Ein Mord unter vielen

■ Ein Gespräch mit Brian de Palma über seinen neuen Film „Casualties of War“

taz: Mr. dePalma, die Ursprünge dieses Projekts liegen zwanzig Jahre zurück. Warum ist es erst jetzt zustande gekommen?

Brian de Palma: Ich habe von dieser Geschichte zum ersten Mal 1969 aus dem 'New Yorker‘ erfahren. In einem Artikel wurde über einen Zwischenfall berichtet, der sich drei Jahre zuvor in Vietnam ereignet hatte. Dieser Artikel wurde von einem Studio gekauft und für einen anderen Regisseur adaptiert, doch das Projekt blieb im Planungsstadium stecken. Dann wurde der Stoff an ein anderes Studio und einen anderen Regisseur weitergereicht, doch wiederum auf Eis gelegt. Erst nach dem Erfolg von The Untouchables konnte ich Paramount davon überzeugen, den Film zu produzieren. Wir verpflichteten Michael J.Fox und Sean Penn für die Hauptrollen, dennoch bekam Paramount kalte Füße, weil ihnen das Projekt zu kontrovers war. So war ich froh, Dawn Steel von Columbia für den Film gewinnen zu können. Sie gab grünes Licht, und wir drehten den Film.

Wenn Sie den Film schon vor einigen Jahren gedreht hätten, wie gravierend wären die Unterschiede zur jetzigen Version?

Wenn Casualties of War mein zehnter und nicht mein neunzehnter Film wäre, hätte er sicher nicht den Schliff, wäre unfertiger. Natürlich lernt man durch die Filme, die man gedreht hat.

Wann stieß Drehbuchautor David Rabe zu dem Projekt?

David und ich sprachen zum ersten Mal darüber, als wir Anfang der Achtziger an einem anderen Projekt arbeiteten. Als ich 1987 mit den Vorbereitungen für Casualties of War begann, fragte ich ihn, ob er immer noch interessiert sei. Er war es und schrieb das Drehbuch.

Sind viele seiner Vietnam-Erfahrungen in den Film eingeflossen?

Ich glaube nicht. David hat sich sehr eng an das Ausgangsmaterial gehalten. Natürlich konnte er sich genau die Handlungsorte vorstellen und profitierte beim Schreiben der Dialoge enorm von seiner Vietnam-Zeit. Er hat ja auch einige Stücke darüber geschrieben.

Zum Beispiel „Streamers“, das von Altman verfilmt wurde.

Ja, und zwei, drei andere. Sticks and Bones und The Basic Training of Pavlo Hummel.

Halten Sie „Casualties Of War“ für einen Film über die Mißverständlichkeit von Gesten? Als Michael J.Fox dem Mädchen zu helfen versucht, hält sie dies zunächst für einen weiteren Vergewaltigungsversuch.

Zwischen den Menschen in diesem Film gibt es die verschiedensten Mißverständnisse. Da ist ja auch das Dilemma des gesamten Krieges: Wir haben die Situation völlig falsch eingeschätzt und versucht, einem Volk unseren Willen aufzuzwingen, das wir nicht einmal richtig kannten.

Wenn Eriksson (Michael J.Fox) sagt, gerade weil man den Tod ständig vor Augen hat, müsse man sich besonders genau überlegen, was erlaubt sei, klingt dies fast wie eine Predigt.

Ich halte diese Rede für überaus wahrhaftig, und sie sollte auf keinen Fall als Predigt aufgefaßt werden. Er hat mit dem, was er sagt, völlig recht. Deshalb gehen mir seine Sätze auch nicht aus dem Kopf.

Aber verlangen diese Sätze nicht nach einem Schauspieler, mit dem man Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit verbindet? Früher war das zum Beispiel bei James Stewart der Fall, in den Achtzigern gibt es diese Schauspieler kaum noch.

(lacht) Glücklicherweise bin ich nicht Ihrer Meinung. Ich denke, daß Michael seinen Job hervorragend gemacht hat. Die Rede stammt übrigens auch aus der Vorlage. David Rabe hat sie nur dem Sprachgestus der Figur angepaßt.

Es fällt auf, daß Sie Eriksson oft in den Vordergrund rücken und zum Teil sehr extrem von den anderen Soldaten im Hintergrund und auch von der Umgebung abheben. Er wird auch visuell isoliert.

Wo genau? Da müssen Sie schon genauer werden. Es gibt zahllose dieser Kompositionen in diesem Film, mit völlig verschiedenen Funktionen.

Zum Beispiel die Nachtszene, nachdem Eriksson die Vergewaltigung beobachtet hat.

