Die Bundesdeutschen auf der Siegerstraße

■ Weder der DDR-Außenminister in Ottawa noch der DDR-Ministerpräsident in Bonn haben noch viel zu melden

Den DDR-Außenminister Oskar Fischer ließ der bundesdeutsche Genscher auf der Konferenz der Außenminister von Nato und Warschauer Pakt in Ottawa wie einen dummen Jungen am Rande stehen - den Fahrplan zur deutschen Einheit handelte der Westdeutsche ohne Widerstände allein aus. Die 2:4-Formel zur Zusammensetzung der Konferenz der Siegermächte mit beiden deutschen Staaten nach den DDR-Wahlen geriet in seinen Händen zu 1:4. Und Hans Modrow wurde bei seinem Besuch in Bonn - jetzt schon Hauptstadt aller Deutschen - wie ein Mini -nister auf Abruf behandelt. Die Frage sei erlaubt: Gibt es die DDR überhaupt noch?

Amtskollegen aus sieben anderen Hauptstädten hatte der bundesdeutsche Außenminister seit seiner Ankunft in der kanadischen Hauptstadt am Sonntag nachmittag bereits getroffen, einige sogar mehrfach. Für zehn Uhr am Dienstag morgen stand endlich ein Gespräch mit Oskar Fischer aus Berlin-DDR auf Genschers Tagesordnung. Doch zuvor gab es Wichtigeres zu tun. Um neun Uhr vierzig zog sich der Bundesaußenminister zwecks Aushandlung des Fahrplans zur deutschen Einheit mit Schewardnadse zurück. Fischer wurde mehrfach „um einige Minuten Geduld gebeten“, schließlich der Gesprächsbeginn auf unbestimmte Zeit verschoben. Der DDR -Außenminister wartete in den Kulissen. Gegen 12 Uhr schließlich stürmte Genscher aus Schewardnadses Zimmer an Fischer vorbei direkt zu Baker, um das Verhandlungsergebnis absegnen zu lassen.

Die Episode am Rande der Außenministerkonferenz in Ottawa zeigt schlaglichtartig, daß die „2:4„-Formel, die „Besprechungen“ der Außenminister beider deutscher Staaten mit denen der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges über die „äußeren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit“, nur auf dem Papier steht, das die sechs Außenminister am späten Dienstag nachmittag der Öffentlichkeit vorlegten. Tatsächlich heißt der Rahmen, in dem sich das Wesentliche abspielt, schon längst 1:4. Mindestens seit dem Kaminfeuertreffen Genschers mit Baker in Washington vor über zwei Wochen hatte Bonn über den Fahrplan zur deutschen Einheit Konsultationen mit den vier Siegermächten geführt. Inzwischen brüsten sich neben Genscher auch Baker und Thatcher der Vater- bzw. Mutterschaft.

Auf die Frage, wann denn Ost-Berlin vor der Ottawa-Tagung informiert wurde, erklärte Genscher am späten Dienstag nachmittag, „mit Ministerpräsident Modrow“ sei „heute morgen in Bonn darüber gesprochen worden“. Ein hoher Diplomat des Auswärtigen Amtes ergänzte, es habe „Kontakte gegeben“. Mit wem, ob vielleicht überhaupt nicht mit der Regierung, sondern nur mit (ausgewählten) Vertretern des Runden Tisches, wollte er nicht sagen.

Nachdem Genscher mit den vier Siegermächten alles klar gemacht hatte, traf er sich am Nachmittag doch noch kurz mit Fischer. „Melancholisch“ sei die Begegnung gewesen, meint der AA-Diplomat. Fischer habe „kaum etwas beitragen können“.

Über den Verlauf des zweistündigen Verhandlungen mit Schewardnadse ließ Genscher lediglich verlauten, es sei ausschließlich um die Aushandlung des in seiner deutschen Fassung gerade zehnzeiligen Abschlußtextes gegangen. Dieser fixiert den Beginn des Gesprächsprozesses mit den vier Siegermächten nach den DDR-Wahlen und enthält keinerlei Festlegungen über einen Zeitpunkt für den Abschluß. Das dürfte ebenso ausschlaggebend für die schließliche Zustimmung Moskaus gewesen sein wie die Sorge vor einer unkontrollierbaren Entwicklung angesichts des von bundesdeutschen Diplomaten in Ottawa drastisch beschriebenen Zerfalls der DDR.

Ob die vier Siegermächte sich vor den Gesprächen in der Sechserrunde abstimmen, ist noch offen. Genscher „rechnet“ jedoch wie selbstverständlich damit, daß BRD und DDR jeweils mit „gemeinsamen Positionen“ in die Gespräche mit den vier Siegermächten gehen. Die Tatsache, daß auch der voraussichtliche SPD-Wahlsieger vom 18.März, Ibrahim Böhme, sich bislang ein vereintes Deutschland in der Nato nicht vorstellen kann, scheint Bonner Vertretern ein leicht überwindbares Hindernis. Mehr Widerstand in dieser Frage wird es mit Sicherheit aus Moskau geben. Schewardnadse betonte am Dienstag noch einmal ausdrücklich, daß eine solche Konstruktion „unter keinen Umständen akzeptabel“ sei. Und seinen Sprecher und Berater Churkin ließ er erneut verbreiten, die Forderung nach Neutralität Gesamtdeutschlands sei „nach wie vor die offizielle sowjetische Position“. Die Sowjetunion dürfte diese Haltung im Verlauf der Sechser-Gespräche aufgeben - wenn Bonn und Ost-Berlin bereit sind, sowjetische Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen. Zu entsprechenden Schritten könnte die verbindliche Zusage zur Reduzierung der Bundeswehr auf eine Größenordnung zwischen 100.000 und 200.000 Mann bis spätestens Mitte der 90er Jahre gehören. Noch hat Moskau diese Forderung nicht offiziell erhoben, auch aus Sorge, dies könne in der innenpolitischen Diskussion der BRD kontraproduktiv wirken.

Doch Gespräche mit sowjetischen Vertretern in Ottawa machten deutlich, daß hier eine der Hauptsorgen Moskaus liegt. Genscher wich der Frage aus, ob das Thema deutsche Armee denn zum „internen“, ausschließlich zwischen Bonn und Ost-Berlin zu klärenden Bereich gehört oder in den Rahmen der „externen Aspekte“. Er verwies auf die Einbeziehung der Bundeswehr in eine zweite Wiener Verhandlungsrunde. Die beginnt jedoch frühestens im Dezember 1990, und ein Ergebnis ist realistischerweise nicht vor Ende 1991 zu erwarten. Das dürfte Moskau nicht ausreichen.

Zunächst geht es jetzt erst einmal um die Festlegung von Ort, Tagungsrhythmus und die Benennung der Themen für die Zweier- und die Sechsergespräche. „Vorbereitende Gespräche“ auf Beamtenebene sollen „in Kürze aufgenommen werden“ - nach Genschers Vorstellung noch vor den DDR-Wahlen am 18.März. Der Ort der Gespräche wird laut Genscher „in Deutschland“ liegen, „vielleicht in Berlin“, jedoch „auf gar keinen Fall im alliierten Kontrollratsgebäude“.

Andreas Zumach, Ottawa