Das Monopol wackelt

■ Morgen wird in Japan gewählt / Aus Tokio Georg Blume und Chikako Yamamoto

Noch herrscht in Japan das, was dort das „Einparteiensystem“ der liberalen LDP genannt wird. Aber nachdem im vergangenen Juli Takako Doi, Vorsitzende der Sozialistischen Partei, die Oberhauswahlen für sich entscheiden konnte, wackelt jetzt auch das Monopol der LDP-Greise im Unterhaus. Doch die sozialistischen Männer wollen offenbar lieber vom politischen Gegner als von einer Frau regiert werden.

Einen Tag vor den entscheidenden Parlamentswahlen zum Tokioter Unterhaus ist die politische Spannung in Japan auf dem Höhepunkt. Am Sonntag wird der bisher ungewöhnlichste ungewöhnliche Zweikampf von zwei Spitzenkandidaten entschieden: zwischen dem amtierenden Ministerpräsidenten und seiner Herausforderin. Und so sind auch die Slogans diesmal mehr als die banale Rhetorik, die sie zu sein scheinen. „Wir werden auch den zweiten Berg bewegen“, skandiert die Spitzenkandidatin der japanischen Sozialisten (JSP), Takako Doi. Ihren Optimismus zieht sie aus dem überwältigenden Wahlsieg ihrer Partei bei den Oberhauswahlen im vergangenen Juli. „Folgen wir dem Ruf der Zukunft“, entgegnet ihr der amtierende Ministerpräsident Toshiki Kaifu, „wählen wir die Freiheit und nicht den Sozialismus.“

Kaifu steht vor seiner Schicksalswahl. Der Mann, der erst vor sechs Monaten zum Regierungschef gemacht wurde, um der Liberaldemokratischen Partei (LDP) in Tokio die Macht zu sichern, hat allen Grund zu fürchten, daß er die Wahl politisch nicht lange überlebt. Auch wenn er sein Wahlziel, die absolute LDP-Mehrheit, erreicht.

Denn die ihn vor kurzem ausschickten, wollen ihn nun wiederwieder einfangen. Noch vor dem Urnengang haben die mächtigen Fraktionen der Liberaldemokraten, die in Kaifu stets nur einen Übergangskandidaten sahen, den Regierungschef faktisch seines Einflusses beraubt. über die Machtverteilung im japanischen Staat wird nämlich bislang hinter verschlossenen Parteitüren entschieden. Dort aber hat Kaifu keinen Einfluß. Einflußreiche Fraktionsmitglieder haben schon Kaifus Rücktritt für die Sommermonate vorausgesagt - unabhängig von den Wahlergebnissen am Sonntag.

Verlacht und gehetzt von der eigenen Partei wählte Kaifu die Flucht nach vorn - in die Öffentlichkeit. In den letzten Wahlkampfwochen wehte ein frischer politischer Wind durchs Inselreich. Kaifu kämpfte. Wohlwissend, daß nur ein unerwarteter Wahlerfolg ihn retten kann, wagte er eine Podiumsdebatte im Fernsehen mit den Parteiführern der Opposition - eine für LDP-Greise geradezu halsbrecherische Einführung demokratischer Diskussionskultur. Denn rednerische Kunst und Talent im Umgang mit der Öffentlichkeit waren für LDP-Machtpolitiker in ihren Küchenkabinetten immer nebensächlich. Lieber verlieren als

mit einer Frau gewinnen

Daß nun Kaifu mit dieser Tradition brach, gefiel vor allem seiner schärfsten Gegnerin. Der allzu charismatischen Takako Doi geht es nicht besser als Kaifu. Sie, die beliebteste Politikerin des Landes, ist der eigenen Männerpartei suspekt geworden. Lieber lassen die japanischen Sozialisten die Liberaldemokraten gewinnen, als sich einer Frau in die Arme zu werfen. Sie ließen nur 148 Kandidaten für 512 Parlamentssitze aufstellen, damit niemand auch nur auf den Gedanken kommen konnte, Frau Doi könne eine Parlamentsmehrheit hinter sich bekommen.

Auch wußten die Sozialistenmänner zu verhindern, daß die von Doi geforderten 40 Kandidatinnen am Sonntag auf den Wahllisten erscheinen. Nur 6 Frauen blieben übrig, obwohl gerade Sozialistinnen bei den Oberhauswahlen im Juli die größten Stimmerfolge erzielt hatten. So sucht auch Takako Doi, an ihrer Partei vorbei, das Plebiszit. Wo sie in diesen Tagen auch auftritt - Tausende von Menschen jubeln ihr zu. Meist Frauen, die das erste Mal politische Hoffnung schöpfen.

