Getrennt marschieren - vereint desertieren?

Die Friedensbewegung sieht jetzt die Chance für radikalen Pazifismus / Kampagne „Bundesrepublik ohne Armee“ / Grüne orientieren sich deutsch-deutsch / Ostermarsch im Hunsrück mit „Ost-Beteiligung“ / Umzingelung der „Burg Stoltenberg“ geplant  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Den Hügeln des Hunsrücks sind Belgien und Frankreich näher als die DDR, und geplagt werden die Menschen in dieser Region von amerikanischem, französischem und bundesdeutschem Militär.

So wäre denn auch in den zurückliegenden friedensbewegten neun Jahren niemand auf die Idee gekommen, ausgerechnet DDR -Bürger zum Protest am Cruise-Missile-Raketengelände von Hasselbach aufzufordern. Wohl aber in diesem Jahr: Da soll der Ostermarsch unter deutsch-deutschen Vorzeichen stattfinden.

Das Beispiel signalisiert eine Trendwende in der bundesdeutschen Friedensbewegung: Angesichts des Sogs zur Wiedervereinigung werden Abrüstungsforderungen nicht mehr einseitig an Nato und Bundesregierung gerichtet, auch wenn deren Militärbasen direkt vor der eigenen Haustür liegen.

Ungebrochen ist dieser Trend allerdings nicht: Für die Organisatoren des rheinländischen Ostermarsches jedenfalls steht der Feind weiterhin im eigenen Land - auf der Bonner Hardthöhe. Die „Burg Stoltenberg“ soll an diesem Tag symbolisch umzingelt werden, und ein entsprechender Aufruf fordert nicht nur eine Bundesrepublik ohne Armee, sondern auch die Anerkennung der DDR als souveränen Staat.

Bundesrepublik ohne Armee, kurz „BoA“ genannt, ist das Stichwort für eine neue Kampagne, die - nach schweizerischem Vorbild - schon vor den deutsch-deutschen Turbulenzen geboren wurde. Initiator war vor allem der „Bund für soziale Verteidigung“.

Zu den Unterstützern der radikal-pazifistischen Forderung gehören bisher in erster Linie Friedensaktivisten aus dem christlichen Spektrum: Versöhnungsbund, Pax Christi, Ohne Rüstung Leben sowie einige Grüne. Von ihrem Ansatz her konzentriert sich die Kampagne auch weiterhin auf ein rein bundesdeutsches Betätigungsfeld: Abschaffung von Bundeswehr und Grenzschutz, Aufhebung der Wehrpflicht, Recht auf Militärsteuerverweigerung, Stopp von Rüstungsexporten. Im Aufruf, der am vergangenen Wochenende in Minden auf einem ersten öffentlichen Treffen verabschiedet wurde, wollte die Mehrzahl der InitiatorInnen jedoch die explizite Ablehnung eines gesamtdeutschen Staats nicht festgeschrieben sehen.

Unter dem gemeinsamen Dach: „Ablehnung der Bundeswehr“ kursieren vorerst recht unterschiedliche Szenarien für die weitere deutsch-deutsche Entwicklung. Roland Vogt zum Beispiel, Sprecher des „Bundes für soziale Verteidigung“, ist bei den Grünen ein Befürworter der Wiedervereinigung, und im jüngsten Rundbrief seines Bunds vergleicht er die Bundesrepublik sogar mit Panama: „Wer sich nicht auf US -Interventionen vorbereitet, wenn die USA uns, die aus dem Ruder laufenden Deutschen, gefügig machen will, wird zu gegebener Zeit schmerzlich hinzulernen.“ Erklärtermaßen nicht in Konkurrenz zum „BoA„-Projekt, aber mit deutlich anderem Akzent verfolgen die Grünen eine eigene „Kampagne zur Entmilitarisierung beider deutscher Staaten“. Die Vorstellung, der Trend zum Gesamtdeutschen bedeute keine Gefahr für den Frieden in Europa, sondern gebe im Gegenteil dem Pazifismus eine historische Chance, kommt in der Initiative des Bundesvorstandes der Grünen am deutlichsten zum Ausdruck: „In das Jahr 2000 gehen DDR und BRD auf jeden Fall ohne Armee.“ Schon bald nach den bevorstehenden DDR -Wahlen soll eine deutsch-deutsche Abrüstungskonferenz organisiert werden, und Vorstandsmitglied Jürgen Maier glaubt, daß die Friedensfreunde-West von der „Abrüstungsdynamik“ in der DDR „profitieren“ können. Eine Menschenkette von Bonn bis Berlin, wie es bayerische Grüne vorschlugen, wird nach einem Blick auf die Landkarte allerdings als ein allzu ambitioniertes Projekt angesehen. In Hinblick auf die Wahlkämpfe in diesem Jahr soll die grüne Partei mit der deutsch-deutschen Abrüstungskampagne jedenfalls „in die Puschen kommen“ (Maier) und sich friedenspolitisch profilieren.

Gemeinsam haben „BoA„-Initiative und Grünen-Kampagne zweierlei: Beide befürworten eine radikale Abrüstung und lehnen sozialdemokratische Konzepte einer Defensiv -Umrüstung, die den Wehretat womöglich sogar zunächst erhöhen würden, ab. Und beiden mangelt es an Vorstellungen, was denn zu tun sei, wenn die Wiedervereinigung kurzfristig hereinbricht, ohne auf Friedensfahrpläne Rücksicht zu nehmen.

Die Möglichkeit, daß man es schon in naher Zukunft mit einem gesamtdeutschen, aber nicht entmilitarisierten Staat zu tun haben könnte, kommt in den pazifistischen Utopien nicht vor.

Angesichts der Blitzbesuche von Kohl und Genscher in Sachen „deutsche Einheit“ in Mokau und Washington, wirkt der Titel einer für den 9. März in Hannover anberaumten Friedenskonferenz eher betulich: „Die Aufgaben der Friedensbewegungen in beiden deutschen Staaten beim Bau des gemeinsamen Hauses Europa“.