die neuen Regeln mit dem Hinweis „Achtung, Achtung, Achtung“ in den Umkleideräumen ausgehängt wurden.

„Ich kann aber nicht sagen“, sprach der New Yorker, „daß ich überrascht bin über mein Verhalten.“ Die Strafe (plus 6.500 Dollar) sei ungerecht, Pernfors habe ungerügt herummaulen können, soviel er wollte: „Schwedisch klingt wohl lustiger.“ Auf dem Centre Court stampfte und klatschte die Menge noch vergnügt und hämisch vor sich hin: „We want McEnroe“ - mehr von seiner Show. Mehr von diesem Entertainment.

Was aber war nun der „schwere verbale Mißbrauch durch das extrem böse Wort“ (Oberschiedsrichter Peter Bellinger)? Was war es, was den Supervisor Ken Farrar so verstörte: „Noch nie in meinem ganzen Leben bin ich so beleidigt worden.“ Es war nur das eine. „Sie werden es schon rauskriegen“, vertröstete McEnroe kühl. „Fuck“ war es gewesen, was sonst. Eigentlich kein Verbrechen hier: Aussies mögen's rough an‘ tough.

Frauen-Einzel, 3. Runde: Angelica Gavaldon (USA) - Hana Mandlikova (Australien) 6:1, 1:6, 6:1; Catherine Tanvier (Frankreich) - Sabine Applemans (Belgien) 7:6, 6:0; Mary Joe Fernandez (USA) - Julie Halard (Frankreich) 6:0, 3:6, 6:0; Gigi Fernandez (USA) - Tami Whitlinger (USA) 7:6, 6:3; Donna Faber (USA) - Rosalyn Fairbank (USA) 6:3, 6:4; Dinky Van Rensburg (Südafrika) - Sandra Wasserman (Belgien) 6:4, 6:2

Herren-Einzel, 3. Runde: Stefan Edberg (Schweden) - Paul Chamberlin (USA) 6:3, 6:4, 6:1; Aaron Krickstein (USA) Lars-Arden Wahlgren (Schweden) 6:7, 6:2, 6:3, 6:2; David Wheaton (USA) - Mark Woodforde (Australien) 6:3, 4:5 aufgegeben; Jonas Svensson (Schweden) - Lars Jonsson (Schweden) 6:4, 7:5, 3:6, 4:6, 6:2; Veli Paloheimo (Finnland) - Javier Sanchez (Spanien) 7:5, 6:4, 3:6, 6:1.