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Berti Vogts als sterbender Schwan

■ Fünf Angejahrte ließen sich das Deutsche Gymnastikabzeichen abnehmen / Zwei Funktionärinnen machen sich Gedanken darüber, wie die gute alte Gymnastik attraktiver werden soll: Lambade und Hip-Hop?

Nur fünf begnadete Körper, vier weiblich, einer männlich, aber allesamt um die 50, traten in Tiergarten zur Abnahme des Deutschen Gymnastikabzeichens an. Die Veranstaltung des Berliner Turnerbundes (BTB) in dieser noch jungen Sportart, angekündigt im Trimmkalender des Landessportbundes, leidet unter fundamentalen Fehleinschätzungen.

„Wir gehören nicht zum Trimmen“, beharrt BTB -Frauenturnwartin Erika Schindler, „bei uns steht die Körperbeherrschung im weitesten Sinn im Vordergrund.“

Denn der Schweiß, das Weihwasser der Trimmbewegung, fließt hier keineswegs. „Viele Leute wollen aber gerade schwitzen und nicht nachdenken“, weiß Helga Buchwald, Fachwartin für Gymnastik im BTB. Deshalb gilt Gymnastik dieser domestizierten Art als verkanntes Mauerblümchen. Extrovertierte Naturen zieht es zu Aerobic oder Jazztanz.

So also ringen die schweißperlenlosen fünf mit der vorgegebenen Körperästhetik und einer möglichst akzeptablen Präsentation verschiedener Schrittfolgen.

Nach einer kurzen Auflockerungsrunde zu heißen Rhythmen von Glenn Miller, Little Richard und einer Lambada -Schunkeltruppe greifen sie zum Reifen, der ersten von sechs Disziplinen. Der Swing vom Band weicht trister Klaviermusik, die so richtig zum Muff-Image der deutschen Turnerei paßt.

Erika, die Fitte, macht es ihren PrüflingInnen vor. „Lösen“ oder „Umgreifen“, befiehlt sie mit sanftem Tonfall, aber auch „Schritt“ und „Schwung“. Ihre ElevInnen versuchen, es ihr gleichzutun. Daß es bei diesen Durchschnittsbürgern mit teilweisem Übergewicht manchmal so aussieht, als ob Berti Vogts den sterbenden Schwan tanzt, verübelt ihnen nicht einmal der apathisch beiwohnende Reporter. Allein die Merkfähigkeit für all diese Schrittfolgen und Körperkompositionen nötigen großen Respekt ab.

Nach dem „Reifen“ folgen noch zwei Ballübungen, eine Keulennummer sowie Darbietungen mit und ohne Stab. Am versöhnlichen Ende winkt dann eine Anstecknadel nebst Ehrenurkunde des Deutschen Turnerbundes mit der Unterschrift des hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann, seines Zeichens Präsident der bundesdeutschen Turnerschaft.

Für Erika Schindler jedoch beginnt nun die Denkarbeit. Was kann man verbessern am Erscheinungsbild dieser Sportart, die vom Deutschen Sportbund noch immer nicht so recht ernst genommen wird? „Ein Gesundheitsaspekt oder was Poppiges muß rein, dann sind die Hallen voll“, erkennt sie mit Blick auf die zuckenden Blutsverwanden in den Aerobicstudios.

Wirbelsäulentrainung a la Hip-Hop?

Jürgen Schulz

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