Schnüffeln auch in Flüchtlingsakten

Schweizer militärischer Abschirmdienst führte sogar eine „Verräter- und Extremistenkartei“  ■  Aus Basel Th. Scheuer

Die Schnüffelstaat-Affäre in der Schweiz wächst sich zu einem handfesten Skandal aus: Am Wochenende tauchten in den Archiven der Berner Bundespolizei weitere, bisher unbekannte, Datensammlungen und Namenslisten auf. Nachdem im vergangenen November eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) das flächendeckende Spitzel und Schnüffelsystem der polizeilichen „Staatsschützer“ aufgedeckt hatte, wurde erst letzte Woche bekannt, daß auch der militärische Abwehrdienst eine eigene „Verräterkartei“ führte (siehe taz vom 6. und 15. Februar).

Am Freitag nachmittag präsentierte Bundespräsident Arnold Koller persönlich in Bern weitere Funde, dieses Mal aus den Archiven der Bundespolizei, „der Dunkelkammer der Nation“ ('Basler Zeitung‘). Dazu gehört ein umfangreiches Dossier über Personen, die im Kriegsfall interniert werden sollten sowie eine „Extremistenkartei“ mit rund 10.000 Karten. Ferner ein Dossier über „vertrauensunwürdige“ Bundesbeamte.

Besonders perfide ist, daß sich der Alpen-Stasi sogar eine Kartei des Roten Kreuzes über Flüchtlingskinder unter den Nagel gerissen hatte: Das Schweizer Rote Kreuz hatte die Pflegekinder-Kartei mit den Daten von mehreren zehntausend Flüchtlingskindern aus der Nachkriegszeit aus Platzmangel im zufällig benachbarten Gebäude des Justiz- und Polizeiministeriums gelagert. Dort war sie insgeheim von der Bundespolizei ausgewertet worden, die sich angeblich Hinweise auf Spione erhoffte. Das Rote Kreuz hat gegen den Mißbrauch protestiert und fordert nun die Überführung der Kartei in das Archiv des Internationalen Komitees (IKRK) in Genf.

Nach den jüngsten Enthüllungen wird es immer wahrscheinlicher, daß demnächst eine zweite PUK den „Archipel BuPo“ ('Die Wochenzeitung‘) erforschen wird. Die erste PUK war letztes Jahr eingesetzt worden, um die Amtsführung der zurückgetretenen Justizministerin Elisabeth Kopp zu durchleuchten.