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„Zählkarte“ für DDR-Bürger

■ DDR-Flugreisende müssen in Tegel einen „Fragebogen“ ausfüllen / Grundlage der behördlichen Neugier ist eine alliierte Anweisung aus dem Jahre 1978

Wenn DDR-Bürger eine Flugreise in das Bundesgebiet planen, kann ihnen Unbequemes widerfahren. Spätestens am Flughafen Tegel. Die Flugkarte ist gekauft, das Gepäck aufgegeben, die Bordkarte ausgehändigt worden. Jetzt müssen nur noch die Paßformalitäten erledigt werden. Und da kann es Probleme geben, nicht für alle, aber für all die Bürger der DDR, die weder Rentner sind noch Verwandte in der Bundesrepublik haben. Während der Berliner Senat sich mit großem Brimborium für die Abschaffung der Zählkarten an den DDR-Grenzstellen stark machte, muß sich die Mehrheit aller fliegenden DDR -Passagiere an den westlichen Paßkontrollstellen Fragen gefallen lassen, die die Angaben in den Zählkarten weit übertreffen. Herausgewunken von den kontrollierenden Polizeibeamten werden auch die Bürger, die sich mit einem „Dienstpaß“ oder mit einem „Dienstvisum“ ausweisen. Sie werden in einen extra Raum gewiesen und erhalten einen Fragebogen, den sie säuberlich auszufüllen haben. Wohin die Reise geht, wird gefragt, ob München, Stuttgart oder anderswo nur Transitstationen sind; wer besucht werden soll

-und Gipfel der Indiskretion - Namen und Adresse der westdeutschen Gastgeber. Auch die persönlichen Daten sind von Interesse. Dienstreisende haben obendrein den Zweck des geplanten Besuches auszuführen.

Die ganze Neugier und der bürokratische Aufwand sind ein Ergebnis alliierter Fürsorge. Sie wollten immer schon wissen, wohin die Reise von Bürgern aus den Ostblockstaaten geht, und das Interesse ist auch seit der praktischen Reisefreiheit der DDR-Bürger nicht kleiner geworden. Der alliierte Fragebogen ist Ergebnis der Anweisung „BKL/78-19“ und gilt seit 1978. Während die Presseoffizierin der britischen Alliierten Kommandatur, Frau Brett-Rooks, bestätigt, daß dieser Erlaß für die Mehrheit aller DDR -Flieger gültig ist und die ausgefüllten Fragebögen bei der Westberliner Polizei gesammelt werden, schränkt die kontrollierende Polizei den Personenkreis auf Dienstreisene ein, macht bei normal Reisenden nur Stichproben.

Die Berliner Senatskanzlei hält sich bei dem Thema „Fragebögen für DDR-Bürger“ bedeckt. Während Herr Jacob von der Pressestelle von nichts wußte und, „wenn es so etwas gäbe“, die Fragerei für eine „Absurdität“ hält, wies der für Paßfragen zuständige Abteilungsleiter Herr Schuhmann die taz für weitere Recherchen an die Alliierte Kommandatur. „Wir sind dafür nicht zuständig“, so hieß es aus dem Senat. Bei aller unterschiedlicher Behandlung von DDR-Reisenden steht aber eines fest: Die Reisebüros der Stadt sind angehalten, DDR-Flieger auf längere Kontrollen vorzubereiten, „mit Kontrollzeiten von einer Stunde“ kann gerechnet werden.

ak.

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