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Wegen Krankheit diskriminiert

Nach zwei Meningitis-Todesfällen sind Asylbewerber Ausländerfeindlichkeit ausgesetzt  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - „Die Walldorfer haben ihre Kinder in die Häuser geholt, als in der letzten Woche die Nachricht vom zweiten Meningitistoten durch die Stadt geisterte“, meinte Matthias Schimpf, Mitglied der Grünen im Groß-Gerauer Kreistag und Vorsitzender des dortigen Sozialausschusses. „Panikstimmung“ herrsche im Ort, weil - so der Tenor der empörten Stellungnahmen aus der deutschen Wohnbevölkerung „die Kanaken uns hier die Seuchen eingeschleppt haben“. Bei Landrat Willi Blodt (SPD) treffen anonyme Briefe ein, die „nicht zitierfähig“ (Blodt) seien. Wenn die Schwarzafrikaner aus dem Asylbewerberlager Hotel „Europa“ durch die Gemeinde flanieren, wechseln die Einheimischen sogar die Straßenseite.Seit eine Iranerin aus dem Hotel „Europa“ vor zehn Tagen an Hirnhautentzündung (Meningitis) starb und nur Tage später ein illegal in Walldorf lebender Schwarzafrikaner gleichfalls dieser, ohne rasche Behandlung immer tödlich verlaufenden Krankheit erlag, fühlen sich die Flüchtlinge im gesamten Kreisgebiet verstärkter Diskriminierung ausgesetzt. Das berichtet auch Ozan Ceyhun, türkisches Mitglied des Kreisvorstandes und des Landesvorstandes der Grünen, nach einem Informationsbesuch im Hotel „Europa“. Ceyhun und Schimpf werfen den Behörden vor, „nichts, aber auch absolut nichts getan“ zu haben, um zum einen die bei den Deutschen hochkommenden Emotionen zu bremsen und zum anderen den AsylbewerberInnen die Angst vor der Krankheit zu nehmen. Längst hätte der deutschen und ausländischen Wohnbevölkerung klar gemacht werden müssen, daß Meningitis keine Krankheit aus der Dritten Welt und somit auch keine „Kanakenkrankheit“ sei. Ceyhun verwies auf Meningitisfälle in einem Kindergarten im benachbarten Rüsselsheim. Dort seien vor einigen Jahren mehrere Kinder erkrankt, „und da gab es weit und breit keine AsylbewerberInnen“.

Der Meningitispezialist des Frankfurter Nord-West -Krankenhauses, Professor Janssen, bestätigt die Thesen der Grünen. Auf seiner Station liegen zur Zeit knapp 60 Menschen, die an Meningitis erkrankt sind. Dabei handelt es sich vorwiegend um Deutsche, die aus allen sozialen Schichten kommen. Jede Grippe, sagt Janssen, könne sich unter bestimmten Umständen zu einer Hirnhautentzündung ausweiten. Mit mangelnder Hygiene lasse sich die Entstehung einer Meningitis jedenfalls nicht erklären.

Für die Grünen steht fest, daß die notwendige Debatte um die unhaltbaren Zustände im Hotel „Europa“ von der Diskussion um die Meningitisfälle getrennt werden muß, damit der eigentliche Skandal sichtbar wird. Ozan Ceyhun appelliert an Kreistag und Landesregierung, umgehend die Überbelegung im Hotel „Europa“ abzubauen und für menschenwürdige Lebensbedingungen zu sorgen: „Zweibettzimmer sind mit sechs Leuten belegt - und trotz Nutzungsverbot durch das Gesundheitsamt sind noch immer Menschen in fensterlosen Kellerlöchern untergebracht.“

Am 19. Mai wollen die Grünen, zusammen mit Flüchtlingen und politischen und karitativen Organisationen, im Kreistag gegen diese „Flüchtlingshaltung“ in Mörfelden-Walldorf protestieren. Die Familie der an Meningitis gestorbenen Iranerin hat inzwischen Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung erstattet.

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