Schweizer Militär schnüffelte mit

Verteidigungsministerium legte Karteien über „potentielle Landesverräter und Saboteure“ an  ■  Aus Basel Th. Scheuer

Neues Kapitel im schweizerischen Schnüffelskandal: Auch das Militär hortete Daten über Personen, denen im Ernstfall „armeefeindliche Umtriebe“ zugetraut wurden. Erst im November '89 hatte eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) die flächendeckende Bespitzelung der Bevölkerung durch die für den Staatsschutz zuständige Bundespolizei (BuPo) aufgedeckt: 900.000 Dossiers umfaßte das Berner BuPo-Archiv (taz v. 6.2.).

Bald wurde der Verdacht laut, auch das eidgenössische Militärdepartement (EMD), also das Verteidigungsministerium, führe ähnliche Registraturen. In Bern wurde dies vehement bestritten. Der Zürcher 'Tagesanzeiger‘ erhielt es Ende Dezember auf Anfrage von Militärminister Kaspar Villiger gar schriftlich: „Die Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr führt keine entsprechende Kartei.“

Diese Woche gestand das EMD nun ein, daß die Abwehr im EMD in der Vergangenheit sehr wohl eigene Schnüffelkarteien über „potentielle Landesverräter und Saboteure“ führte. Die Medien stellten nun die Frage: Hat Minister Villiger gelogen oder wurde er von seinen Beamten belogen? „Unvollständig unterrichtet“ hätten ihn seine Untergebenen, so der Minister am Mittwoch. Einer von ihnen wurde anschließend vom Amt suspendiert: Der Chef des Abwehrdienstes, Oberstleutnant Peter Huber. Der war bislang in Personalunion auch Chef der Bundespolizei, somit also Befehlshaber über beide Schnüffeldateien, die militärische wie die polizeiliche. Eine in anderen europäischen Staaten unvorstellbare Verfilzung militärischer und polizeilicher Funktionen! Was ist mit der Abwehr-Kartei geschehen? Wer führte sie? Wer waren die Informanten? Wieviele Dossiers umfaßt sie? Wer wurde registriert? Wer hatte Zugriff? Trotz der vielen offenen Fragen wehrt sich die Regierung gegen die Einsetzung einer neuen Untersuchungskommission. Sozialdemokraten und Grüne hatten eine solche schon im Dezember zwecks Durchleuchtung des Geheimdienstgeflechtes gefordert.

Die Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten im Bereich Spionage- und Terrorismus-Abwehr, begründet die Regierung ihren Unwillen, werde gefährdet. Wahrer Grund: Eine Geheimdienst-PUK brächte Verfilzungen mit den Diensten der Nato und Israel ans Licht, die dem Klischee von der „immerwährenden eidgenössischen Neutralität“ wenig zuträglich wären. Etwa, daß West-Agenten in Einzelfällen schon mal mit Schweizer Pässen ausgeholfen wurde. Der Parteichef der Sozialdemokraten, Peter Hubacher, fragt sich schon laut: „Müssen wir den Laden noch besetzen, bis wirklich Licht ins Dunkel der Schnüffelarchive kommt!?“