Demokratisierung in Rumänien stockt

Demonstration gegen „Front zur Nationalen Rettung“ in Bukarest / Front lädt Parteien zum runden Tisch  ■  Von William Totok

Berlin (taz) - Drei der neugegründeten politischen Parteien Rumäniens forderten gestern in einer gemeinsamen Erklärung die „Front zur Nationalen Rettung“ auf, die Macht abzugeben und die Bildung einer neuen Übergangsregierung einzuleiten. Mit dieser Resolution nahmen die Bauernpartei, die Nationalliberale Partei und die Sozialdemokratische Partei die Unzufriedenheit auf, die in den letzten Tagen gegenüber der Revolutionsregierung und der „Front zur Nationalen Rettung“ in Rumänien laut geworden war. Äußeres Zeichen dieser Unzufriedenheit sind Demonstrationen in Bukarest und der Austritt der prominenten Dissidentin Doina Cornea aus der „Front zur Nationalen Rettung“. Sie erklärte ihren Rücktritt als Ehrenvorsitzende der Front in Klausenburg (Cluj).

Die Unruhe in der rumänischen Öffentlichkeit wuchs spätestens seit Dienstag, als der Ex-Kommunist und Sprecher der „Front zur Nationalen Rettung“ Silviu Brucan bekanntmachte, daß die Front bei den Wahlen als Partei auftreten wird. Viele Rumänen horchten auch auf, als Ion Iliescu, Chef der Front, das Mehrparteiensystem kritisierte. Und als dann die Front auch noch selbstherrlich den Wahltag ohne Abstimmung mit den Parteien auf den 20. Mai festlegte, war das Maß voll. Am Mittwoch warfen etwa 1.000 Demonstranten der Front vor, sie sei mit Kommunisten durchsetzt. Auf einem Transparent war ein Bild angebracht, auf dem Iliescu mit dem gestürzten Diktator Ceausescu beim gemeinsamen Tennisspiel zu sehen war. In dem Slogan „Ceausescu-Iliescu“ drückten die Demonstranten ebenso wie die drei Parteien in ihrer Resolution die Sorge aus, das neue Regime stehe in Kontinuität zum alten System.

In der Erklärung der Parteien heißt es, man könne wohl kaum von freien Wahlen sprechen, wenn die Front weiterhin „auf totalitäre Weise“ den Staatsapparat, den Rundfunk und die Zeitungen im Griff habe. Der Sturz der Diktatur sei ein Sieg des Volkes, den ihm niemand streitig machen dürfe. Die kritischste Zeitung des Landes, 'Romania Libera‘, schrieb am Fortsetzung auf Seite 2

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Donnerstag in einem Kommentar, die Teilnahme der Front an der Wahl berge die Gefahr in sich, daß die Einparteienherrschaft unter einem anderen Etikett wieder restauriert werde. Auch Doina Cornea äußerte sich in einem Interview mit der briti

schen Rundfunkanstalt BBC kritisch über das neue System: die Front habe den alten Machtapparat nur einer oberflächlichen Fassadenreparatur unterworfen.

Auch in den Provinzen wächst die Unruhe. Als am Sonntag in Temeswar die offiziellen Zahlen bekanntgegeben wurden, wieviele Opfer die Revolutionstage gefordert hatten,

gingen Hunderte spontan auf die Straße. Denn diesen Angaben gemäß sollen lediglich 100 Opfer zu beklagen sein. Das Militär, das seit Sonntag die Macht in Temeswar übernommen hatte, hat trotz gegenteiliger Beweise noch nicht einmal zugegeben, in den Anfangstagen der Revolution selbst auf die Demonstranten geschossen zu haben.

Indessen hat die in Rumänien regierende „Front zur Nationalen Rettung“ die neuen Parteien des Landes zu Gesprächen am Runden Tisch eingeladen. Wie Radio Bukarest am Donnerstag meldete, schlug die Regierung den 27. Januar als ersten Tag der Gespräche vor. Als erstes Thema schlug sie vor, ein Wahlgesetz auszuarbeiten.