Eigenbedarf meist vorgeschoben

■ Berliner Mietergemeinschaft: Verfünffachung von „Eigenbedarfskündigungen“ im letzten Jahr / Oft Umwandlung in Eigentumswohnungen

Nur dank detektivischer Kleinarbeit konnte Dagmar B. ihre Wohnung behalten. Dagmar B. hatte sich erdreistet, gegen ihren Vermieter vor Gericht zu gehen, denn ihre Miete war überhöht. Nachdem sie Recht bekommen hatte, flatterte ihr die Kündigung ins Haus: Der Vermieter brauchte angeblich die Wohnung für die Schwiegermutter und meldete Eigenbedarf an. Und das, obwohl die Wohnung einen Stock tiefer frei war. Nun behauptete der Vermieter, die sei gekündigt. Aber Dagmar B. fand heraus, daß der Vermieter die ehemaligen Mieter dieser freien Wohnung schriftlich gebeten hatte, ihre Kündigung rückzudatieren. So konnte Dagmar B. vor Gericht beweisen, daß die Eigenbedarfskündigung fingiert war.

Nicht jede hat soviel Glück. Die Zahl der Eigenbedarfskündigungen hat sich im letzten Jahr verfünffacht, stellte die Berliner Mietergemeinschaft jetzt fest. Und: 95 Prozent aller Eigenbedarfskündigungen basierten auf vorgeschobenen Gründen, erfuhr die Mieterorganisation nach einer Umfrage bei drei großen Rechtsschutzversicherern. Denn vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil Vermietern Tür und Tor geöffnet, aufsässige Mieter per Eigenbedarf loszuwerden: Der Vermieter darf nun selber entscheiden, ob er die Wohnung braucht. Das Mieterinteresse spielt keine Rolle mehr.

Auch Mietern von Eigentumswohnungen wird häufig gekündigt, um die leere Wohnung teurer verkaufen zu können. „Meine Vermieterin will mich loswerden, denn eine leere Wohnung bringt ihr 40 Prozent mehr beim Verkauf ein und sie brauche das Geld“, nutzte ein Kollege die Pressekonferenz zur Rechtsberatung. Nun ist zwar eine Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen ebenfalls rechtlich möglich, aber nicht so einfach: Der Vermieter muß seine Vermögensverhältnisse vor Gericht offenlegen. Verhindern läßt sich die Eigenbedarfskündigung nur in Einzelfällen: Mieter in umgewandelten Eigentumswohnungen haben drei Jahre Schonfrist gegenüber dem frischgebackenen Besitzer, nicht aber gegenüber dem Verkäufer. Auch aus sozialen Gründen können Gerichte Eigenbedarfskündigungen untersagen oder zumindest die Kündigungsfrist verlängern. Deshalb ist Vorsorge besser als Nachsorge: „Vielleicht finden Sie Ihre Wohnung, in die die Schwiegermutter einziehen soll, im Immobilienteil Ihrer Zeitung als Eigentumswohnung“, so die Mietergemeinschaft. Ist der Mieter aus-, die Schwiegermutter aber nicht eingezogen, wird zwar Schadensersatz fällig theoretisch. Praktisch muß der Mieter nachweisen, daß die arglistige Täuschung von Anfang an geplant war. Und das ist kaum möglich.

Eva Schweitzer