Ohne Spaltstoffkontrolle wackelt das Gesamtkonzept

Unmittelbar vor dem geplanten Baubeginn der Pilotkonditionierungsanlage (PKA) für abgebrannte, hochradioaktive Brennelemente in Gorleben wackelt die bereits vor einem Jahr erteilte Konzeptgenehmigung für das Projekt. Der Grund: Ein tragfähiges sogenanntes Safeguards -Konzept zur Überwachung der ein- und ausgehenden spaltbaren Stoffe ist nicht in Sicht. Atomanlagen in Ländern, die den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben, unterliegen (soweit sie zivilen Zwecken dienen) der Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Diese Behörde hat darüber zu wachen, daß keine Spaltstoffe wie Plutonium und Uran aus dem zivilen Atomkreislauf abgezweigt werden. In Atomkraftwerken oder Wiederaufarbeitungsanlagen wird die Genauigkeit dieser Überwachung mit etwa einem Prozent des gesamten Spaltstoffdurchsatzes solcher Anlagen angegeben eine Marge, die in der Vergangenheit von Atomkraftgegnern als viel zu hoch kritisiert wurde; denn zur Produktion von Atombomben ausreichende Mengen Plutonium und Uran können, so die Argumentation, unbemerkt von der IAEA verschwinden.

Eine Industriestudie der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) und der „Münchner Apparatebau“ kam nun jüngst zu dem Ergebnis, daß eine Spaltstoffkontrolle in Konditionierungsanlagen nur mit Meßgenauigkeiten von ungefähr zwölf Prozent möglich sei; ein verheerendes Ergebnis auch für die PKA, die im Jahr 35 Tonnen Spaltstoffe durchsetzen soll. Bei realistisch gerechnet einem Prozent Plutonium in den abgebrannten Brennelementen aus bundesdeutschen AKWs könnten damit rein rechnerisch jedes Jahr 42 Kilogramm Plutonium verschwinden, ohne den IAEA-Kontrolleuren aufzufallen.

Einer - wenn auch handver lesenen - Öffentlichkeit wurde das brisante Ergebnis der Industriestudie bekannt, als sich die Spezialisten der Atomzunft am 16. Januar im Kernforschungszentrum Karlsruhe zu ihrer Tagung „Statusbericht über Entwicklung zur Endlagerung in der BRD“ zusammenfanden. Dort erwähnte der im Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) für „Safeguards“ zuständige Rolf-Peter Randl die brisante Studie und provozierte aufgeregte Rückfragen des niedersächsischen Ministerialrats Arno Fricke. Fricke ist im Umweltministerium in Hannover zuständig für die Genehmigung der PKA. Ob denn die bereits im vergangenen Jahr von der Bundesregierung erteilte Konzeptgenehmigung inklusive „Safeguards„ -Unbedenklichkeit damit hinfällig sei, wollte Fricke wissen. Randl beruhigte den Kollegen mit der Bemerkung, die PKA sei viel kleiner als die in der Industriestudie untersuchte Anlage mit einem Spaltstoffdurchsatz von 500 Jahrestonnen. Außerdem könne bei einer Pilotkonditionierungsanlage ein „Safeguards„-Konzept auch während des Betriebs entwickelt werden.

Diese lauwarme Interpretation hat Fricke inzwischen übernommen, allerdings nicht, ohne sich in Bonn noch einmal abzusichern: Inzwischen habe die Bundesregierung das PKA -Konzept „ausdrücklich ein zweites Mal bestätigt“. Auch ein „Safeguards„-Konzept werde eben in dieser Pilotanlage „geprobt“ - so als sei es gleichgültig, wenn der Test mißlingt. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der grünen Abgeordneten Lilo Wollny erklärte der parlamentarische Staatssekretär Probst vergangene Woche im Bundestag, die Meßungenauigkeit liege „bei der möglichst dichten Einschließung (...) hochradioaktiver Stoffe (...) zwangsläufig in der Natur der Sache“. Außerdem seien die Messungen nur „ein Teil des Gesamtkonzepts, nicht das „Safeguards„-System insgesamt“ - was nicht weiter verwunderlich ist, denn das gibt es ja noch gar nicht.

Diese bundesdeutschen Interpretationskapriolen scheinen sich inzwischen bis nach Wien herumgesprochen zu haben. Dort gibt sich IAEA-Sprecher Hans-Friedrich Meyer diplomatisch und kooperationsbereit. Seine Behörde sei offiziell über die geplante PKA-Gorleben informiert worden, versicherte Meyer gegenüber der taz. Man habe bereits zwei Beamte nach Gorleben entsandt, um sich die Planungsunterlagen vorlegen zu lassen. „Unsere Leute sind dabei, ein Konzept für die PKA zu erarbeiten“, sagte Meyer. „Reine Messungen“ der Neutronenstrahlung der jeweiligen radioaktiven Spaltstoffe allerdings seien für eine lückenlose Kontrolle „viel zu wenig“. Andere Maßnahmen müßten hinzukommen.

Damit verwies Meyer auf das technische Problem jeder Konditionierungsanlage im Hinblick auf die Spaltstoffkontrolle: Niemand kann genau wissen, welche radioaktiven Elemente in den konditionierten Brennstäben in welchen Mengen die Anlage durchlaufen. In WAAs oder AKWs kann das relativ genau unter Wasser anhand der sogenannten Neutronenspektren analysiert werden, weil Wasser die von den Spaltstoffen ausgestrahlten Neutronen abbremst (moderiert) und so der Messung zugänglich macht. In Konditionierungsanlagen ist das nach den gegenwärtig diskutierten Konzepten nicht mit hinreichender Genauigkeit möglich, weil sich alles im Trockenen abspielt.

Der Physiker Wolfgang Neumann von der Gruppe Ökologie (GÖK) in Hannover sagte gegenüber der taz, mit der bevorstehenden ersten Teilgenehmigung sei auch das Gesamtkonzept der Anlage genehmigt. Solange es kein Konzept zur Spaltstoffkontrolle gebe, das den „internationalen Gepflogenheiten“ genüge, könne das Umweltministerium in Hannover der PKA eigentlich nicht zustimmen. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen und altgediente Gorleben-Aktivistin Lilo Wollny hat inzwischen verlangt, das Genehmigungsverfahren abzubrechen und das Konzept insgesamt zurückzuziehen.