Spanien: Kein Recht auf Abtreibung

■ Nach dem Freispruch im Abtreibungsprozeß von Pamplona wird in Spanien wieder Ruf nach sozialer Indikation laut / Niederlage für „Pro Vida“ / Doch Gesetz von 1986 völlig unzureichend

Barcelona (taz) - Mit Vehemenz wird in diesen Tagen in Spanien wieder das Recht auf Abtreibung diskutiert. Anlaß war vor vier Tagen der Freispruch von drei MedizinerInnen aus Pamplona, die vor drei Jahren einen Schwangerschaftsabbruch bei einer 19jährigen Frau vorgenommen hatten, deren sechs Wochen alter Fötus aufgrund radioaktiver Bestrahlung bereits mit 7 bis 11 Rem verseucht war.

Noch ist der Richterspruch aus der Provinz Navarra nicht rechtskräftig. Bis Mittwoch haben die Kläger „Pro Vida“ und „Accion Familiar“ - beide logistische Anhängsel des rechtskonservativen Laienordens Opus Dei - Zeit, Revision gegen das Urteil einzulegen. Dann würde frühestens in einem Jahr vor dem „Supremo“, dem obersten spanischen Gerichtshof, letztinstanzlich verhandelt werden.

In der achtseitigen Urteilsbegründung, die der taz vorliegt, wird zwar die „Schwierigkeit der Rechtssprechung aufgrund der nicht eindeutigen Rechtslage“ eingeräumt, doch sonst begnügten sich die Richter mit einer schwammigen Sachverständigenanalyse über die Folgen von Radioaktivität auf Embryonen. Mit der simplen Formel - „In dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten) - zogen sie sich „fadenscheinig aus der Affäre“, wie Maria Jose Varela, Anwältin der drei ÄrztInnen, meint.

Da bisher Abtreibung nur bei Lebensgefahr für Mutter oder Kind, bzw. nach Vergewaltigung legal ist, wäre nach Meinung der Verteidigung eine richterliche Aussage „zur sozialen Indikation opportun“ gewesen.

Dennoch scheint es, daß die Rechnung von Opus Dei und anderen konservativen Kirchenkreisen mit diesem Prozeß nicht aufgegangen sind. Zum ersten Mal wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt, wie gerade Minderjährige, berufstätige Mütter oder Frauen am sozialen Rand von der hiesigen Gesetzgebung „geknechtet“ werden, wie Maria Jose Varela sagt. „Das Urteil ist gut; die Begründung fatal“, so ein häufiges Fazit.

Am Wochenende bekannt gewordene Zahlen besagen, daß seit 1983 die Abtreibungsrate bei den 18- bis 25jährigen jährlich um 30 Prozent gestiegen ist. Zudem veröffentlichte das nationale soziologische Untersuchungszentrum (CIS), das sich die öffentliche Meinung auf der iberischen Halbinsel in den letzten fünf Jahren drastisch gewandelt hat. So bezeichneten im letzten Jahr erstmals ber die Hälfte der Befragten, das Gesetz „als nicht ausreichend und frauenfeindlich“. Auch auf politischer Ebene scheint sich nun eine parlamentarische Mehrheit für eine weitgreifende legislative Novelle abzuzeichnen. Die Frauenbeauftragte der Erziehungskommission der alleinregierenden Sozialisten, Dolors Renau, sieht schon in diesem Jahr die Ratifizierung einer neuen Vereinbarung kommen: „Man spricht darüber, daß die Frau innerhalb eines noch zu vereinbarenden Zeitlimits selbst entscheiden soll, ob sie ihre Schwangerschaft unterbricht: Forderungen, die der Frauenrechtlerin und Anwältin Maria Jose Varela nicht weit genug gehen.

So wird sich schon in Bälde entscheiden, ob sich die restriktive und rückschrittliche spanische Abtreibungsgesetzgebung zu einer für Westeuropa wegweisenden wandelt.

Nikolas Marten