„Da stelle mer uns janz dumm“

■ Bremer Theater: Hans Pfitzners „Palestrina“ hatte am Freitag in der Kirche „Unser Lieben Frau“ Premiere

Hierhin bitte

die zwei Bischöfe

am Tisch

Hans Pfitzner, deutscher Tonsetzer (1869 - 1949), dessen „Musikalische Legende“ Palestrina am Freitagabend unter größter Kraftanstrengung des Bremer Opernpersonals dargeboten wurde, war ein zierlicher Mann mit feinen Gesichtszügen, das spitze Kinn durch klassischen Spitzbart betont, zum Verwechseln jenem Physikprofessor aus der „Feuerzangenbowle“ ähnlich, dessen didaktisches Prinzip („Da stelle mer uns janz dumm“)

bekanntlich eine glänzende Erkenntnisgrundlage bietet. Vergessen wir folglich den deutschnationalen Futuristenfresser, erinnern wir Pfitzner als tiefstsinnigen, pessimistischen Grübler und idealistisch gestimmten Asketen. Immerhin, den Nazis war der Mann zu schlaff, das ehrt ihn doch irgendwie. So eine Künstleroper, die Kirchenmusik der Gegenreformation betreffend, kann ja schlimmstenfalls langweilig sein.

Doch leider, langweilig ist

Pfitzners musikalische Legende nicht. Die Möglichkeit, das sorgsam gedichtete Textbuch mitzulesen, läßt den dreieinhalb Stunden langen Abend zur Tortur werden. Ein Skandal, diese Oper. Palestrina sagt uns folgendes: a) Kunst ist Kunst und sonst garnichts. b) Mögen sich die Mächtigen auch an ihr vergreifen, sie bleibt doch rein und unbefleckt. c) Gleiches gilt auch für den Künstler. d) Dem wahren Künstler annähernd gleich sind die wahren Führer. e) Die Gewöhnlichen, seien sie Fürsten oder Knechte, können Kunst und Führer nicht begreifen. Weg mit ihnen.

Die Story: P., in persönlicher Schaffenskrise (hier findet Pf. zu ehrlichem, depressiv durchsetzten Ton) erhält Befehl, dem Papste eine tolle Messe zu schreiben, damit auf dem Trienter Konzil die herrliche polyphone Tonkunst nicht verboten werde. Immerhin befand man sich gerade im Konkurrenzkampf mit des Wittenbergers einstimmigen Chorälen. P. sagt nein trotz angedrohter Beugehaft. Allein er schreibt sie doch, da es sich gerade so fügt,

daß die „Verstorbenen Meister der Tonkunst“ ihn drängen, die herrliche Tonkunst durch ein polyphones Meisterwerk zu vollenden. Da kann er nicht nein sagen und der Himmel selbst erzwingt die schöpferische Initialzündung mittels Rauschgoldengelschor (eine Meisterleistung des Geniekultes und des tondichterischen Kitsches).

Auf dem Konzile tummeln sich große und aufgeplusterte Herren und kleinliche, machtgeile Spesenritter. Eine Schwatzbude, musikalisch als vom Teufel besessen denunziert, die mit dem Gewehrkolben verjagt gehört. Geschossen wird folgerichtig auch, aber nur auf das niedere Volk. Die Messe hat Erfolg. Der Papst ist hingerissen. Das Volk jubelt. P. indessen schwebt über den Wolken, hat von nichts gewußt, und hat es auch nicht gewollt, und ist jetzt wohl auf dem Wege zu den „Verstorbenen Meistern der Tonkunst“, denn nur das ist er, ein Künstler.

Die musikalische Legende vom Mythos des genialen Schöpfers wäre wohl zu ertragen, wären

nicht Text und Musik verseucht von blindem Haß und arroganter Verachtung für das, was sich außerhalb der Komponistenklause tut. Das „scherzo“ der Oper, der Konzilsakt, platzt förmlich auseinander unter dem Zwang, alles zu denunzieren, was den Anschein kommunikativer Findungsprozesse erweckt. Kein Trost, daß unmittelbarer Gegenstand des Hohngelächters die Katholische Kirche ist, gemeint hat Pfitzner, von Th. Mann 1919 noch zustimmend zur Kenntnis genommen, die Demokratie.

Wenn diese Aufführung unter der Regie des Hausherrn Tobias Richter ein Verdienst hat, dann das, den autoritären Charakter des Werkes ungeschönt, quasi naiv zu Schau zu stellen. Des Komponisten Heim ist gemütlich, die verstorbenen Meister würdevoll gruselig, der Engelschor (sehr effektvoll auf der Empore) mit viel Watte im Haar im strahlendsten Licht. Mihai Zamfir als P. grübelt und schafft leicht deprimiert vor sich hin und das Orchester unter unserem neuen Generalmusikdirektor Viotti gibt

sich meist mit gutem Ergebnis Mühe, diese Vollendung der Tonkunst zu dokumentieren. Und der Kirchenraum ist natürlich ein schöner Ort, die Geheimnisse des künstlerischen Schaffensprozesses auszuplaudern.

Die eigentümlichen akustischen Verhältnisse in der Liebfrauenkirche erlauben dem Zuschauer und -hörer zu wählen, ob er einem Mysterienspiel beiwohnen oder wissen will, was hier gespielt wird. Im Mittelschiff, vor der Bühne, hört man die Sänger klar, doch der filigrane Orchestersatz verschwimmt. Soßig und meist zu leise taucht er das Geschehen ins Dunkel. Im Seitenschiff nahe am Orchester hellt alles auf. Musik und Text (im Schein der Pultlampen gut mitlesbar) treten zur Kenntlichkeit entstellt hervor. Ich ziehe Letzteres vor, kann man dort die große Leistung des Ensembles nachvollziehen und erfahren, daß Pfitzner ein großer Meister der Tonkunst hätte werden können, wäre er nicht der „machtgeschützten Innerlichkeit“ verfallen. Mario Nitsch