Datschen am blauen Auge der Altmark

■ Im Umland unterwegs / Heute: auf dem kürzesten Weg in die DDR-Provinz / Auch Salzwedel hat seinen „Schalck-Golodkowsky“

Wenn Bremer in die DDR fahren, dann fast immer nach Rostock. Partnerschaft verpflichtet. Dabei liegt etwa Salzwedel viel näher. Man fährt einfach quer durch die Lüneburger Heide, dann ein kleines Stückchen ins Wendland hinein (Gorleben -County), und wenn man 180 Autokilometer (per Bahn gehts leider nicht) hinter sich gebracht hat, dann ist man da. Salzwedel, eine Kreisstadt dicht hinter der Grenze, mit 24.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Altmark, umgeben von Wäldern und Rübenäckern.

Einfach nur schauen und sinnen, das ist bei DDR-Reisen heute nicht leicht. Salzwedel ist an diesem klaren Samstagmorgen auf den (kalten) Füßen. „Volkes-Stimme, Volkes -Stimme!“ skandieren Demonstranten vor dem Verlagsgebäude der SED-Zeitung „Volksstimme“, und donnern ganze Bündel des ungeliebten Blattes in den Hauseingang.

Salzwedel, die abgeschiedene Kreisstadt hat ihren „Fall Schalck-Golodkowsky“. Der korrupte Provinzbonze heißt Gerhard Lahr, und als sein Name auf

der Abschlußkundgebung fällt, geht ein ohrenbetäubendes Gejohle los. Der Grund des Volkszorns: Lahr, Chef eines Forstbetriebes, ist von einem Kontrollausschuß des Landkreises der persönlichen Bereicherung überführt worden. Aber Staatsanwalt und Polizei haben ihn nicht festgenommen, sondern ihm im letzten Moment zur Flucht verholfen. Nicht nur sich selbst soll Lahr bereichert haben, sondern auch Freunde und SED-Genossen. So hat er in seinem Betrieb einen Tresen für die Kellerbar von Politbüromitglied Günter Mittag bauen lassen, verziert mit altdeutschen Schnitzmotiven, echt Eiche.

Die SED hat es also schwer in Salzwedel. Den Posten des Bürgermeisters wurde sie schon im Dezember an die CDU los, und das wird Folgen haben: Der 1. Mai 1990 wird nicht mehr als politischer Feiertag begangen, kündete CDU-Bürgermeister Siegfried Schneider an. Statt dessen soll ein Mann geehrt werden, dem dieser Tag immer schon zustand, der heilige Josef.

Nicht weit von Salzwedel liegt der Arendsee, das „blaue Auge der Altmark“. Datschen verunzieren das südliche Ufer, aber die

Schilfgürtel und Wiesen gegenüber durften bis vor wenigen Wochen nicht betreten werden - wegen der nahen Grenze lagen sie im

Sperrgebiet - und sind deshalb ein ökologisches Kleinod. Auch die Wasserqualität ist deutlich überm Schnitt. Der Grund: Der

Arendsee läuft in den Mühlgraben über. Aber nicht das saubere Wasser aus den oberen Schichten lassen die DDR -Behörden in den Westen rinnen. Sie pumpen vielmehr phospatreiches Tiefenwasser über die Grenze.

Vor dem „Stift der adeligen Fräulein“, hoch über dem See hat die Vopo einen neuen Parkplatz eingerichtet, für Westwagen. Dienstbare kleine Jungen weisen die Autos ein und bieten unter den Kiefern Tee und Kuchen an. „Die Westler haben uns so nett empfangen, da wollen wir uns revanchieren“, erklärt der elfjähige Lars. „Kostenlos“, steht auf dem Schild am Campingtisch, aber die „Westies“ geben natürlich alle was.

Als eine zweite Kindergruppe mit Thermoskannen und Kuchenkörben zwischen den Autos auftaucht, fliegen fast die Fäuste. „Das war unsere Idee und unser Geschäft“, schreit Lars immer wieder und zerrt der Konkurrenz das Plastetuch vom Tisch. Schließlich geben er und die Seinen nach: „Die holen sonst noch ihre Väter“.

mw