HEILIGE FOLTER-ROSA!

■ Performance und nationale Inszenierung eines peruanischen Symbols

Ein Kapellenraum, katholisch geschwängert und ins Surreale gesteigert, über dem Altar baumelt ein rot eingefärbtes (Leichen?) Bündel zwischen grell lachenden Bildern eines peruanischen Generals. Auf den Stufen ein Strauß hygienisch plastikverschlossener roter Nelken und am Boden die peruanische Flagge: rote, schwarze, weiße lange Prozessionstücher. Im Vordergrund, für die, die von der Galerie der Bethanienkapelle aus die Performance betrachten, ist ein breiter Sarg hingewuchtet, mit einem Ungetüm in sich verquirlter Glieder eines Mannes und einer Frau, ein Abfallprodukt aus Stroh und Stoff und Alltagsmaterialien, Relikt einer früheren Aktion. Wie selbstverständlich greifen Besucher in diese Vergewaltigungs-Installation ein, um zwei der blutrot gefüllten Weingläser während der Performance auszutrinken. Hätte nicht wirklich Blut drin sein können? Lange bewegt sich in diesem Bühnenbild gar nichts, bis nach und nach alle Requisiten in Gebrauch genommen werden: Das nackte Opfer knöpft das Hemd des Mörders zu, wird anschließend von diesem vor dem Altar an einen Stuhl gefesselt, seine Beine werden in Blut-Rot gewaschen, ein Rosenkranz wird ihm auf die Locken gedrückt, zu groß für das Leichengesicht, aber nicht für eine breit grinsende weiße Maske mit offenem Mund, in dem eine lüsterne Zunge spielt.

Die Performance spielt auf ein immer wiederkehrendes Leitmotiv der Grupo Chaclacayo an: den Kult der Heiligen Rosa von Lima. Perus Nationalheilige, zuweilen mit Anker und Jesuskind, aber stets mit einem Kranz Rosen um das verschleierte Nonnenhaupt dargestellt, war ein junges Indiomädchen, das sich von den Ausschweifungen der geistlichen und weltlichen Oberschicht im Lima des 16./17. Jahrhunderts mit Ekel abwandte und all ihre erotische Begierde, ihre ekstatische Anbetung des katholischen Heilands in Askese, Todessehnsucht und Selbstverstümmelung ihres Körpers abreagierte. Sie, die nachweislich schön, sich bis zu ihrem frühen Tod mit 31 Jahren den Männern versagte, wurde nachträglich geschändet und vergewaltigt: nicht nur zu ihrem Begräbnis sollen ihre Glieder von den Massen zerrissen worden sein, sie hängt heute, so der Künstler H.J. Psotta, in jedem Polizeikommissariat, in dem gefoltert und verhört wird, sie wird zu ihrem 400jährigen Geburtstag unter Beisein ranghöchstem Militärs, der Polizei, des apostolischen Nuntius und der peruanischen Bischöfe von Staatspräsident Alan Garcia Perez mit dem höchsten offiziellen Orden „El Sol del Peru“ (Die Sonne von Peru) ausgezeichnet, wie übrigens auch Willy Brandt, vier Tage nach Massenhinrichtungen politischer Häftlinge durch Regierungstruppen. Die Heilige Rosa von Lima mußte, um ein irrationales Kultheiligtum der klerikalfaschistischen herrschenden Kaste zu werden, ihre wahre Identität aufgeben. In der europäisierten Bildertradition Perus wurde ihre Haut immer weißer, ihre Züge verkitscht. Aus leidenschaftlicher Entsagung irdischer Liebe wurde laszive Unterwerfung, und wo die Mystikerin bei Berninis „Hl. Theresa“ noch in tätiger Ekstase dargestellt ist, herrscht bei der ihr formal angelehnten „Hl. Rosa“ von Melchiore Caffa unverhüllter Exhibitionismus einer Willenlosen. Heute gilt die Heilige Rosa, die - wie ein Lexikon „deutscher“ Heiliger anmerkt, soviel Selbstbeherrschung zeigte, daß sie auch bei der Amputation eines Fingers keinen Laut von sich gab - als Schutzheilige bei Verletzungen, Entbindung, Grind, Familienzwist... Sozusagen das ideale Abführmittel eventueller Nebenwirkungen von Folter, Vergewaltigung und Tod. Für alle anderen Fälle haben die Peruaner von heute einen Brunnen, in den nach der Legende die Hl. Rosa „als exemplarische Sadomasochistin den Schlüssel ihres Keuschheitsgürtels geworfen hat“ und in dem dann „Jahrhunderte später die Limaner frommen Herzens ihre geheimsten Wünsche fallen lassen“, wie der von H.J. Psotta zitierte Soziologe Sebastian Gris formuliert. „In ihrer sakralen Ikone vereint, erzeugen Folter und sexuelle Unterdrückung eine komplexe Synthese der psychologischen Verfassung der Stadt Lima. Die Kehrseite, der andere und verleugnete Teil der Heiligen, ist ohne Zweifel die Perricholi (Hetäre). Diese Extreme sind Resultate ein- und desselben repressiven Verhaltens... Aber die Heilige Rosa als Teil und Symptom einer herrschenden Ordnung ist ebenfalls Element der Katharsis, das dem Künstler eine sehr weitgehende Enthüllung des Phänomens erlaubt - und damit möglicherweise seine wirksamste Infragestellung...“

Zyklen von fünfzig und mehr Arbeiten zu einem Thema sind Ausdruck dieser Suche nach Katharsis, dem Bedürfnis nach Erlösung von einem Sujet, das nicht losläßt. In der Performance werden Farbe, Stoff, Körper, brünstige Ave-Maria -Arien, Schleier, Blumen, rote Tücher bis an den Rand psychischer Erträglichkeit aneinander gesteigert, in der Zeit gedehnt, wiederholt. Keine auf den Zuschauer bezogene Provokation, eher eine zwanghafte Notwendigkeit, Verarbeitung eines Traumas. Nacktheit nicht als voyeuristisches Zurschaustellen, sondern als Prädestination zum Tod, Todesweihe. In stillem Einverständnis, aber ohne vorherige Absprache, vollzieht die Gruppe alle nötigen Schritte eines improvisierten Rituals. Wenn das Opfer, mehrmals in die richtige Pose gebracht, mit der Rosendornenkrone als Halsband, geschändet, gewickelt, mit dem Stuhl kieloben am Boden treibt, wird es sorgfältig dekoriert, mit Luftschlangen behängt, die irr grinsende peruanische weiße Maske verziert ein Kreuz. Rosa Plastikherzkissen mit der Aufschrift „Ich liebe Dich“ werden mit Sorgfalt aufgeblasen, Asche auf den Schleier gestreut, Tücher mit Hingabe zusammengelegt: Begräbnisriten.

Dorothee Hackenberg

Jeweils freitags wieder Performance: heute, am 2., 9. und 16. Februar ab 17 Uhr