Kir Royal und Schnulze

■ Zur „Blauen Stunde“ ins Ostberliner „Cafe Ecke Schönhauser“

Es gibt sie nicht, die Frauencafes, -kneipen und -zentren in Ost-Berlin - noch nicht. Doch das soll sich bis zum Sommer ändern. Bis dahin bleiben die Frauen zu Hause. „Unser Nachtleben“, sagt Kerstin, eine „frauenbewegte Frau“ aus der Hauptstadt, „spielt sich im Privaten, bei Freundinnen, in Initiativgruppen, oder aber in bisherigen Schwulendomänen ab“. Im „Cafe Ecke Schönhauser“ zum Beispiel, in der Kastanienallee am U-Bahnhof Dimitroffstraße. Dort lädt das Ambiente zur „Blauen Stunde“.

Die Wände, die wie aus chinesischem Reispapier gearbeitet aussehen, lassen Westbesucher stutzen. Vergleichbare Inneneinrichtungen findet man in den Westkneipen nicht. Ergänzt wird der befremdende Eindruck durch meist in Ocker gehaltene Kunstdrucke, die die weißen Wände schmücken. Das „Schönhauser“ macht es seinen BesucherInnen aus dem Westen nicht leicht, sich heimisch zu fühlen, will es möglicherweise auch gar nicht. Wer sich dann allerdings in die wunderbar bequemen, schwarzen, ledernen Sitzgelegenheiten fallen läßt und um sich blickt, weiß: hier bin ich richtig.

Wie überall in Scene-Lokalen in Ost-Berlin lassen sich Scharen von Männern ausmachen. Frauen, vereinzelt aber doch vorhanden, besetzen die Tische in Gruppen oder zu Zweit. Die Einzelne scheint einen Platz an der Theke vorzuziehen. Die Karte ist ungewöhnlich reichhaltig. Zum nachmittäglichen Kaffegenuß locken nicht nur zehn verschiedene Kaffees sondern auch ein großes Angebot von Kuchen und Torten in der Glasvitrine. Ein köstliches Eisdessert kann der krönende Abschluß des Besuchs im „Schönhauser“ sein.

Marianne Rosenbergs „Marlene, eine von uns beiden muß nun gehn“ und viele andere wunderbare Lieder aus vergangenen Zeiten tönen aus den Lautsprechern. Ein junger Mann, der mit seinem Freund an der Theke sitzt, summt mit. Kurz nach dem Refrain setzt er, ihm ins Ohr flüsternd, ein: „Begehrt er dich, so kann ich das verstehn...“ Auch beim nächsten Rosenberg-Hit „Du gehörst zu mir...“ ist ein deutlich hörbares Summen zu vernehmen. Die Cocktailkarte lockt verführerisch. Während dann der Kir Royal prickelt und der gerührte Martini das Gesicht erröten läßt, stellt sich endlich die erhoffte Entspannung der „Blauen Stunde“ ein.

Zwei junge Frauen, eng zusammen sitzend und an bunten Cocktails schlürfend, scheinen sich Gedanken über ihre weitere Abendgestaltung zu machen: „Viele Möglichkeiten bleiben uns ja nicht, vielleicht nach Weißensee, Buschallee“. Vorher aber noch einen weiteren Cocktail und eine Gauloise blonde.

Eine gemischte Gruppe WestlerInnen kommt ins „Schönhauser“. Sie sehen sich unsicher um und warten offenbar auf eine Platzanweisung. Die Jungs fühlen sich in dieser Umgebung merklich unwohl und drängen darauf, wieder zu gehen. Die Mädchen möchten bleiben - man geht. Die Bedienung hinter der Theke grinst und füllt die Glasvitrine mit Rotkäppchensekt. „Wenn's Nacht wird“, sagt sie, „geht der weg wie warme Semmeln.“ Was bleibt, auch wenn's Nacht wird, ist der chronische Frauenmangel in den Kneipen der Hauptstadt.

Annette Weber

„Cafe Ecke Schönhauser“ Kastanienallee/ Ecke Schönhauser Allee, U-Bhf.: Dimitroffstr. Öffnungszeiten Mo bis Fr 11 bis 24 Uhr; Sa und So 15 bis 24 Uhr