Krieg, Hunger und kein Ende für Eritrea

Großoffensive der eritreischen Befreiungsfront / Druck auf die äthiopische Regierung wächst / Israel stößt in die von der UdSSR hinterlassene Nachschublücke / Muslimische Staaten unterstützen die Rebellen /Lebensmittelhilfe liegt auf Eis  ■  Von Christa Wichterich

Nairobi (taz) - Nach neunmonatiger Feuerpause greift die Eritreische Befreiungsfront EPLF die äthiopischen Regierungstruppen auf ganzer Front an. In der schwer umkämpften Hafenstadt Massawa am Roten Meer haben die für ein unabhängiges Eritrea kämpfenden Rebellen neun äthiopische Kriegsschiffe versenkt sowie nach eigenen Angaben vierzig Panzer erbeutet. Gleichzeitig hat die EPLF das Feuer auf Keren im Nordwesten Asmaras, der Hauptstadt Eritreas, und auf Areza im Südwesten eröffnet. 600 Regierungssoldaten seien dabei getötet und weitere 900 verletzt worden, teilte der Rebellensender mit. Steht nun der große Sturm auf die eritreische Hauptstadt Asmara bevor?

Am Samstag behauptete die EPLF, die Hafenstadt Massawa erobert zu haben. Doch offenbar halten äthiopische Einheiten immer noch den auf einer Insel vorgelagerten Stadtteil mit dem Handelshafen. Auf jeden Fall hat die EPLF die 105 Kilometer lange Verbindungsstraße zwischen dem Hafen und der Hauptstadt Asmara unterbrochen. 50.000 Tonnen Hilfsgüter für die vier Millionen Menschen, die in Nordäthiopien unter akuter Nahrungsmittelnot leiden, liegen nun im Hafen fest.

Asmara, früher als schönste Stadt Afrikas gepriesen, ist seit Jahren eine Regierungsenklave, umgeben von EPLF -Territorium. Die Straße, die sich in Serpentinen durch eine grandiose Landschaft von kakteenbewachsenen, terrassierten Bergketten von 2.000 Meter Höhe hinunter zu der heißen Steinwüste der Küste schlängelt, ist die Nabelschnur, an der bisher die relative Normalität des Alltags in Asmara hing. Über diese Straße rollte in mächtigen, weißen UN-Lastern auch das Gros der Nahrungsmittelhilfe nach Nordäthiopien. 20.000 Tonnen Hilfsgüter lagern in Asmara, die Kämpfe machen ihre Verteilung an die von Hunger Bedrohten außerhalb der Stadt unmöglich.

Auf halber Strecke zwischen Asmara und der Hafenstadt Massawa leben am baumlosen Hang 4.000 „Vertriebene“ in elenden Hütten aus Bastmatten, Säcken und Pappkarton, Frauen, Kinder, ältere Männer. Was hat sie vertrieben? „Die Dürre“, antwortet der Lagerverwalter - aber im letzten Jahr war doch gar keine Dürre, halten wir dagegen - „die Kämpfe“, meint er dann. Was er verschweigt, sagen die „Vertriebenen“: Die Regierung hat sie 1988 aus ihren Dörfern im Küstenstreifen evakuiert, um freie Feuerzonen zu schaffen.

Massawa war 1977 schon einmal heftig umkämpft. Der Stadtteil auf dem Festland hat sich bis jetzt nicht von der Schlacht erholt, die Bewohner leben ihren Alltag in Ruinen, zerschossenen Gebäuden und heruntergekommenen Siedlungen.

Im Oktober und November war bereits die Befreiungsfront Tigrays in bedrohliche Nähe der Hauptstadt Addis Abeba vorgestoßen. Auch der Sender der TPLF meldete am Mittwoch eine zweitägige Offensive. Doch die durch Putsch- und Attentatsversuch geschwächte Regierung Mengistus mit den bereits überstrapazierten Parolen von der „Rettung der nationalen Einheit und Integrität“ konnte noch einmal eine massive Mobilisierung und Zwangsrekrutierung durchführen. Gerade hatte sie begonnen, Tausende Milizen im Süden Eritreas zu bewaffnen und auszubilden.

Viele Äthiopier, denen die Volksgruppen der zentralen und südlichen Landesteile angehören, hegen zwar keinen Funken Sympathie für das marode Regime Mengistus und kriegsmüde sind sie allemal; ein unabhängiges Eritrea wollen sie jedoch genausowenig wie die TPLF an der Regierungsmacht, deren politische Ideologie im Ruf steht, „stalinistisch“ zu sein und Albanien zum Vorbild zu haben.

Mit der Eröffnung einer breiten dritten Kampffront in Eritrea hat die EPLF die Armee offenbar überrascht. Der Hafen Massawa hat doppelte strategische Bedeutung: Hier landen Nahrungsmittel und Kriegsgüter - beides politische Waffen. Die Verteilung von Nahrungsmittelhilfe durch die staatliche Hilfsorganisation RRC hat die EPLF schon immer bezichtigt, Versorgungskanal für die Armee zu sein. Kriegsmaterial liefert höchstwahrscheinlich nicht nur die Sowjetunion, die nur noch zähneknirschend ihr Militärabkommen erfüllt, sondern inzwischen auch Israel, das seine 1973 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen zu Äthiopien kürzlich wiederbelebte. Daß Israel mit Waffenverkäufen und Beratern für die Regierung in Addis Abeba in die Bresche springt, motiviert wiederum die Golfstaaten und die sich zunehmend islamisierende Regierung des Sudan zu einer forcierten Unterstützung der eritreischen Rebellen.

Ganz offenbar setzt die EPLF wieder auf eine militärische Lösung. Im letzten Jahr bei den Vorgesprächen zu Friedensverhandlungen in Atlanta und Nairobi wurde den Rebellen signalisiert, daß ihr Ziel der Unabhängigkeit Eritreas international auf keine Gegenliebe stößt. Die Eroberung der Hauptstadt Asmara würde Tatsachen schaffen und die Grundlage für die Ausrufung der eritreischen Unabhängigkeit bilden. Der Preis ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Blutbad und eine Hungerkatastrophe.