Plädoyers im Skinhead-Prozeß

Der Staatsanwalt will ein deutliches Zeichen setzen und fordert neben Jugendarresten auch Haftstrafen  ■  Von Holger Reile

Ravensburg (taz) - Bei der Strafzumessung dürfe man „nicht kleckern, sondern klotzen“, so lautet der Kernsatz des Anklagevertreters beim Ravensburger Skinhead-Prozeß. Seit 22. Januar sitzen 25 Skinheads aus dem süddeutschen Raum vor einer Jugendkammer des Landgerichts auf der Anklagebank. Nach einem sogenannten „Koma-Saufen“ hatten die Angeklagten am 9.September letzten Jahres das Ravensburger Jugendhaus überfallen und dort mehrere Jugendliche zum Teil krankenhausreif geschlagen.

Früher als ursprünglich geplant hielten Staatsanwalt und Verteidiger bereits am Donnerstag ihre Plädoyers. Der Prozeß sollte sich eigentlich bis Ende Februar hinziehen, aber das Gericht lud einen Großteil der rund 80 Zeugen wieder aus. Von weiteren Zeugenvernehmungen versprach man sich keine neuen Erkenntnisse, da sowohl Be- als auch Entlastungszeugen vor und auch während des Prozesses zum Teil massiv unter Druck gesetzt worden waren. Reihenweise „korrigierten“ verschiedene Zeugen ihre früher vor den Ermittlungsbehörden gemachten Aussagen, wollten plötzlich ganz woanders gewesen sein oder behaupteten, nichts gesehen und gehört zu haben. Einige der Belastungszeugen gaben vor Gericht offen zu, daß sie Angst hätten, gegen die Skins auszusagen. Andere hatten aus dem gleichen Grund darum gebeten, erst gar nicht in den Zeugenstand treten zu müssen. Der Vorsitzende Richter Dieter Rittmann erhielt diese Woche sogar eine anonyme Morddrohung: „Wir werden Sie bekommen und es wird Ihr letzter Prozeß sein...“ Das an den „Führer der Skinhead-Prozesse“ gerichtete Schreiben endet mit „Sieg Heil, es lebe Adolf, unser Freund“. Die Schlußformulierung „Kampf der Klassenjustiz“ ist allerdings untypisch für die Skinhead -Szene.

In seinem Plädoyer forderte der Staatsanwalt, „jetzt ein deutliches Zeichen“ zu setzen. Der „brutale Überfall“ auf das Jugendhaus sei der Höhepunkt einer ganzen Serie von Gewalttätigkeiten der oberschwäbischen Skin-Szene gegenüber Jugendlichen und Ausländern. Es sei beschämend, daß heute wieder „braune Horden“ durch die Straßen zögen und Terror ausübten. Für zwei der Angeklagten plädierte der Staatsanwalt auf Freispruch, für die anderen forderte er zwischen drei Wochen Jugendarrest und zwei Jahren Haft, teilweise auf Bewährung. Daß ein Angeklagter nun sechs Jahre ins Gefängnis soll, hängt mit seinem Vorstrafenregister zusammen.

Massive Kritik am Prozeßablauf übte vor allem der Ravensburger Rechtsanwalt Wolfgang Weber. „Das war nicht die Nacht, in der Ravensburg in den Händen des Mobs war.“ Dieser „aufgeblähte Mammutprozeß“ habe verhindert, „daß sich die Angeklagten selbstkritisch miteinander auseinandergesetzt“ hätten, das Sammelverfahren habe lediglich „die Gruppe zwanghaft zusammengeschweißt“. Zwar sei bei der Mehrzahl der Angeklagten „durchaus ein rechtes Potential vorhanden“, aber als „Akteure des Rechtsextremismus“ könne man sie nicht bezeichnen. Die Gruppenstruktur sei lediglich ein Resultat „innerer Heimatlosigkeit“ und des Gefühls, in dieser Gesellschaft „zu kurz gekommen zu sein“. Auch die Medien hätten dazu beigetragen, einen „immensen Bestrafungsdruck“ herbeizuschreiben, nach dem Motto: „Die sind jetzt dran.“ Die Gesellschaft müsse sich fragen, ob sie es „nicht versäumt hat, Brücken der Verständigung zu schlagen“. Weber wies allerdings mit Nachdruck darauf hin, „hier nicht Inhalte, sondern Außenseitertum“ zu verteidigen.

Ähnlich hatte Mitte der Woche ein Gutachter argumentiert. Es sei falsch, die Skinheads pauschal als Neonazis zu bezeichnen. Rechte Parolen und Ausländerhaß höre man ja nicht nur aus dieser Ecke. Art und Ablauf des Verfahrens habe eine ursprünglich eher heterogene Gruppe zwangsläufig zusammenrücken lassen. Die Urteilsverkündung folgt am Donnerstag.