„Da kommt deine Mutter“

■ Erinnerungen der Partisanin Antonina Kondraschowa

Wie oft ist es so gewesen: Wir liegen im Hinterhalt und sehen, da kommen Frauen und hinter ihnen die Faschisten. Sie kommen näher, und jetzt siehst du, dort kommt deine Mutter. Das Schlimmste daran ist, daß der Kommandant gleich „Feuer“ ruft. Alle graust es vor diesem Kommando, weil der eine flüstert: „Da ist meine Mutter“, ein anderer: „Da ist meine kleine Schwester“ und ein dritter hat sein eigenes Kind erkannt... Meine Mutter trug immer ein weißes Kopftuch. Sie war hochgewachsen, sie wurde immer als erste erkannt. Ich hab‘ sie noch nicht erblickt, da sagt mir schon einer: „Da kommt deine Mutter...“ Wenn dann das Kommando kommt, schieße ich. Und weiß selbst nicht, wohin ich schieße, habe nur das eine im Kopf: Das weiße Tüchlein nicht aus den Augen zu verlieren. Alle suchen Deckung, werfen sich zu Boden, und ich weiß nicht, ob Mutter getroffen wurde. Für zwei Tage oder länger bleibt die Welt für mich schwarz, bis Verbindungsleute aus der Siedlung kommen und berichten, daß sie lebt. Dann läßt sich das Dasein wieder ertragen. Aber nur bis zum nächsten Mal...

Aus: Swetlana Aleijewitsch: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht