Ungesicherte Unsterblichkeit

■ Arturo Benedetti Michelangeli spielte mit dem NDR-Sinfonieorchester Mozarts Klavierkonzerte C-Dur und B-Dur

Für ungezählte klavierspielende Töchter und Söhne ist er ein Gott: Arturo Benedetti Michelangeli - der Name schon vereint Klangschönheit und Kraft. Ausgerüstet mit gewaltigen technischen Möglichkeiten blieb er der nie Zufriedene, der in olympischer Einsamkeit nach Vervollkommnung strebt, auf der Suche nach dem idealen Klavierklang, nach der wahren Interpretation. Ein großer Künstler und ein geeignetes Identifikationsobjekt für klavierspielende Seelen.

Charismatische

Exzentrizität

Wem Pollini zu links ist, Gulda zu kreativ und Glenn Gould zu übertrieben, der findet sich bei ihm und genießt die charismatische Exzentrizität, auch wenn die schon mal mit kurzfristigen Konzertabsagen verbunden war.

Mittlerweile ist der Maestro siebzig und vereint mehrere Generationen anbetender Jünger. Und er spielt Mozart. Mit den göttlichen Werken Mozarts will er sich die Unsterblichkeit sichern. Dieses Ansinnen ist nicht besonders originell, gilt es doch sozusagen als herrschendes Pianistenwissen, daß Mozart erst mit der Reife und Weisheit des Alters verstanden wrden kann.

Vielleicht ist es die Mischung aus „zu leicht und zu schwer“, von der Mozart in einem brief an seinen Vater über die Klavierkonzerte KV 413, 414 und 415 schreibt, die eine Interpretation so schwierig macht. Ästhetik des 19.Jh.

Vielleicht ist es aber vor allem die Gebundenheit fast aller Pianisten an die Ästhetik des 19. Jahrhunderts, die den Zugang zum 18. Jahrhundert und damit zu Mozart blockiert. Mozart war zu seiner Zeit in erster Linie der gefeierte Pianist, der die Klavierkonzerte gezielt für Aufführungen komponierte. Eine Aufgabe dieser Konzerte war es, das Publikum zu gewinnen, und wenn im Publikum wichtige Persönlichkeiten - wie Joseph II bei der Aufführung des

C-Dur Konzerts saßen - wurde die Orchesterbesetzung eben etwas aufwendiger. Kunst, die im Leben steht. Deshalb war es auch notwendig, einen gewissen Wechsel einzuhalten zwischen schweren, tiefsinnigen Klavierkonzerten und solchen, die eher dem Publikumsgeschmack verbunden sind.

Nach der einleitenden D-Dur Sinfonie beginnt Michelangeli mit dem C-Dur Konzert, das Mozart bewußt etwas leichter gehalten hat, damit „auch die Nichtkenner zufrieden sein müssen, ohne zu wissen, warum“. Michelangeli spielt die beiden schnellen Sätze rhythmisch klar, durchsichtig, ohne im Tempo zu übertreiben, aber auch ohne übertriebenen Schönklang. Dem Orchester ist er Partner, drängt nicht nach vorn, wohlwissend, daß der Klavierpart zu jeder Zeit wahrgenommen wird. Genau die Mischung zwischen Dialog und Individualität, die Mozarts Klavierkonzerte ausmacht. Ich bin begeistert.

Gott trifft Gott

Den langsamen Mittelsatz spielt er ebenfalls klar und bereitet dennoch Probleme. Gott Michelangeli trifft auf den göttlichen Mozart und gibt jedem Ton eine Bedeutungsschwere, die Michelangeli über Mozart siegen läßt. Während er in den schnellen Sät

zen von Mozart gezwungen wird, in der Doppeldeutigkeit des Wortes einfach nur zu spielen, gestaltet er den langsamen Satz wie das Testament seiner fünfzigjährigen pianistischen Geschichte. Das Andante wird zum tiefgründigen Schreiten verbogen.

Ähnliches gilt für das B-Dur Konzert. Michelangeli spielt Mozart in den schnellen Sätzen und sich selbst im langsamen Mittelsatz.

Aber auch da gibt es, neben dem grauseligen, langgezogenen Ritardando zum Schluß, natürlich wunderschön gestaltete Stellen, wenn zum Beispiel sich zur Melodie der Bläser das Pizzikato der Geigen und die Akkordbrechungen des Klaviers zur Begleitung verbinden.

Höhepunkt des Abends war für mich bei aller gebrochenen Liebe zu Arturo Benedetti Michelangeli

das NDR-Sinfonieorchester unter Cord Garben. Die einleitende D-Dur Sinfonie, übrigens auch von Mozart zur Eröffnung seiner Konzerte benutzt, war hinreißend gradlinig, luftig und liebevoll. Mit Garbens Mozartbild konnte ich mich identifizieren.

Das von Arturo Benedetti Michelangeli bietet Stoff zum Nachdenken. Andreas Lieber