Gentechnik-betr.: "Wer schützt uns vor dem Schutzgesetz?" und "Die ganze Veranstaltung gleicht einem Ritt über den Bodensee", taz vom 19.1.90

betr.: „Wer schützt uns vor dem Schutzgesetz?“ und „Die ganze Veranstaltung gleicht einem Ritt über den Bodensee“, taz vom 19.1.90

Dick unterstrichen habe ich in dem Interview die Frage: „Welche Rolle spielen denn moralische und ethische Gesichtspunkte?“ und die lapidare Antwort: „Keine. Das ist eine Fragestellung, die hier nicht vorgesehen ist.“

Ich glaube, daß trotz der möglicherweise katastrophalen konkreten Folgen der Gentechnologie letztlich dieser Gesichtspunkt der zentrale ist. Die Tatsache, daß die Frage, ob überhaupt Gentechnologie und Gentechnik eine wünschens und unterstützenswerte Betätigung sei - eine Frage, die uns alle als Menschen und als Lebewesen im Innersten betrifft -, bei der Erörterung des Gesetzes gar nicht vorkommt, ist ein Zeichen dafür, in welchem Maße bei uns die Sphäre des Politischen zugunsten bloßer (Verwaltungs-)Technik zurückgedrängt ist. Tatsächlich läßt sich ja auch die Opposition weitgehend darauf ein, indem sie ihre Kritik im wesentlichen in der technischen Sphäre beläßt. Anstatt über Sinn und Unsinn der Gentechnik zu diskutieren, werden Risiken abgewogen, das heißt, wird die technische Umsetzung der selbst kaum kritisch Befragten thematisiert. J.Habermas nennt dieses Phänomen die „Eliminierung des Unterschieds von Praxis und Technik“ und spricht von der „Verdrängung der 'Sichtlichkeit‘ als einer Kategorie für Lebensverhältnisse überhaupt“ („Technik und Wissenschaft als 'Ideologie'“).

Wenn Demokratie bedeutet, daß die Bevölkerung ihre Belange in die eigenen Hände nimmt, dann muß dies doch zuallererst für die Kernfragen unserer Existenz gelten. Die Frage, ob eine bestimmte Wissenschaft mit den dahinterstehenden Verwertungsinteressen der Wirtschaft Zugang zu den biologischen Grundlagen des Lebens erhalten soll, ist eine solche Frage, die streng genommen auch nicht von einem Volk/einer Nation für sich entschieden werden kann, da in dieser grundsätzlichen Dimension alle Menschen dieser Erde von dieser Technologie und Technik betroffen sind (abgesehen von möglichen wirtschaftlichen und ökologischen Folgen). Daraus folgt, daß Gentechnologie und Gentechnik demokratisch nicht zu legitimieren sind (ein hypothetischer Welt-Konsens ist nicht herzustellen und würde die nachfolgenden Generationen übergehen). Die Art und Weise, wie das neue Gesetz von der Bundesregierung durchgeboxt wird, führt erneut vor Augen, daß wir entgegen dem Freiheits- und Demokratie-Gejubele (das die beiden Begriffe mit den Zuständen im Westen identifiziert) in einer bloßen Scheindemokratie leben, deren Entfernung von einer wahrhaft demokratischen Gesellschaft ähnlich groß ist wie im ehemaligenreal existierenden Sozialismus.

Dominik Haas, Köln