: „Der Panther sind wir“
Italiens Politiker und Meiden reagieren wie schon 1968 auf die Studentenproteste: Hinschauen - dann weghören und diffamieren / Privatisierung der Universitäten, steckengebliebene Reformen und berufliche Perspektivlosigkeit für Hochschulabgänger als Hintergründe ■ Aus Rom Werner Raith
Als vor Weihnachten die Studenten von Palermo drei Fakultäten besetzten und eine „totale Mißwirtschaft der Alma Mater“ denunzierten, schien dem Mailänder 'Corriere della sera‘ wieder mal das „Mezzogiorno-Syndrom“ ausgebrochen: Hunderte von Milliarden Lire (eine Milliarde 1,4 Millionen DM) habe man in den Süden zwecks Hochschulausbildung geschaufelt, speziell in die 1970 gegründete „Universita degli studi“ der Inselhauptstadt; doch, natürlich, sei wieder mal alles im mafiosen Boden versickert. Kein Wunder also, wenn die Studenten jammern.
Mittlerweile jammern nicht nur die Studiker im Süden der Republik: Die christdemokratische Parteizeitung 'Il popolo‘ hat für die „atemberaubende Geschwindigkeit“ der Protestexplosion auch schon die richtige Erklärung: Nicht eine falsche Politik sei schuld daran, daß die Fakultäten wie Dominosteine in die Hände der Aufständler gerieten, nein - „die benutzen einfach Telefax, um sich jeweils in Sekundenschnelle miteinander zu verständigen und die Überfälle zu organisieren“. Sogar das Protestsymbol, ein schwarzer Panther - Solidarität zu einer in Rom ausgebrochenen und trotz Razzien nicht wieder eingefangenen, offenbar sehr freiheitsliebenden Raubkatze -, „haben die in Nullkommanix in allen Hochschulen verbreitet.“ Die Fax -Nutzung verulkte der Karikaturist der kommunistischen 'Unita‘ mit einem Studenten von 1968, der auf sein Transparent „Evviva Marx“ geschrieben hatte: daneben sein Kollege von 1990, mit dem Schild „Evviva Fax“.
Der oberflächliche Umgang nahezu aller Parteien und Medien mit der neuen Bewegung erinnert fatal an den Beginn der Ereignisse Ende der sechziger Jahre; Politiker wie Medien üben sich in der alten Haltung: Hinsehen, dann sofort weghören und ganz, ganz schnell Verdikte gegen „Extremisten“, „Autonome“, „Berufsstudenten“ und allerlei Gesindel aussprechen.
Dabei waren die Unruhen längst vorauszusehen - spätestens seit vor zwei Jahren die Gymnasiasten und Oberschüler zusammen mit den jüngeren Lehrern auf die Straße gingen, weil sie die miesen Konditionen ihrer Ausbildung und die Perspektivlosigkeit ihrer Zukunft erkannten: Lehrpläne, die der Realität um Jahre hinterherhinken, ungenügende Ausstattung der Schulen, mangelnde Qualifikation der Fachkräfte, vor allem aber keinerlei Information über künftige Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.
Dabei hatte Italien die Reform seines Schulsystems in den frühen sechziger Jahren entschlossen angepackt. Die überkommenen Privilegien privater Schulen wurden abgebaut, die Elementar- und die Mittelschule (fünf bzw. drei Jahre) als Einheitsschule für alle Kinder obligatorisch, erst danach ist der Übertritt in Fachschulen und Gymnasien möglich. Behindertenintegration wurde weitgehend verwirklicht, der Lehrplan schülernah gestaltet, die Ziffernnoten in den Zeugnissen der ersten acht Klassen abgeschafft. Gleichzeitig wurden die Hochschulen für Nichtabiturienten geöffnet; ein umfangreiches, in den Mantelverträgen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern abgesichertes Recht auf mindestens 150 Stunden persönlicher
-nicht beruflicher - Weiterbildung alle drei Jahre sorgte dafür, daß die bis dahin gut 60 Prozent Schulabgänger ohne Abschluß ihre Mittelschulzertifikate nachmachen konnten.
Doch dann kam die Reform zum Stehen. Nicht nur daß die ehemals speziell im Grundschulsektor mächtigen Kirchen mit allen Mitteln gegen ihre Verpflichtung zum staatlichen Lehrplan arbeiteten - auch die Lobbies der Gymnasial- und der Hochschullehrer machten mobil, weil sie neue, am Sozialanspruch orientierte Anforderungen an sich gestellt sahen. Und als Mitte der siebziger Jahre dann in Italien wie überall die Sparwelle des Staates verkündet wurde, sanken, parallel zur Steigerung des Verteidigungsbudgets, die Reformausgaben für Schulen immer mehr gegen Null. Das Gymnasium wurde so bis heute nicht reformiert, die Hochschulen quellen seit einem Jahrzehnt über, wobei die Dozentenzahlen an vielen Universitäten stagnieren oder gar zurückgehen. Technische und naturwissenschaftliche Fakultäten leiden an chronischem Gerätemangel. In den Geistes- und Sozialwissenschaften klagen Studenten wie Lehrer über ständig geschlossene Abteilungen ihrer Bibliotheken. Solche Zustände sind freilich seit längerem bekannt.
Jetzt endlich wollen die Studenten nicht mehr weiterwurschteln. „Le pantere siamo noi“ - die Panther sind wir - belegt den Willen, sich nicht mehr bevormunden zu lassen. Und das bekommt vor allem der Hochschulminister Antonio Ruberti zu spüren, der just deshalb ein eigenes Ressort bekommen hatte, um die Hochschule auf ihre Zukunftsaufgaben vorzubereiten und der gerade im Herbst einen Plan zu ihrer Sanierung verkündet: Alle Probleme seien lösbar, wenn man der Industrie den Zugang zur Hochschule gestatte, Geld werde dann in Mengen fließen, die Institute auf den allerneuesten Stand der Wissenschaft kommen, die Studiker schon vor dem Examen auf sichere Arbeitsplätze zählen können. Doch genau das wollen die „Panther“ verhindern: nicht nur, daß für sie „zuallererst der Staat die Reform zu tragen hat“ (Flugblatt) - sie sind sich auch allzugut im klaren über das Verhalten ihrer Trustherrscher und Finanzgenies, sobald diese auch nur den Fuß in die Tür kriegen.
So ziehen die „Panther„-Studenten besonders gerne Beispiele heran, mit welcher „Unverfrorenheit unsere Geldsäcke schon immer ihre Macht nutzten“ ( so ein Sprecher der Ingenieurs -Fakultät in Rom). Das eindrucksvollste Exempel läuft gerade live ab: die Gleichschaltung nahezu der gesamten Wochenmagazine und der größten Tageszeitungen des Landes durch den Medienzaren Berlusconi, sei der, angeblich aus rein geschäftlichem Interesse, den Mondadori-Verlag mit Italiens Zeitungsflaggschiff 'La Repubblica‘ und den Magazin -Marktführern 'Panorama‘ und 'L'Espresso‘ gekauft hat.
Daß der Medienzar auch mit unbotmäßigen Studenten und Professoren nicht anders umgehen würde, zeigt er schon jetzt. Sein 'Il Giornale‘ übt sich tagtäglich in Beschimpfungen: „Ewigvorgestrige“, „Abeteurer“, „Defaitisten„; und - neueste Nummer: „Wegbereiter eines neuen Terrorismus“.
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