Mr.B. liebt Mr.Shi

■ „M.Butterfly“ von David Henry Hwang am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg

New York Times‘, 11.Mai 1986: „Mr.B. war angeklagt, Informationen an China weitergegeben zu haben, nachdem er sich in Mr.Shi verliebt hatte, den er zwanzig Jahre lang für eine Frau hielt.“ Eine Zeitungsmeldung, eine Geschichte. Sie gab den Anstoß zum Theaterstück des Dramatikers David Henry Hwang, Jahrgang 1957, in den USA geboren. Vor zwei Jahren produzierte er sein M.Butterfly am Broadway; Intendant Michael Bogdanov ließ es jetzt vom Londoner Regisseur Keith Hack am Deutschen Schauspielhaus inszenieren, eine kleine Sensation angesichts der allenthalben geringen Neigung, neue Stücke zu zeigen. Offenbar beeindruckten einen Theaterleiter britischer Nationalität deutsche Stadttheatergepflogenheiten und Großkritikerschelte weniger.

Auf der Bühne eine riesige Gefängniszelle, oben beidseitig von Gängen umgeben, von denen Wächter herabsehen. Der Gefangene Gallimard (Mr.B.) erinnert sich. Seine Träume und Gesichte nehmen Gestalt und Stimme an, fahren aus dem Boden, lassen die Wände verschwinden und bemächtigen sich seiner. Gallimard ist ein unansehnlicher, schüchterner Mann, ein Franzose, verheiratet mit Monique, die er nicht liebt. Diplomat war er, später Vizekonsul in China. Seine Zelle wird zum Botschafterpalais, zum ehelichen Schlafzimmer, zur Bühne der Pekingoper mit Tänzern und Akrobaten, bruchlos, wie im Traum. Regisseur Hack schwelgt in opulenten Vexierbildern, die zusammengehalten werden durch den Schauspieler Fritz Scheiwy. Alt und gebrochen schlurft er durch die Zelle und wird zum furchtsamen Kind, wenn die Bilder ihn jagen; Frauen aus dem Pornoheft seines Onkels, die den Zwölfjährigen locken und plagen, sein Schulfreund Marc, der maskuline Draufgänger, die Opernfiguren aus Puccinis Madame Butterfly. Sie ist für ihn Idealbild der Frau, Verkörperung der Liebe. Kunstvoll mischen sich die Ebenen, brechen und kommentieren sich, ironisch und leicht: Die Zelle mit Metallbett und Gitterwänden, Puccinis schwüle Butterfly-Phantasien, die Gallimards Sehnsucht bebildern, und ein künstlisches Diplomaten-China.

Hier begegnet er Song, der koketten Sängerin der Pekingoper. Fritz Schediwy läßt die Zeit vergessen, ist jung und unbeholfen, ein Streber im auswärtigen Dienst. Wenn er seine Traumfrau umwirbt, macht er den unglaublichen Traum glaubwürdig, setzt Körper und Mimik ein bis zum letzten, mit brutaler Komik und mit Schmerz; der lüsterne Mann, der zum ersten Mal Macht erfährt, weil er sich geliebt glaubt, und zugleich der traurige Clown. Er entreißt seine Bilder der eigenen Seele und weiß, daß sie alle trügerisch sind. Schediwy zuckt mit dem Unterleib, steckt den Finger in den Mund, schüttelt seine Hand, nachdem der Botschafter sie berührte, mal beiläufig, mal grell überzeichnet, aber immer im richtigen Moment, ein Meister der kleinen Gesten. Allen Chancen, die Wahrheit über seine(n) Song mit dem pfiffigen Mickymausgesicht herauszufinden, entgeht er. Aber was wäre die Wahrheit? Daß Homosexualität in Maos China verboten war und Song in der Kulturrevolution zur Selbstkritik gezwungen wird?

In dieser düstersten und quälendsten Szene dieses Abends wird die Gefängniszelle zum Aufmarschplatz der roten Garden, das Stück ganz aktuell. Ist die Wahrheit, daß Song immer Spion des chinesischen Geheimdienstes war, auch als er Jahre später zu Gallimard nach Paris kommt und 15 Jahre mit ihm lebt? Oder schließlich das, was der Prozeß gegen beide enthüllt: einen chinesischen Mann, der Gallimards Liebe als puren rassistischen Eigennutz anprangert (und dem man das in der Darstellung von Maverink Quek - nicht recht glaubt)? In diesem zweiten Teil verliert die Aufführung vieles von dem Reiz, den sie bis zur Eroberung der exotischen Lotosblüte hatte. Zu lange und zu langsam wird den verschiedenen Möglichkeiten einer Auflösung nachgegangen, zu sehr wird darauf beharrt, das Uneindeutige, Schwebende und Schillernde von Gallimard und seiner Butterfly auf den Begriff zu bringen. Was jetzt ausgesprochen wird, wußten wir längst: Gallimard liebt eine Frau, weil er sie sich selbst erschuf. Er liebt die Lüge, den weiblichen Körper im exotischen Gewand, weil seine Imagination keine anderen Requisiten bereithält. Die Liebe ist vorbei, als Song sich ihm zum ersten Mal zeigt, nackt und als das, was er ist, doch das Bild und der Traum von ihr sind stärker als nackte Wahrheit: „Heute abend“, sagt Gallimard, „habe ich endlich gelernt, Phantasie von der Realität zu unterscheiden, und jetzt, wo ich den Unterschied kenne, wähle ich die Phantasie.“ Zu genau wissen wir, daß das nicht so tödlich ist wie auf der Bühne. Dennoch stürzt die Inszenierung bei ihrer Gratwanderung durch die Innenansichten menschlicher Projektionen nicht ab. Zu danken ist das dem Schauspieler Fritz Schediwy. Er schuf die Konzentration auf das, was die unglaubliche Geschichte anrührend machte: einen unscheinbaren Menschen im politischen Räderwerk, in all seiner Armseligkeit und mit grotesker Sehnsucht nach dem Unmöglichen.

Lore Kleinert

Zu sehen am 31. Januar und am 1./2. Februar.