Die Magnetbahn ist in jeder Hinsicht am Ende

■ Der verkehrspolitische Sprecher der AL, Michael Cramer, plädiert für die Abschaffung der M-Bahn, die nun an von ihrem jetzigen Standort der U-Bahnlinie Pankow-Krumme Lanke weichen muß / Kommt die „große Koalition“ von AL und AEG für die Renaissance der Straßenbahn in Ost und West?

Die M-Bahn ist - wieder einmal - ins Gerede gekommen. Doch dieses Mal nicht wegen technischer Schwierigkeiten oder weil wiederum ein Termin verschoben werden mußte, nein: Dieses Mal geht es um den Standort, der nach den revolutionären Ereignissen in der DDR und der Maueröffnung nicht mehr zu halten ist.

Die Standortwahl für die M-Bahn auf der ehemaligen U -Bahntrasse war von Anfang an deutschlandpolitisch kurzsichtig, da sie von der Teilung der Stadt bis zum Sankt -Nimmerleins-Tag ausging. Und verkehrspolitisch war und ist sie heute besonders fragwürdig, weil sie die schnelle Inbetriebnahme der U-Bahnstrecke Krumme Lanke nach Pankow blockiert. Der Bau der M-Bahn hatte vor allem die Funktion auf Kosten der Steuerzahler -, ein Forschungsprojekt zu finanzieren, das der exportabhängigen Firma AEG Chancen im internationalen Wettbewerb verschaffen sollte. Dazu bedurfte es einer Stadt mit entsprechendem Gelände, hohen und einfachen Steuersubventionen und einer willfährigen Regierung. In Berlin war alles vorhanden: eine stillgelegte U-Bahntrasse, das Instrument der Berlinförderung und ein konservativ-liberaler Senat, der sein Prestige als innovationsfreudige Kommune aufpolieren wollte. Verkehrspolitisch hatte die M-Bahn für Berlin nie eine Bedeutung.

Untaugliches Massenverkehrsmittel

Die M-Bahn ist kein Massenverkehrsmittel. Sie ist eine Fortentwicklung der Kabinenbahn, die geplante Alternative zum motorisierten individuellen Autoverkehr. Da die Wagen der M-Bahn nur ein Fassungsvermögen von zusammen 128 Steh und Sitzplätzen haben, kann sie nach Angaben des jetzigen Verkehrssenators Wagner bloß 1.500 Personen - nach Angabe der AEG 20.000 - pro Stunde und Richtung transportieren. Die U-Bahn dagegen hat Spitzenwerte von 40.000 bis 60.000, die S -Bahn von 60.000 bis 80.000 Personen pro Stunde und Richtung. Selbst die Münchener Straßenbahn kann in einer Stunde 18.000 Fahrgäste befördern. Die M-Bahn ist also als Massenverkehrsmittel in einer Zwei-Millionen-Stadt fehl am Platze, erst recht in einem nun entstehenden Großraum Berlin mit cirka fünf Millionen Einwohnern.

Die M-Bahn steht zudem an der falschen Stelle. Es fehlt zumindest ein Bahnhof Potsdamer Platz und der M-Bahnhof Kemperplatz liegt auf der falschen Straßenseite, so daß die Philharmonie schlecht erreichbar ist. Besonders fatal wirkt sich heute aus, daß ein Teil der M-Bahn die ehemalige U -Bahnlinie A blockiert. Dabei handelt es sich nicht um irgendeine U-Bahnlinie, sondern um die einzige, die die Zentren der beiden Halbstädte verbindet, nämlich die erwähnte und bis 1961 durchgehende von Krumme Lanke bis Pankow.

Doch nicht nur dies spricht gegen den ausgewählten Standort. Niemand wird bestreiten, daß ein Nahverkehrssystem von 1,6 Kilometer Länge kaum sinnvoll ist. Eine Verlängerung vom Gleisdreieck über den Wittenbergplatz zur Uhlandstraße und zum Adenauerplatz, immerhin denkbar, wäre technisch nur unter extrem hohen Kosten zu realisieren. Die Gleise der M -Bahn und der U-Bahn sind nicht miteinander kompatibel. Beide Systeme dürften sich also nicht kreuzen. Deshalb müßte bei einem solchen Vorhaben der kürzlich historisch wiederhergestellte U-Bahnhof Wittenbergplatz mit seinen niveaufreien Kreuzungsanlagen vollständig umgebaut werden, damit die Gleise der M-Bahn entweder unterhalb oder oberhalb der U-Bahngleise verlaufen könnten.

