Berghofers Austritt keine Überraschung

Dresdens Oberbürgermeister haderte schon lange mir der SED  ■ P O R T R A I T

Die Männer mit den schweren Kisten verrichteten ihre Arbeit ohne Unterbrechung. Hamburgs Regierender Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) hatte bei einem seiner letzten Besuche in der Partnerstadt Dresden fünf Fotokopierer im Gepäck, die für die Arbeit oppositioneller Gruppen eingesetzt werden sollen. „Damit verstoßen Sie ja gegen so ziemlich alle DDR-Gesetze“, juxte ein Augenzeuge, der kraft Amtes hätte eingreifen müssen.

Wolfgang Berghofer (46), seit 1986 Stadtoberhaupt der Sachsen-Metropole und nach 25 Jahren vorgestern aus der SED ausgetreten, ließ die Hamburger Gäste jedoch gewähren. Grünes Licht von übergeordneter Stelle hat sich der Dresdener für kaum etwas eingeholt: Ein Sonderzug, der Anfang Dezember mit 900 DresdnerInnen nach Hamburg fuhr, wurde von einem Tag auf den anderen gechartert und losgeschickt. Wirtschaftliche Kontakte und Kooperationen werden seit Wochen am Außenhandelsgesetz der DDR vorbei initiiert und unterschrieben.

Dieses unkomplizierte Umgehen hat Berghofer Sympathien gebracht - bis in die Reihen der Opposition. Den Grundstock für sein veritables Image legte Wolfgang Berghofer spätestens am 9. Oktober. Im Rahmen der ersten großen Montagsdemonstration hatte Berghofer - die DemonstrantInnen waren von der Polizei gestoppt worden - eine Delegation ins Rathaus geladen, um die aufgeladene Situation im Gespräch zu klären. Was gelang. Und: Es blieb nicht beim bloßen Dialog. Als erstes Kommunalparlament der DDR öffnete die Dresdner Stadtverordnetenversammlung im November ihre Pforten für oppositionelle Gruppen. So erhielten etwa VertreterInnen der sogenannten „Gruppe der 20“ einen Gästestatus, der immerhin Rederecht erhielt. Zudem sollte die Opposition über eine Infrastruktur verfügen - Räume und Telefonleitungen - die den Aufbau von Strukturen ermöglichen sollte. Doch daraus ist bisher nichts geworden, erst seit kurzem sind einige Zimmer in der SED-Bezrikszentrale für die Opposition freigemacht worden.

Berghofer ging das alles zu langsam. Er haderte zunehmend mit seiner Partei, spürte die Widerstände und traute ihr die angekündigten radikalen Reformen nicht mehr zu. Einen gehörigen Anteil an der politischen Karriere Berghofers dürften seine Kollegen in Hamburg haben. Sowohl Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi als auch - in letzter Zeit verstärkt - der jetzige Regierungschef Henning Voscherau fungieren als Berater. Der Kontakt ist kontinuierlich und intensiv - Berghofer schien in den letzten Monaten häufiger in Hamburg zu weilen als in Ost -Berlin. Berghofer will sich gemeinsam mit den anderen 39 SED-Aussteigern nicht um ein politisches Mandat zur Wahl am 6. Mai bewerben.

Die politische Karriere des sächsischen Historikers scheint aber noch längst nicht zu Ende. Vor der Stadtverordnetenversammlung wird Wolfgang Berghofer jetzt die Vertrauensfrage über seine Zukunft als Oberbürgermeister stellen. Alles andere als die Bestätigung im Amt wäre auch nach Einschätzung oppositioneller Dresdner eine Überraschung.

Sein Austritt aus der SED verwundert nicht, seine politische Standortbeschreibung der letzten Wochen wies eindeutig darauf hin. Seine Hamburger Ratgeber werden ihn wohl kaum davon abgehalten haben.

Axel Kintzinger