Beim Jäger-90-Stopp verliert Daimler Milliarden

■ Das politische Tauwetter sorgt auch bei den Konzernherren für erste Überlegungen zur Rüstungskonversion / Konsequenzen noch unklar, Dasa-Chef fordert „runden Tisch“

München (dpa) - Bei einem Abbruch des europäischen Jäger-90 -Projektes wären für den Daimler-Benz-Konzern Milliardenaufträge verloren. Für Tausende von Beschäftigten, die jetzt schon mit der Entwicklung des neuen Jagdflugzeuges beschäftigt sind, müßten Ersatzaufgaben gefunden werden.

Wie kein zweites Unternehmen in der Bundesrepublik sind die Stuttgarter seit dem Mehrheitseinstieg bei MBB wirtschaftlich eng mit dem Jäger 90 verbunden. Dessen Serienproduktion ist nach der Ablehnung durch die FDP -Bundestagsfraktion zumindest in der öffentlichen Diskussion unsicherer geworden. In der Wehrtechnikindustrie wird daher ein möglicher Stopp des Jäger-90-Programms auch als erstes Beispiel für eine Rüstungskonversion gesehen: In größeren Dimensionen müßten Beschäftigte und Technik aus dem militärischen Bereich für zivile Aufgaben eingesetzt werden.

Am Jäger 90, auch European Fighter Aircraft (EFA) genannt, sind Firmen aus der Bundesrepublik (Anteil 33 Prozent), Großbritannien (33 Prozent), Italien (21 Prozent) und Spanien (13 Prozent) beteiligt. Frankreich stieg aus dem Projekt des einsitzigen Flugzeugs aus und hat die Eigenentwicklung „Rafale“ vorangetrieben. Im Mai 1988 wurde zunächst die EFA-Entwicklung beschlossen. 1991 soll der erste Prototyp fliegen. Für 1992/93 ist der erste Serienvertrag, ab 1996/97 die Auslieferung vorgesehen. In der Bundesluftwaffe soll der Jäger 90 mit 200 Festbestellungen und 50 Optionen das seit über 15 Jahren in Dienst befindliche US-Modell Phantom F4-F ablösen.

Die Bundesregierung bezifferte den deutschen Anteil an den Entwicklungskosten auf 5,7 Milliarden DM; die Beschaffungskosten auf zusätzlich 16,5 Milliarden DM. Statt dieser 22,2 Milliarden DM Gesamtkosten, die vom Bundesrechnungshof in Zweifel gezogen werden, errechneten Kritiker des Projektes Gesamtkosten in einer Größenordnung von 100 bis 150 Milliarden DM bis zum Programmauslauf. Verwiesen wird auf Preissteigerungen, Zusatzkosten wegen technischer Probleme, Bewaffnung und Unterhalt.

Allein Entwicklung und Bau des Jäger-90-Radars kostet 5,8 Milliarden DM. Der Auftrag geht voraussichtlich an ein Konsortium, das vom Radarbereich des britischen Herstellers Ferranti angeführt wird. Dieser Bereich ist jetzt von General Electric (GEC - nicht verwandt mit dem gleichnamigen US-Konzern) übernommen worden. Beteiligt ist auch Siemens. GEC ist zudem Partner in dem von der Daimler-Tochter AEG angeführten Radar-Konkurrenzkonsortium zu Ferranti.

Schätzungsweise 80 Prozent der bundesdeutschen Entwicklungs - und Baukosten für den Jäger 90 entfallen auf die Daimler -Zwischenholding Deutsche Aerospace (Dasa). Zur Dasa zählt MBB als deutscher Jäger-90-Hauptauftragnehmer. Aber auch Dornier als Mitauftragnehmer, MTU als deutscher Partner an einem eigenen Konsortium zur Entwicklung eines neuen EFA -Triebwerks und die aus AEG hervorgegangene Telefunken Systemtechnik für die Elektronik.

Wieviel Beschäftigte derzeit am Jäger 90 arbeiten und welche wirtschaftlichen Konsequenzen ein Aus für die Dasa und damit Daimler hätte, ist derzeit unklar. MBB hatte zum Projektstart mitgeteilt: „In der deutschen Luftfahrtindustrie werden während der Entwicklungsphase rund 5.000 und während des Fertigungszeitraumes etwa 20.000 Mitarbeiter beschäftigt sein.“

Dasa-Vorstandsvorsitzender Jürgen Schrempp erklärte im Dezember 1989: Wenn es kein Votum für eine Serienfertigung gebe, dürfe dies nicht als Konsequenz haben, „daß wir drei Fabriken schließen und 10.000 Leute entlassen müssen“. Untersuchungen veranschlagen rund 10.000 Beschäftigte bei einer Serienfertigung, davon gut 7.000 bei Daimler/Dasa. Die Daimler-Tochter MTU wäre in München mit über 2.000 Beschäftigten am EFA-Triebwerk bei einem Stopp am härtesten betroffen. Bei der Dasa einschließlich MBB arbeiten rund 80.000 Beschäftigte.

Statt plakativer Aussagen, wie die des früheren MBB-Chefs Hanns Arnt Vogels - „wenn wir aus der Entwicklung des Jäger 90 aussteigen, steigen wir möglicherweise technologisch auch aus dem Airbus-Programm aus“, zeigen sich Daimler und Dasa moderater. Es wird auf die Politik verwiesen. Ein Dasa -Sprecher: „Wir akzeptieren das Primat der Politik.“ Fragen der Sicherheitspolitik seien „nicht Sache der Wirtschaft und der Industrie“, meinte ein Daimler-Sprecher. Die Industrie könne aber Zuverlässigkeit und langfristig angelegte Rahmenbedingungen verlangen.

Dasa-Chef Schrempp hat schon einen „runden Tisch“ vorgeschlagen, an dem zusammen mit der Politik eine sozialpolitisch „weiche Landung“ für einen Dasa-Umbau gefunden werden kann, falls es zu Kürzungen in Rüstungsprogrammen komme. Die Verlagerung könnte sich auf die Bereiche Aufklärung, Information und Kommunikation im Wehrtechnikbereich erstrecken und im Zivilbereich auf Umwelt - und Energietechnikfragen. Bei der Dasa ist eine eigene Planungsgruppe damit beschäftigt, neue Anwendungen der militärischen Technologie im Zivilbereich zu finden.

Trotz der Spekulationen über einen Jäger-90-Stopp hatte das Bundeskartellamt in seiner Untersuchung zur Daimler/MBB -Fusion deutlich herausgestellt: „Es ist zunächst nicht vorstellbar, daß sich etwa die Bundesrepublik oder Großbritannien nach der Entwicklung des Jäger 90 entschließen, nunmehr doch die französische Rafale oder die amerikanische F-18 zu beschaffen, falls sie zu der Auffassung gelangen sollten, daß das Preis -/Leistungsverhältnis beim Jäger 90 ungünstiger ist.“ Der Wehrtechnikmarkt hat eigene Gesetze.