Die M-Bahn wäre nach dem U-Bahn Klein- und Großprofil, dem Bus und der S-Bahn das fünfte Verkehrssystem in dieser Stadt. Und wenn man davon ausgeht, daß in dem Berlin mit offenen Grenzen, gar einem grenzenlosen Berlin, sich auch die gute alte Straßenbahn wieder nach West-Berlin ausdehnen wird, wäre die M-Bahn sogar das sechste Verkehrssystem. Je mehr Teilsysteme, desto teurer und unflexibler ist das Gesamtsystem öffentlicher Nahverkehr, denn für jedes Teilsystem müssen - meist tote - Reserven bereitgestellt und Reparaturkapazitäten geschaffen werden. Und ein Austausch der Systeme wäre zum Beispiel bei Großveranstaltungen oder Smogalarm nicht möglich.

Wirtschaftliche (Schein-)Argumente

Selbst die Befürworter der M-Bahn führten für ihre Planung vorwiegend sachfremde Argumente ins Feld. Die Berliner Stahlbauer brauchten wegen der Konjunkturflaute Beschäftigung. Also plante man eine Hochtrasse. Die Betonfundamente mußten wegen des unter der Trasse verlaufenden U-Bahn-Tunnels aufwendig ausfallen, was die Betonlobby zufriedenstellte - ein Argument, das im Lichte des Korruptionsskandals schnell überzeugt. Ein weiteres Argument war, daß man mit der M-Bahn zur internationalen Bauausstellung eine spektakuläre technische Neuerung vorweisen wollte. Daraus wurde nichts, denn der Personenverkehr wurde erst 1989 aufgenommen und nicht, wie geplant, im Jahre 1984. Und was die Arbeitsplätze betrifft: Die Wiederinbetriebnahme der 7,9 Kilometer langen S -Bahnlinie nach Lichterfelde Süd wäre 1984 nicht nur billiger, sondern auch arbeitsplatzintensiver gewesen.

Als einziger Nutznießer der vielen Millionen, die in den Bau der M-Bahn gesteckt wurden, kann die AEG gelten. Mit dem einzigartigen Demonstrationsprojekt, das zu 75 Prozent von Bonn und zu 25 Prozent von Berlin finanziert wurde - geplant waren Kosten von 50 Millionen, heute spricht man von mindestens 160 Millionen -, konnte sich das Unternehmen bei weltweiter Konkurrenz behaupten. Mit Las Vegas und der Frankfurter Flughafengesellschaft wurden bereits Verträge unterzeichnet. Berlin dagegen muß die verbliebenen Scherben aus dem Wege räumen. Profitiert hat die AEG nicht nur auf diese indirekte Weise. Sie hat auch mehr Subventionen erhalten, als sie für das Projekt ausgegeben hat. Die Arbeitsgemeinschaft M-Bahn erhielt nämlich zusätzlich zur Vollsubventionierung noch eine 30prozentige Investitionszulage nach dem Berlinförderungsgesetz, womit wie die taz schon im Dezember 1985 schrieb - „unter dem Strich für die beteiligten Firmen mehr übrig bleibt, als die Anlage gekostet hat“.

Juristische Vorgeschichten

Auch juristisch war die M-Bahn umstritten. Ex-CDU-Senator Wronski war in seiner Eigenschaft als Mitglied des Verwaltungsrates der Studiengesellschaft Nahverkehr Antragsteller für das M-Bahnprojekt. Als Senator hat er gleichzeitig den Planfestellungsbeschluß vom 23.Mai 1985 unterschrieben. Außerdem war er zuständig für die Abnahme der technischen Sicherheitseinrichtungen, die Genehmigung des Projektes und die Gewährung der Subventionen des Landes Berlin. Eine Ämterverquickung, die auch die Gerichte nicht kalt ließ. Vor allem wegen dieser Ämterverquickung hatten die Kläger des BUND gegen die M-Bahn vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Doch das Oberverwaltungsgericht (OVG) hob diesen Beschluß nur eine Woche später wieder auf. Tenor des Urteils: „Der BUND hat keine Klagebefugnis.“ Diese Entscheidung setzte Fakten, denn als der OVG-Beschluß Jahre später vom Bundesverwaltungsgericht wieder kassiert wurde, standen die M-Bahnstelzen schon.

