„Euch Schwule müßte man alle ausrotten....“

■ Gewalt gegen Schwule in Bremen / Von der alltäglichen Diskriminierung bis zur Körperverletzung / Ein Rat- und Tat-Berater berichtet

Was passiert wenn zwei Männer Arm in Arm durch die Obernstraße gehen ? Garantiert wird ihnen hinterhergeglotzt. Höchstwahrscheinlich werden sie auch noch angepöbelt und wenn sie Pech haben, widerfährt ihnen sogar Schlimmeres. So z.B. Uwe Lüke, der einen Bekannten in der Obernstraße mit Backenkuss begrüßte. Eine Gruppe von zehn Jugendlichen, darunter auch Ausländer, beobachtete und verfolgte die beiden deshalb durch die Obernstraße. „Die haben uns umkreist und beschimpft mit Sprüchen wie: Ihr Aidsbazillen! oder: Ihr miesen Arschficker! Wir haben uns dann gewehrt, wir wollten ja aus diesem Kreis raus. Das war ziemlich bedrohlich, zumal uns auch keiner von den vielen Passanten geholfen hat. Wir sind getreten und bespuckt worden.“

Uwe und sein Bekannter flüchteten zu Montanus. Dort wollten sie mit der Polizei telephonieren. Doch das wurde ihnen zunächst verwehrt: „Die sagten uns: 'Wir können das Telephon zur Zeit nicht benutzen‘, aber das war natürlich Quatsch. Wir waren in dem Moment aber zu durcheinander, um uns für unsere Rechte einzusetzen“, berichtet Uwe.

Uwe Lüke arbeitet als Zivildienstleistender im Rat und Tat -Zentrum, u.a. auch am Beratungstelephon für Schwule. Er gehört deshalb zu den BremerIn

nen, die einen kleinen Einblick haben, inwieweit Gewalt gegen Schwule zum Bremer Alltag gehört. Die meisten Schwulen, denen Ähnliches oder Schlimmeres wie Uwe und seinem Bekanntenwiderfahren ist, gehen nicht zur Polizei, aus Angst sich dort als Schwuler zu erkennen geben zu müßen. Die Angst vor der Diskriminierung am Arbeitsplatz, in der Familie oder in der Nachbar

schaft ist bei den meisten der schätzungsweise 25.000 Schwulen in Bremen so groß, daß sie das Coming-Out nicht wagen. Selbst beim anonymen Beratungstelefon erreichen die Rat- und Tatleute nur geschätzte vier Prozent der Fälle. „Viele Überfälle finden in den Sommermonaten an den Schwulentreffpunkten in den Parks statt. Jugendbanden machten dort, was sie 'Schwule ticken‘

nennen. Das sind teilweise Ausländer und Deutsche, die in Banden Schwule ticken, aber es sind auch Rechtsradikale. Da werden Schwule, die im Park spazieren gehen überfallen. In einem Fall ging das so weit, daß sie bis nach Hause verfolgt wurden und dort dann die ganze Wohnung zertrümmert wurde,“ berichtet Markus Kaminski von seinen Erfahrungen am Rat- und Tat-Tele

phon. Er erlebte selbst so einen Überfall: „Ich war mit meinem Freund in einer Schwulenkneipe, als welche hereinwollten und gegen die Tür sprangen. Als sie nicht hereingelassen wurden, flogen Steine durch die Fensterscheiben. Da wir am Fenster saßen, gingen wir raus und wollten die zur Rede stellen. Der eine von drei Jugendlichen zückte auf einmal ein Messer und meinte zu mir: 'Euch Schwule müßte man alle ausrotten'“.

Auch das Rat und Tat-Zentrum hat seine Erfahrungen mit der Aggression, die es gegen Schwule gibt. Alleine im letzten halben Jahr wurden die Scheiben des Cafes, das vom Zentrum betrieben wird, dreimal eingeschlagen. Fast täglich sind auf dem Anrufbeantworter Drohungen und Beschimpfungen zu hören, die den Leuten vom Zentrum auch Angst machen. Ein Beispiel: „Ihr verdammten Mistkerle, wir sprengen euch alle in die Luft. Ich lauere euch auf. Paßt nur auf. Wir kriegen euch ihr verdammten Kacker.“

Wie stark die Abneigung gegen Schwule verwurzelt ist, zeigen Anrufe von Ratsuchenden, in deren Nachbarschaft herausgekommen ist, daß sie schwul sind. Die berichten den Beratern ganz verstört und verzweifelt von Kindern, die sie auf der Straße hänseln. Diese Angst vor der Diskri

minierung kann zu schlimmen Folgen führen, meint Jochen Driefemeyer, ein weiterer Rat und Tat'ler: „Ich denke, das beste Beispiel überhaupt für die negative Qualität der Diskriminierung ist die Tatsache, daß niemand anderes in der Bevölkerung gezwungen ist, einen Park aufzusuchen, weil die Gesellschaft ihm in einem normalen Umfeld sein Liebesleben nicht gönnt. Und in so einem Park kann es dann lebensgefährlich werden.“

Driefemeyer kritisiert auch die mangelnde Solidarität unter den Schwulen: „Einem Schwulen helfen, heißt für die meisten, sich selbst als Schwuler zu erkennen zu geben. Und daher unterbleibt die Hilfestellung im Park, am Arbeitsplatz oder wo auch immer“. Die Rat und Tatler wünschen sich, daß mehr Fälle von speziell gegen Schwule gerichteter Gewalt zur Anzeige kommen. Das wäre auch halb so wild, denn mit der Polizei haben sie - anders als Schwulenorganisationen in anderen Städten - gute Erfahrungen gemacht. Nur so könnte man der Meinung entgegenwirken, Schwule seien Opfer, die sich nicht wehren.

David Safier

Rat und Tatzentrum: Theodor Körnerstr 1. Beratungstelefon: 70 41 70