Korpsgeist

■ Zu Brian de Palmas „Casualties of War“

Kein Bild ist übriggeblieben, keine Sekunde des Dialogs. Ich habe alles vergessen. Aber Haß und Scham sind da. Heftige Gefühle, die es fast unmöglich machen, über den Film zu schreiben, statt über die Sache.

Brian de Palma hat ein Ereignis aus dem Vietnamkrieg verfilmt: Der junge Soldat Eriksson wird Zeuge, wie die Kameraden seines Trupps ein vietnamesisches Mädchen entführen und vergewaltigen. Er sorgt dafür, daß den Vergewaltigern der Prozeß gemacht wird und daß sie verurteilt werden. Seitdem lebt er unter fremdem Namen irgendwo in den Vereinigten Staaten und hat Angst vor der Rache seiner Kameraden. Soweit der Film. Und die Sache?

Der Korpsgeist. Er heißt nicht zufällig so. Daß es das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Organisation ist, wußte ich schon vor Brian de Palmas Film, daß es etwas mit „Körperschaften“ zu tun hat, sagte mir das bißchen Philologie, über das ich verfüge, daß es aber um Körper und Leichen - „corpse“ - geht, das habe ich erst in „Casualties of War“ verstanden.

Wut. Wut über die Kerle, diese breitbeinigen, saufenden Muskelmänner, diese widerlichen, empfindungslosen Ekelpakete. Reinschlagen, draufhauen, niedermachen, umlegen, wegputzen, hauen und stechen, sengen und morden. Das machen sie. Die einen machen es, weil sie nichts anderes können, es entspricht ihrer Ausbildung, aber auch ihrem Temperament, die anderen - und das ist noch schlimmer - erledigen es ebenso desinteressiert wie die Ablage in ihren Büros. Keiner vermißt seine Frau, das Streicheln einer fremden Hand, einer süßen Haut.

Nie einer allein, immer in kleinen Gangs. Gewalt und Masse. Dabei klebrig sentimental, wenn's um die eigene Gruppe geht. Stallgeruch überall. Zusammengehalten wird die Gang nicht durch den Esprit de Corps; der entsteht aus der gemeinschaftlich veranstalteten Schlächterei. Er riecht nach Leiche.

Scham? Natürlich Scham. Schließlich bin ich auch einer davon. Nicht nur, weil meine Chromosomen die sind, die sie sind, sondern auch, weil ich weiß, wie stark meine Dreinschlagimpulse, meine Sehnsüchte nach gewaltsamen Lösungen sind. Wie toll ich mir vorkomme, wenn ich hart bin, wie doof, wenn ich nachgiebig bin. Brian de Palma hat mich ertappt. Ich weiß nicht, auf welchem Filmmeter es passierte.

Er baut unserem mörderischen Geschlecht Brücken. Da ist die Hauptperson. Ein junger Mann, der nicht mitmacht, der sich wehrt und versucht, der Vietnamesin zu helfen. Aber so ganz will die Identifikation nicht klappen mit ihm. Seine finsteren Kameraden locken die finsteren Antriebe heraus, und der Kinobesucher erschrickt nach einer Weile, weil er merkt, wie normal ihm das Umbringen vorkam nach nur wenigen Filmminuten.

Angst ist da auch noch. Wäre man nicht eher bei den Millionen von Mitmachern als bei dem Dutzend von Verweigerern? Wer hält es schon aus, dauernd beschimpft zu werden? Wer erträgt schon, Außenseiter zu sein? Würde man beim Morden noch mitmachen, beim Vergewaltigen aber Dissident werden - wie der Held in „Casualties of War“? Oder würde man, einmal einverstanden, zu allem Ja und Amen sagen?

Das alles hat mit dem Film nichts zu tun, sagt nichts über das Verhältnis von Totale und Großaufnahme, nichts über die Qualität eines Drehbuchs, nichts über die Schauspieler und die Landschaftsaufnahmen. Aber vielleicht ist das die Qualität von Brian de Palmas Casualties of War, daß man sich - wenigstens für ein paar Stunden - nicht mehr im Spiegel sehen mag.

Arno Widmann

Brian de Palma: Casualities of War (deutscher Verleihtitel: Die Verdammten des Krieges), mit Michael J. Fox, Sean Penn, Musik: Ennio Morricone, USA 1989, 120 Min.