Umweltverträglichkeit?

Der Probebetrieb (seit 1988) und der reguläre Personentransport (seit 1989) zeigte dann, daß die M-Bahn -Betreiber weitere wesentliche Versprechungen nicht halten konnten. Die M-Bahn sollte nicht nur besonders billig sein, sondern auch einen um 40 Prozent reduzierten Energieverbrauch und einen halb so hohen Geräuschpegel haben wie U- und S-Bahn. Doch für 1988 ergibt sich dann ein Stromverbrauchsindex (Kilowattstunden pro Wagen und Kilometer) bei der M-Bahn von 1,6. Bei der U-Bahn Kleinprofil beträgt er 1,63. Doch da allein der Energieaufwand pro beförderter Person vergleichbare Größen ergibt, sind die vom Senat veröffentlichten Zahlen irreführend. Da die M-Bahn pro Wagen weniger Personen befördern kann als die Konkurrenzsysteme, würde sie bei exakten Vergleichsgrößen deutlich schlechter abschneiden. Auch bei der Lärmemission führen technische Probleme dazu, daß die M-Bahn nicht das versprochene leise Verkehrsmittel geworden ist. Verwundert zeigte sich die Fachwelt, daß die Rad-Schiene-Technik des InterCityExpress (ICE) im Vergleich zur Magnetschwebetechnik des Transrapid nicht nur schneller, sondern auch leiser ist. Beim M-Bahn-Projekt in Berlin ist das ähnlich. Nach den Schwierigkeiten mit den geräuschintensiven Kompressoren sind die Probleme der lärmintensiven Weichen bisher ungelöst.

Ob die M-Bahn ein zukunftweisendes, neues Verkehrsystem ist, bleibt nach den Berliner Erfahrungen äußerst fragwürdig. Sicher ist jedoch, daß die Versuchsstrecke zwischen Gleisdreieck und Kemperplatz spätestens Ende 1991 abgerissen wird, um die „Wiedervereinigung“ der U-Bahn zu ermöglichen. Damit dürfte auch die M-Bahn als Ganzes jedenfalls in Berlin - gestorben sein. Von ihren Erbauern als Denkmal des technologischen Fortschritts gedacht, ist sie heute nur noch das Denkmal für eine verfehlte Politik des CDU-Senats. Wiedervereinigsungsrhetorik prägte das Reden, die Zementierung der Spaltung das Handeln. Ein solches Denkmal hat in diesen Zeiten in Berlin keinen Bestand.

AL + AEG Straßenbahn?

Was allerdings die Anforderungen an die aktuelle Berliner Verkehrspolitik betrifft, so ist die Ostberliner Straßenbahn eine hervorragende Alternative zur M-Bahn. Sie kostet nur 3 Millionen DM pro Kilometer und befördert 18.000 Personen in der Stunde. Sie kann Straße und Schiene problemlos kreuzen, ist sparsam im Energieverbrauch und relativ umweltfreundlich. Der AEG kann das eigentlich egal sein. Sie baut nicht nur M-Bahnen, sie baut neben U- und S-Bahnen auch Straßenbahnen. Diese möchte die BVB (Ost) auch in West -Berlin fahren sehen, zum Beispiel die Linie 22 von Rosenthal durchs Märkische Viertel zum Rathaus Reinickendorf.

Die AL favorisiert die Straßenbahn aus ökologischen und verkehrlichen, die AEG aus betriebswirtschaftlichen Gründen. Es wäre nicht nur neu, sondern auch originell, wenn AEG und AL sich für die Renaissance der Straßenbahn einsetzen würden, zur Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin, zum Wohle von Natur und Umwelt, im Interesse von Leben und Gesundheit der Menschen in Ost und West.

Michael Cramer AL-Verkehrsexpert