Es ist der politische Showdown zwischen Toshiki Kaifu und Takako Doi, der dem bislang hinter den Kulissen versteckten politischen Geschehen eine nie gekannte öffentliche Brisanz gibt. Kandidat wie Kandidatin verlangen vom Wähler einen Entscheid über die nationale Politik, die sie repräsentieren. In der Eigenart des japanischen Systems lag es jedoch gerade, daß lokale Beweggründe auch bei den landesweiten Wahlen maßgeblich das Wählerverhalten bestimmten. Ist dies auch morgen der Fall, dann steht dem Wahlsieg der LDP, deren lokale Wählerfangnetze ungleich feiner gesponnen sind als die sozialistischen, nichts im Wege.

Doch es kann auch anders kommen. Vor vier Jahren prophezeite der damalige Ministerpräsident Nakasone eine neue „politische Ordnung von 1986“. Gerade hatten die Liberaldemokraten ihren bis dahin höchsten Wahlsieg bei gleichzeitigen Unter- und Oberhauswahlen verbucht. Nakasone ging deshalb davon aus'daß es der LDP gelingen würde, neben den ländlichen Wählerschichten auch die beweglicheren städtischen WählerInnen fest an die Partei zu binden. Doch soweit kam es nicht. Die Aufdeckung immer neuer Korruptionsskandale, astronomische Steigerungen der Miet und Bodenpreise in den Städten, eine neue Mehrwertsteuer und last not least die Popularität einer Takako Doi haben der LDP - so viel läßt sich bereits heute sagen - die „politische Ordnung von 1986“ zunichte gemacht.

Wird es deshalb am Sonntag zu einer Neuordnung des politischen Systems in Japan kommen? Das ist das Ziel von Takako Doi. Was Gorbatschow in Moskau recht ist, ist ihr in Tokio billig. Sie rüttelte am Einparteiensystem der Großmachtnation und brachte es bei den Oberhauswahlen in Bewegung. Daß die LDP-Herrschaft bei den Wahlen am Sonntag gar einstürzt und Takako Doi nach einem Durchmarschsieg aller sozialistischen KandidatInnen zur nächsten japanischen Regierungschefin gewählt wird, erwartet jedoch niemand mehr.

Der LDP-Fraktionsschef Kanemaru (81), nicht nur auf Grund seines Alters eine Art japanischer Deng Xiaoping, sagt für die Zeit nach den Wahlen die Bildung einer Koalitionsregierung unter Führung der LDP voraus. Diese Aussicht besteht nach Auffassung japanischer Kommentatoren auch dann, wenn die LDP am Sonntag ihre absolute Mehrheit im Unterhaus verteidigt - wegen der oppositionellen Mehrheit im Oberhaus. Das Koalitionskonzept entspräche dem bereits in den fünfziger Jahren bewährten Motto der Herrschenden: Wenn die Opposition zu stark wird, kauft die Regierung einen Teil von ihr einfach auf. Kandidaten dafür gibt es in den Reihen der kleinen Oppositionsparteien genug.

Mit Kaifu und Doi führen derzeit die talentiertesten politischen Redner der Nation Wahlkampf, der für Nippons Verhältnisse geradezu einem Feuerwerk gleicht. Spätestens am Montag ist aber Schluß mit dem demokratischen Zauber. Wenn die beiden Kontrahenten dann dem Kleinkrieg der Parteien zum Opfer fallen, wird sich möglicherweise die Parteienlandschaft verändern. Nicht aber das Prinzip einer Einparteienregierung.

Dennoch ist in Japan noch nicht aller demokratischen Tage Abend. Im vergangenen Herbst wählte die oppositionelle Mehrheit im Oberhaus Takako Doi in einem symbolischen Akt zur Ministerpräsidentin. Noch nie haben oppositionelle Kräfte in Japan eine solche öffentliche Legimation erreicht

-noch dazu unter Führung einer Frau -, sieht man einmal von einer kurzen Nachkriegsperiode ab. Nach Umfrage der Tagezeitung 'Nihon Keizai‘ wollen nur 18 Prozent der JapanerInnen, daß die Alleinherrschaft der LDP weitergeht.