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Maria und der Wendehals

■ Zu den DDR-Tresorfilmen aus den 60er Jahren im Forum. Heute: Kurt Maetzigs „Das Kaninchen bin ich“

Der Arbeiter Balla kämpft gegen den Parteisekretär Horvarth und der liberale Horvarth gegen den sturen SED-Kader Bleibtreu. Das ist Frank Beyers Spur der Steine. Der Ingenieur Solter nimmt es mit der Betriebsleitung auf Günter Stahnkes Der Frühling braucht Zeit. Schüler Peter rebelliert gegen den Rektor - Denk bloß nicht, ich heule von Frank Vogel. Die junge Lehrerin Karla gegen die Schulrätin - Karla von Herrmann Zschoche. Und Maria gegen den Rest der Welt in Das Kaninchen bin ich.

Die Konstellation ist immer dieselbe: Die Helden fast aller DDR-Tresorfilme kämpfen für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Ihre Widersacher sind die Bürokraten, die Heuchler und Wendehälse, die Karrieristen und Weltverbesserer. So geraten sie in Konflikt mit der Obrigkeit, und sie verlieren ihre Arbeit, ihre Geliebte oder ihren Studienplatz. Aber am Ende siegt immer die Menschlichkeit. Die jungen Filmhelden von 1965 ähneln den „Helden von Leipzig“ im Herbst 1989; sie steigen aus oder krempeln die Ärmel hoch: Wir sind das Volk. Aber die Helden von damals wollen nicht die Revolution, sondern Reformen.

Maria ist Kellnerin. Sie darf nicht studieren, weil ihr Bruder wegen „staatsfeindlicher Hetze“ im Knast sitzt. Maria ist jung, frech, direkt. Sie will wissen, was das ist, staatsfeindliche Hetze. Aber keiner sagt es ihr. Sie verliebt sich in Paul. Paul ist der Staatsanwalt, der ihren Bruder verurteilt hat. Ein zärtlicher älterer Liebhaber, aber verheiratet und als Jurist ein Hardliner. Das harte Urteil gegen Marias Bruder brauchte er für seine Karriere. Auch er hat keine Antworten auf Marias Fragen. Sie reicht ein Gnadengesuch ein. Aber Paul ist gnadenlos.

Dann kommt das Tauwetter. Plötzlich sind dogmatische Rechtspfleger und sture Bürokraten nicht mehr gefragt, das Strafrecht wird im „Rechtspflegeerlaß“ (1963) reformiert. Pauls Karriere ist in Gefahr. Da fällt ihm Marias Gnadengesuch ein. Er will es einreichen, zusammen mit seinem Rücktrittsgesuch: „aus Gewissengründen“, das macht sich jetzt gut. Aber Maria durchschaut den Rechtsbeuger und Opportunisten: „Du mißbrauchst schon wieder meinen Bruder.“ Sie trennt sich von Paul und immatrikuliert sich an der Universität. Ein Lehrstück in Sachen aufrechter Gang, mit optimistischem Schluß.

In Wirklichkeit ging die Geschichte anders aus. Die Romanvorlage und das Drehbuch hatte Manfred Bieler geschrieben, der Roman war und blieb verboten, Bieler ging nach Prag und später in den Westen. Man inszenierte die Kehrtwende, das 11.Plenum. Maetzigs Film war der erste, der ihm zum Opfer fiel. Deshalb heißen die Tresorfilme auch Kaninchenfilme. Maetzig leistete Selbstkritik im 'Neuen Deutschland‘, Ulbricht rehabilitierte den Regisseur im selben Blatt. Maetzig selber sei ein Opportunist, diesen Vorwurf machte ihm bei der ersten öffentlichen Aufführung des Kaninchens im Dezember in Ost-Berlin nicht nur Manfred Bieler. Zumindest muß Maetzig sich die Frage gefallen lassen, wie ein Regisseur, der im Film scharf und unversöhnlich mit dem Wendehals Paul abrechnet, selber einer geworden ist. Die Antwort, er sei doch ein Opfer des Stalinismus, genügt nicht.

chp

Kurt Maetzig: Maria Morzeck oder Das Kaninchen bin ich, nach dem Roman von Manfred Bieler, mit Angelika Waller, DDR 1965, 110 Min.

12.2. Delphi 16.30 Uhr

13.2. Arsenal 20 Uhr

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