Goldener Bär unter Polizeischutz

■ Vor vier Jahren gewann Reinhard Hauffs Film „Stammheim“ den Berlinale-Wettbewerb

Berlinale 1986: Der Zoopalast steht unter Polizeischutz. Mit Helmen, Schlagstöcken und Schildern bewaffnet, lassen Polizisten die Festivalbesucher nur gegen Vorlage ihres Ausweises und nach gründlicher Leibesvisitation ein. Der Anblick grünuniformierter Hundertschaften gehörte in Berlin, wo in den vorangegangenen Jahren die Hausbesetzerkämpfe tobten, damals zwar zum vertrauten Bild, doch diesmal sind die Fronten verdreht. Die Staatsmacht ist nicht gegen die Verbreitung linksradikalen Gedankenguts zu Felde gerückt, sondern ihre massive Präsens soll hier die reibungslose Aufführung eines Films gewährleisten, der - Ironie des Schicksals - von den entschiedensten Gegnern jenes Polizeiapparates handelt.

Im Wettbewerb läuft als deutscher Beitrag Reinhard Hauffs Film Stammheim. Es geht darin um die Rekonstruktion der spektakulären Prozesse gegen die vier RAF-Mitglieder Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim. Hauff hat für die Inszenierung eine dokumentarische Form gewählt, die sich ausschließlich auf die offiziellen Prozeßprotokolle und Gesprächsnotizen der RAF-Häftlinge stützt. Das Drehbuch schrieb Stefan Aust, dessen Bestseller Der Baader-Meinhof -Komplex in der links-autonomen Szene schon für Kontroversen gesorgt hatte. Dem Film wird nun genau aus diesem politischen Lager Einseitigkeit und Wirklichkeitsverfälschung vorgeworfen. Eine geplante Vorpremiere in Hamburg wird von links-autonomen Gruppen gesprengt, die Buttersäure verspritzen uns die Filmkopie entwenden, anstatt mit den prominenten Gästen - Christian Lochte, Klaus Bölling und Sebastian Cobler waren zur Podiumsdisskussion geladen - zu diskutieren. Um ähnliche Vorkommnisse bei der Weltpremiere in Berlin nun zu verhindern, hat man die Aufführung kurzerhand unter Polizeischutz gestellt. In der „Szene“ kursieren derweil Flugblätter, die zum Boykott und zu Störaktionen aufrufen, weil spätestens jetzt jedem aufrechten Linken klar sein müsse, daß es sich bei dem Film, der sich da als offizieller deutscher Beitrag neben internationalen Großproduktionen im Wettbewerbsprogramm tummelt, nur um ein staatstragendes kommerzielles Machwerk handeln kann. Manch ungetrübte WG -Harmonie droht an der Frage des Sehens oder Nichtsehens zu zerbrechen.

Und ausgerechnet dieser Beitrag erhält den „Goldenen Bären“. Eine politisch motivierte Entscheidung der Jury? Jurypräsidentin Gina Lollobrigida war jedenfalls verärgert. Gegen die übliche Absprache zur Verschwiegenheit gab sie öffentlich bekannt, daß sie gegen den Film gestimmt habe, weil sie ihn für ein politisches Pamphlet halte. Die Preisentscheidung war in der Jury nur mit einer Stimme Mehrheit gefällt worden. Die Presse jedoch lobt Stammheim mehrheitlich als eindrucksvolles Dokument über die Unnachgiegigkeit und Härte eines Staates im Kampf gegen seine politischen Gegner. Der Film rekonstruiere „nicht nur ein Stück der Zerstörung unserer politischen Kultur, er ist selbst ein Beitrag zu ihrer Bewahrung“. Hauff durfte den Bären behalten und spätere Aufführungen in bundesdeutschen Kinos verliefen störungsfrei.

Für weitreichendere Konsequenzen sorgte 1970 Michael Verhoevens Wettbewerbsbeitrag, der diesmal wieder mit einem Film („Das schreckliche Mädchen“) im Wettbewerb vertreten ist. Sein damaliger Film O. K., eine kritische Auseinandersetzung über dem Vietnamkrieg, löste in der internationalen Jury eine so heftige Debatte aus, die auf das ganze Festival übergriff und zu einher grundsätzlichen Diskussion um die Struktur der Berlinale führte. Der Wettbewerb wurde damals abgebrochen und als Folge daraus etablierte sich im nächsten Jahr erstmals das Internationale Forum des jungen Films neben dem offiziellen Wettbewerbsprogramms.

Beide Filme, Stammheim und O. K. laufen in der Filmreihe zur Geschichte der Berlinale im Cinema Paris neben anderen „Skandalfilmen“ unter dem Stichwort „Trouble in Paradise“.

Ute Thon

Stammheim von Reinhard Hauff mit Ulrich Tukur, Therese Affolter, Ulrich Pleitgen und Sabine Wegner.

17.2., 13 Uhr.

O. K. Von Michael Verhoeven mit Eva Mattes, Hartmut Becker, Wolfgang Fischer.

17.2., 18 Uhr