Grüne in der CSSR gründeten Partei

Noch ist alles harmonisch: Grüne Partei erwartet, zur zweitstärksten Kraft des Landes zu werden / Haltung zur Atomkraft ist nicht eindeutig / „Einmischung der westlichen Ökologiebewegung ist erwünscht. Es geht darum, schneller zu sein als das Kapital“  ■  Aus Brünn Walter Oswalt

„Zwei Monate vor dem Beginn der Revolution im September 1989 haben wir mit den Vorbereitungen zur Gründung einer grünen Partei in der Tschechoslowakei begonnen“, berichtete Nikolas Tomin, Sozialphilosoph an der Prager Universität, auf dem Gründungsparteitag der tschechoslowakischen Grünen am Wochenende in Brno. Jetzt, drei Monate nach dem 17. November, haben die Grünen wegen der katastrophalen Umweltschäden des Landes sogar die Chance, nach dem Bürgerforum, das voraussichtlich mit offenen Listen kandidieren wird, zur zweitstärksten Kraft zu werden.

Der Gründungskongreß der Grünen in Brünn bot ein ungewohntes Bild: Keine Redeschlachten zwischen Fundis und Realos, keine spielenden Kinder zwischen den Stühlen, keine bunten Info- und Büchertische. Noch ohne westliches Selbstdarstellungsbedürfnis und gut organisiert wurde fast nüchtern ein neunköpfiger Vorstand gewählt. Eine Hürde bei der Einigung der etwa 400 Delegierten waren die traditionellen Spannungen zwischen dem slowakischen und dem tschechischen Teil der CSSR. „Es gibt keine mährische, keine böhmische und keine slowakische Natur. Es gibt nur eine Natur“, so ein Delegierter. Schließlich einigte man sich dann doch auf eine gemeinsame tschechoslowakische Partei.

Viele Grüne trugen Anzüge, Jugendliche in bunten Pullis gab es fast überhaupt nicht. Die Grünen kommen hier aus allen Altersgruppen. Aber nicht einmal ein Fünftel der Delegierten waren Frauen. Sie beschlossen fast ohne Debatte ein Parteiprogramm, das, wie Jaroslav Chyba von den Grünen aus Brünn bemerkt, „darauf Rücksicht nimmt, daß wir im Unterschied zu den Grünen in Westeuropa kurz davor sind, wahrscheinlich Regierungsverantwortung zu übernehmen“. So steht in dem Parteiprogramm zur Atomenergie: „Das staatliche Programm zum Bau von Atomkraftwerken soll neu formuliert werden im Hinblick auf das Gesamtkonzept zur Erzeugung elektrischer Energie.“ Eine grüne Partei ohne klare Anti-AKW -Position ? Es ist schwer, jemanden zu finden, der im privaten Gespräch die Atomenergie verteidigt. Auch hier ist mancher durch die Angst vor einem zweiten Tschernobyl bei den Grünen aktiv geworden. Öffentlich gibt man sich aber in diesem entscheidenden Punkt unsicher und vorsichtig. Es wird befürchtet, durch kämpferische Anti-AKW-Parolen auf Unverständnis bei der jahrzehntelang desinformierten Bevölkerung zu stoßen. „Der Kampf gegen den Glauben an die stalinistischen Großprojekte muß erst noch gewonnen werden“, meint ein Prager Grüner im Gespräch mit französischen Gästen. Am deutlichsten erkennt die Bevölkerung die Umweltschäden an dem durch Kohlekraftwerke verseuchten Baumbestand. Und in Nordböhmen kommen wegen des hohen Grades an Luftverschmutzung mißgebildete Kinder zur Welt. „Die schlechte Luft riecht man, Radioaktivität ist unsichtbar“, sagt die Journalistin Eva Bombova, die dagegen kämpft, daß die Atom-Lobby unbemerkt von den politischen Akteuren des Umbruchs vollendete Tatsachen für den Bau eines Atomkraftwerkes bei Kosice schafft. Immer wieder enden die Gespräche auf dem Gründungskongreß mit der Feststellung: „Wir brauchen dringend Informationen! Kritische Wissenschaftler aus dem Westen sollen zusammen mit den unabhängigen Instituten, die jetzt in der CSSR entstehen, untersuchen, wie wir ohne Atomenergie auskommen können.“

Greenpeace hat bereits ein neues Büro in Budejotvice eröffnet, und das Öko-Institut aus Wien verteilte auf dem Parteikongreß eine Studie aus der BRD zur Energiesituation in der CSSR. Unmittelbar nach dem Kongreß hat sich eine Arbeitsgruppe von Ökologen aus Österreich und der CSSR gebildet, an der sich auch Ungarn beteiligen wollen.

Ivan Behrend, stellvertretender Generalsekretär der Grünen im Europa-Parlament, sagte über seine Gespräche mit den CSSR -Grünen in Brünn: „Einmischung durch die westliche Ökologiebewegung ist hier erwünscht. Es geht jetzt darum, in der Zusammenarbeit schneller zu sein als das westliche Kapital.“