Durch die lange Brennweite, die Zeitlupe und auch durch den strömenden Regen bekommt die Szene etwas Irreales. Wir haben versucht, Erikssons Verzweiflung, die Gefühlsintensität ins Bild zu bringen. Er hat dort stundenlang ausgeharrt und mußte der Vergewaltigung tatenlos zusehen. Die Einstellung ist effektiv, die stärkste im ganzen Film. Deshalb haben wir auch nur eine einzige Großaufnahme dieser Art im Film.

Eine brillante Einstellung ist auch die, in der Eriksson abtransportiert wird. Den Hubschrauber sieht man nicht, Eriksson scheint direkt auf der Bahre über die Landschaft zu schweben.

Als er ausgeflogen wird, ist er nur halb bei Bewußtsein. Die Landschaft scheint um ihn herumzuwirbeln, allmählich versinkt er in eine Art Traumzustand, bis er im Lazarett wieder zu sich kommt.

Nach dem Bombenangriff folgt die Kamera Erikssons Blick von dem toten Mädchen zum Fluß und zeigt dabei die anderen Opfer...

Den einen Mord unter vielen Morden.

Stammt die Rahmengeschichte, die Jahre nach dem Krieg im Zivilleben spielt, aus der Vorlage?

Ja, es ist das letzte Kapitel. Eriksson sitzt in der Bahn, sieht die Vietnamesin und erinnert sich an Vietnam. Die Verbinung zu dem ermordeten Mädchen haben wir über den Schal hergestellt, der auch in der Vorlage erwähnt wird. Eriksson steigt aus und trägt der Frau den Schal hinterher, die Luft ist klar und rein, und er muß an die Zeit vor der Apokalypse denken, die Zeit der Schuldlosigkeit, in der die Luft nicht nach Verwesung roch.

Am Ende rät die Vietnamesin Eriksson, die traumatischen Erlebnisse zu vergessen. Machen Sie es Ihrem Helden und dem Zuschauer damit nicht zu leicht?

Es soll ihm helfen, sich selbst zu vergeben, nicht alles Menschenmögliche getan zu haben. Er hat einen Fehler gemacht, und der Zuschauer hofft, daß Eriksson darüber hinwegkommt. Das Publikum, das am Schicksal dieses Menschen teilgenommen hat, an seiner Schuld, seiner Scham und seiner Trauer, soll den Film natürlich nicht so schnell vergessen.

Eriksson ist der einzige Soldat, den wir im Zivilleben sehen. Kann man sich die anderen Soldaten seiner Gruppe überhaupt außerhalb des Krieges vorstellen?

Das kann ich nicht genau sagen. Natürlich wurden diese Leute vom Krieg deformiert. Weil ihnen dort eine lange Zeit bevorstand, staute sich der Haß, ohne daß sie wußten, wie sie ihn kanalisieren sollten. Wir waren nicht dort und haben diese Welt nicht erlebt, so sind diese Mechanismen für uns nur schwer nachzuvollziehen. Ich glaube aber nicht, daß all diese Leute schon vorher Totschläger und Psychopathen waren. Als man Hatcher (John C.Reilly) fragt, warum sich Eriksson an der Vergewaltigung nicht beteiligt habe, antwortet dieser ja auch: „Weil er drei Wochen weniger in Vietnam war als ich!“ Wer Bücher über Vietnam liest, stellt fest, wie schnell diese Jungen verbittert, wütend und unbarmherzig wurden.

Wir haben Kriegsteilnehmer auf den Film reagiert?

Sehr unterschiedlich. Einige halten den Film für eine angemessene und getreue Darstellung des Kriegsgeschehens, andere werfen mir vor, nur eine kleine Minderheit und keinen repräsentativen Ausschnitt zu zeigen. Der Film verrate die Soldaten, die in Vietnam in Ehren gekämpft hätten und in Ehren gestorben seien.

Haben Sie diesmal im Umgang mit Tod und Gewalt eine besondere moralische Verpflichtung empfunden, weil die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht und in Wirklichkeit womöglich noch viel grausamer war?

Natürlich muß man sehr vorsichtig sein mit dem, was man zeigt. Wenn man Figuren hat, mit denen sich der Zuschauer stark identifizieren kann, und die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht, kommt man mit einer zurückhaltenden Gewaltdarstellung aus. Im Horrorfilm dagegen nimmt der Zuschauer lange nicht so intensiv am Schicksal der Figuren teil, weil sie wie Marionetten hin und her bewegt werden. Die Gewalt hat keine emotionale Qualität, also muß die Dosis erhöht werden. Bei unserem Film gibt es diese Distanz nicht, wir sind ganz dicht bei den Figuren.

Obwohl Sie die Vergewaltigung wenig spekulativ inszeniert haben, ist sie für den Zuschauer fast unerträglich.

Ich kann mir niemanden vorstellen, der aus dem Kino kommt und auch nur daran denken kann, jemanden zu vergewaltigen. Dazu ist die Szene viel zu qualvoll. Interview: Gerhard Midding und Lars-Olav Beier