Stirbt die grüne Lunge für Leipzig?

Demonstration gegen alte SED-Pläne zur Braunkohlegewinnung / Tagebauvorhaben in der Dübener Heide wurde gestoppt / Artenreiche Endmoränenlandschaft / Jetzt Angst vor Massentourismus im einzigen Naherholungsgebiet für das sächsische Industrierevier  ■  Aus Wittenberg B.Markmeyer

„Auch wenn die Braunkohlebagger jetzt nicht kommen, ist die Heide gefährdet!“ beschwört Klaus Viehl, Naturschutzbeauftragter des Kreises Wittenberg, fast 2.000 SchmiedebergerInnen, die sich am Mittwoch abend vor ihrem Renaissance-Rathaus auf dem Marktplatz versammelt haben. Aufgeschreckt durch die Pläne der alten SED, die riesige Dübener Heide südlich von Wittenberg unter die Schaufel zu nehmen, können sie jetzt nicht daran glauben, daß alles nur ein Spuk gewesen sein soll.

Eben hat der Technische Direktor des Braunkohlekombinats Bitterfeld, Lothar Obereigner, erklärt, daß die Dübener Heide, das einzige zusammenhängende Waldgebiet im sächsischen Industrierevier, „auch nach den Plänen der bisherigen Energiepolitik nicht für den Kohleabbau vorgesehen war“. Zaghafter Beifall, dann geht man, die Beschwörungen des Naturschutzbeauftragten noch im Ohr, wieder auseinander. Viele sind mißtrauisch: „Die neuen Pläne wollen wir sehen“, sagt einer. Keine halbe Stunde hat die Demo gedauert. Es scheint, als sei das Volk ins Leere gelaufen.

Dennoch haben erst die beiden Schmiedeberger Demos die Bitterfelder Braunkohle-ManagerInnen gezwungen, ihre Pläne offenzulegen. „Bisher“, so Obereigner, „haben wir stur nach Beschlüssen gearbeitet.“ Und die Beschlußlage der SED lautete: Braunkohle um jeden Preis. Wollte die Kohleindustrie neue Tagebaue, bekam sie sie. Obereigner: „Das Braunkohlekombinat wandte sich an den Rat des jeweiligen Bezirkes, und nach einem halben bis dreiviertel Jahr war der Beschluß für ein Bergbau-Schutzgebiet durch.“

Die Räte der Kreise und Bürgermeister der betroffenen Gemeinden wurden weder befragt, noch rechtzeitig informiert. Und daß ihr Dorf der Kohle weichen würde, erfuhren die EinwohnerInnen ganz zuletzt. Deshalb hatte der Direktor des Forstwirtschaftsbetriebes Dübener Heide, Siegfried Austinat, Alarm geschlagen. Ihm lägen Unterlagen vor, nach denen Zentralgebiete der 35.000 Hektar großen Dübener Heide zur Auskohlung vorgesehen seien, schrieb er am 11. Januar in der Hallenser Bezirkszeitung 'Freiheit‘. Schockiert fragten UmweltschützerInnen einer schnell gegründeten Bürgerinitiative: „Kann es auch heute noch möglich sein, im alten Stil an den Bürgern vorbei Maßnahmen einzuleiten?“ Lothar Obereigner dagegen spielt auch nach der Demo, vom Schmiedeberger Bürgermeister um „ehrliche Informationen“ gebeten, noch den Naiven: „Wenn wir nichts vorhaben, brauchen wir auch nicht zu informieren“.

Obereigner sitzt inzwischen in der Bitterfelder Regierungskommission, wo an neuen Energiekonzeptionen gearbeitet wird. Um 40 Prozent soll die Braunkohleförderung von derzeit über 300.000 Tonnen jährlich DDR-weit reduziert, die Brikettfabrikation um die Hälfte vermindert werden. Zwei Brikettfabriken des Bitterfelder Braunkohlekombinats würden noch in diesem Jahr stillgelegt, Industriekraftwerke möglichst schnell auf Gas umgestellt, überschüssige Wärme in Fernheizungen eingespeist. Rohbraunkohle werde in Zukunft vor allem für die Verstromung verwendet. In zehn Jahren werde das sächsische Braunkohlekombinat statt derzeit 22 nur noch sieben Tagebaue betreiben, kündigt Obereigner an.

Doch ob die „Wende“ in der Energiepolitik für die Dübener Heide noch rechtzeitig kommt, ist mehr als fraglich. Auch ohne daß Braunkohlebagger anrücken, hat die grüne Lunge nordöstlich von Leipzig, Halle und Bitterfeld, so Klaus Viehl, „gegen den Ring der dort angesiedelten Gift -Emittenten“ kaum eine Chance. Seit zehn Jahren versucht man, das Sterben von Buchen, Eichen und Kiefern mit Kalkungen aufzuhalten. Noch beherbergt die abwechslungsreiche Endmoränenlandschaft artenreiche Feucht und Trockengebiete.

Als ehemaliger Abteilungsleiter für Landwirtschaft im Kreis Wittenberg hat Viehl gegen die intensive Bewirtschaftung von Weiden und Äckern in der Heide angekämpft: „Ich bin nicht gläubig“, sagt das ehemalige SED-Mitglied, „aber die Heide ist ein Geschenk Gottes.“ Für 300.000 schwefel- und rauchgeschädigte Menschen aus Leipzig, Halle und Bitterfeld ist die Dübener Heide Erholungsraum, der einzige in erreichbarer Nähe. Daß das Wald- und Wiesengebiet auch klimatisch und wasserwirtschaftlich unersetzbar ist, zeigen die Verwüstungen rundum. In den ausgeräumten Elbauen bei Wittenberg „bläst der Wind den Boden weg“ (Viehl), dank Massentierhaltung führen alle Brunnen rund um die Heide nur noch Nitratwasser, Tagebaue, die in zehn bis fünfzehn Jahren bei Gräfenhainischen die westliche Dübener Heide erreichen sollen, trocknen durch Grundwasserabsenkungen bereits heute riesige Gebiete aus.

Jetzt befürchtet Klaus Viehl neue Belastungen für die Heide durch Massentourismus. Wenn „nur noch der Markt zählt“, hätten NaturschützerInnen, meint er, es im Wettlauf mit der Zeit kaum leichter als „vor der Wende“. Außerdem seien sie immer noch wenige. „Die Leute quälen Existenzsorgen, da denken sie nicht an Ökologie.