Interflug Nr. 9102

■ Profi-Touris (West) und Azubi-Touris (Ost) gemeinsam im Flieger (Ost) zur „bezaubernden Inselwelt Sri Lankas“

Ganz ohne angeekelt verzogene Mundwinkel kann ich den Wunsch der fast ex-sozialistischen Deutschen verstehen, nun dalli-dalli den Beruf des Konsumenten zu erlernen. Widerlich, jene Fast-Ex-Westlinken, die bei pochiertem Lachs und einem Schoppen Sancerre die östliche „Konsumwut“ geißeln.

Wer konsumiert, soll sich auch vergnügen, und wie der Deutsche sich vergnügt, wissen wir: er reist, was das (Flug -)Zeug hält. Dieser Wintertage startete in Schönefeld der erste Charterflug für DDR-Bürger. Viertausendzweihundertundeinpaarzerquetschte Ostmark waren zu berappen für pauschale zwei Wochen „bezaubernde Inselwelt Sri Lankas“. Eine ganze Nacht habe er vor dem Reisebüro angestanden, erzählt der Diplom-Biologe Erwin und trägt in die Devisenerklärung für Colombo ein: eingeführt 90 Mark. Daß der Pauschalreisende in der exotischen Ferne auch wiederum nicht sehr viel mehr entdeckt als das Bekannte, daß die Gänge für ihn geregelt, die Bilder für ihn geordnet werden, kurz: daß man ihm Leipziger Allerlei aus der Dose und Tütensuppen vorsetzen wird, gehört mit zum Lehrgeld des Tourismus-Azubi.

Getrennt durch unterschiedliche Auffassungen von ordentlichem Reisechic und geeint durch die Berliner Blässe harren Westler und Ostler der Stewardessen, die da kommen. Interflug gibt sich gewaltig international, weltläufiges Flair, das prompt in realexistierender Piefigkeit endet. Eine überkandidelte Mikrophonstimme wünscht „beonders all jenen, die nicht ihren Wohnsitz in West-Berlin haben“, einen Traumurlaub und Goldmädel Kirsin Otto enttarnt per Video den am Sitz befindlichen Riemen mit Beißring als Fitnessgurt - eine unvergleichlich pläsierliche Einlage. Im Bordkino „Crocodile Dundee II“ - doch anschließend gleich vier saure DDR-Stadtporträts, in denen es von Japanern und übervollen Kuchentabletts nur so wimmelt. Ein weiteres Video -Spezial wird leider nicht geboten: „Spitzenleistungen der Wissenschaft - Die Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie nach Prof. Manfred von Ardenne“.

Steinhart hochtoupierte Stewardessenfrisuren mit rougebeworfenen Gesichtern darunter schweben durch kackbraune Sitzreihen und verteilen kostenlose Getränke. Der Bitte um Bier und Mineralwasser wird mit einem muffigen „Na ausnahmsweise!“ nachgekommen, dafür gibt's dann aber keine Flasche Bier, sondern pro Person wird ein dreiviertel Becher zugeteilt.

Die Westler („Also auf unseren Spanienflügen ist das ganz anders!“) finden es unmöglich, die Ostler nichts dabei. Die einen trinken ihr Radeberger, während die anderen mit lauter Selbstverständlichkeit nach Piccolos verlangen, die dann auch prompt ab Reihe 12 aus sind - ein Notstand, der auch die Biertrinker im zweiten Durchgang ereilt.

Während verhätschelte Nasen einen entfernten Duft nach Sauerkraut wittern, gibt es eine kleine Sensation zu bestaunen: die locker und dezidiert politisch diskutierende Interflug-Stewardess; auf dem Blatt, das sie nicht vor den Mund nimmt, hätte noch vor Wochen ihre Versetzung zum Bodenpersonal gestanden. Ansonsten sind Ost-West -Fraternisierungen eher die Ausnahme, Kunstfaserblusen und Seidenhemden bleiben jeweils unter sich.

(Zehn Flugstunden später am Einreiseschalter in Colombo wird sich die Zwei-Staaten-Gesellschaft denn auch heftig entzweien. Die Immigrationsbeamten sind ratlos, sie können mit diesen merkwürdigen blauen Pässen nichts anfangen. Heissa, da zeigen die Könige mit den schönen Maschinenlesbaren aber ihr häßliches Gesicht: „Mann, wegen denen müssen wir hier rumstehen“, zetert ein vorgebräunter Bauchträger, „halt doch mal den Roten hoch, da sieht man doch gleich, daß wir was Anständiges sind!“

Die feinen Westnäschen hatten übrigens recht gehabt. Als Abendmahl reicht Interflug Kassler mit Sauerkraut. Aber wenigstens das Schmankerl hinterher hat Klasse: die cremegefüllte Schokowaffel „Echte Brandenburger“. Mit Bananengeschmack!

Matthias Frings