„Weibliche Ästhetik, wenn eine Frau schreibt?“

■ Der Luise-F.-Pusch-Fan-Club erfreute sich an ihren Thesen von der männlichen Geschichte der Sprache

Gibt es eine weibliche Ästhetik? Die Frage scheint die Frauen umzutreiben. Jedenfalls kamen sie - einige Männer als bunte Schecken dazwischen - zuhauf zum ersten Abend des diesjährigen Bremer Literaturgesprächs in den bald überquellenden Saal der Angestelltenkammer: Überall saßen sie, auf den Stühlen, davor, dahinter, dazwischen, auf dem Fenstersims. Das Literaturgespräch unverhofft wiederbelebt.

Welch ein Irrtum. Zuerst aber das Erschrecken des Stars (der Starin?) des Abends vor den Massen: Luise F. Pusch. Wer, wollte sie wissen, hat, was sie nun vorzutragen wünsche, in den letzten Monaten und Jahren bei ihren di

versen Vorträgen vor allem im Frauenkulturhaus bereits gehört? Relativ wenige Hände heben sich. Beruhigt lehnt Luise Pusch sich zurück und hebt an. Sie ist ja unterhaltsam mit ihren polemisch zugespitzten Thesen, mit denen sie, teils ironisch, teils durchaus ernsthaft, sich dafür ins Zeug legt, daß die Sprache ihr alle Logik hohnsprechendes Verhalten, Äpfel und Birnen zu vergleichen, endlich ablege. Oder ist es etwa logisch, wenn aus zehn Sängerinnen und einem Sänger flugs elf Sänger werden? Ergäben zehn

Kreise und ein Quadrat elf Quadrate?

Wider das Masculinum als übergeordnete Pluralform setzt Luise Pusch eine weibliche Sprachrevolution: deren totale Feminisierung. Also: elf Sängerinnen, der eine Sänger steckt implizite, jedoch deutlich darinnen. Ein paar tausend Jährchen so therapiert, und die Sprache, d.h., die sie sprechen, würden erkennen, daß die Frau sowenig im Mann enthalten ist wie der Mann in der Frau, daß es also neben den geschlechtsspezifischen Genera

auch ein geschlechtsneutrales Genus braucht.

So weit, so polemisch amüsant, gar nicht feministisch verbiestert, doch auch nicht sonderlich neu die Thesen von Luise Pusch. Danach hätten wir schleunigst nach Hause gehen sollen, dann wären wir nicht in einem Meer von Peinlichkeit versunken. Denn nun sollten drei Bremer Autorinnen kundtun, wie sich Luise Puschs Thesen auf ihre Textproduktion auswirke. Vorsichtige Distanz. Die Pusch'sche Analyse und Polemik finden alle gut, aber als Rezept zur ästhetischen Produktion nun doch nicht so recht geeignet. Sprache funktioniere nicht so theoretisch konzeptionell. Schweigen. Aber die Autorinnen hätten doch eigene Texte mitgebracht, meint die Moderatorin Birgit Weißendorn. Stimmt. Und sie lesen sie auch vor. Zuerst Brigitte Bohnhorst. Sie liest eine „erotische Geschichte, die vermutlich provozieren wird“. Das ist wohl ins Auge gegangen, die Gesellschaft erstarrt in peinlichem Schweigen vor den angehäuften sprachlichen Klischees. Dann Inge Buck. Sie liest einen kühlen, sprachlich sehr reduzierten, zu hörbar konstruierten Text über Sex und Aggression, über Angst und Angstlust. Dann liest Konstanze Radziwill eine nette, launige Petitesse: Leidiger Lebenslauf. Und jetzt noch Luise Pusch mit einer ihrer Glossen: Schreiben Männer anders? Oder: Was ist noch männlich an Camelia Galotti? Nach dem Text noch ein Rezept aus ihrer Griffelschachtel. Wolle und Ton seien viel zu teure Materialien für den Ausdruck weiblicher Kreativität, Wortspiele viel billiger. Was den ihren oft genug anzuhören ist. Aber was nun? Über die vorgetragenen Texte reden? Sie daraufhin untersuchen, ob es eine „weibliche Ästhetik“ gibt? „Ist weibliche Ästhetik, wenn eine Frau schreibt?“ fragt eine

Zuhörerin und will wissen, wie es denn dann mit den Wertmaßstäben, mit den künstlerischen Ansprüchen bestellt sei? Da nun verliert Luise Pusch ihre ironisch-polemische Facon, außerhalb ihres engen Sprachkorsetts ist ihr Witz dahin - und was zum Vorschein kommt, ist eine Form von Borniertheit, die peinlich berührt und erschreckt. Nein, die Frage nach einer weiblichen Ästhetik nehme sie nicht ernst. Ästhetik sei eine Machtfrage, ergo männlich, männlich auch das Verlangen nach Wertmaßstäben. Uninteressant finde sie die Diskussion ästhetischer Formen, uninteressant „Lacan, Derrida, diesen ganzen Schrott“. Und: „Die Leserinnenschaft liest mehr und mehr Biographien, seit uns diese Möglichkeit geboten wird, weil da noch ordentlich erzählt wird.“ Ein sprechendes Beispiel, daß das Vereinnahmen nicht nur ein männlicher Gestus ist.

Die Frauen auf dem Podium sind verstummt, Schweigen auch im Saal, bis auf das permanente pubertäre Gekicher der Frauen vom Luise-Pusch-Fan-Club, das besonders anschwillt, wenn ein Mann wagt, sich zu melden. Das allein ist Grund zum Lachen, da muß man nicht auch noch zuhören. Argumentieren ist auch Luise Puschs Sache nicht: wo sie nicht mehr mit ihren Thesen operieren kann, sondern sich auf einen Austausch von Gedanken einlassen müßte, verschanzt sie sich hinter dem Verdikt: typisch männlich.

Christine Spiess