In Beirut schweigen die Waffen - wieder einmal

Eine politische Lösung des jetzigen Konflikts zwischen dem kriegswütigen Christen-General Aoun und dem Phalange-Chef Geagea ist jedoch nicht in Sicht / Aoun will um jeden Preis die Alleinherrschaft im „Christenland“ und die Akzeptanz einer syrischen Intervention wächst  ■  Von Petra Groll

Berlin (taz) - Seit am Samstag abend General Aoun, Befehlshaber über den christlichen Teil der „regulären libanesischen Armee“ verkündete, seine Truppen würden nicht mehr schießen, herrscht in Ost-Beirut und seinen Vororten Waffenstillstand. Ein knappes Dutzend ähnlicher Abkommen ist in den vergangenen vier Wochen gescheitert, und so verspricht auch diese jüngste Verständigung kein Ende des Blutvergießens. Denn von einem politischen Kompromiß zwischen dem kriegswütigen General und seinem momentanen Widersacher, Dr.Samir Geagea, dem Chef der christlich -maronitischen Phalange-Milizen, wurde nichts bekannt.

Der brutale Krieg in Libanons Christenlager war am 31.Januar ausgebrochen, als General Aoun Stützpunkte der Miliz angriff, um seine Forderung nach militärischer Alleinherrschaft im „Christenland“ und Entwaffnung der Phalange-Miliz durchzusetzen. Zahllose Appelle christlicher Würdenträger, arabischer wie westlicher Politiker, sogar US -amerikanischer und französischer Offizieller, die Angriffe einzustellen, verhallten ungehört. Mehr als 600 Menschen fielen den gnadenlosen Gefechten zum Opfer, die Krankenhäuser im Kampfgebiet zählten um die 2.000 Verletzte. Zehntausende der überwiegend christlichen BewohnerInnen Ost -Beiruts versuchten dem Gemetzel zu entkommen, flüchteten per Schiff nach Zypern oder gar in die von Moslems beherrschten Teile Libanons. Mittlerweile ist auch der gute Ruf des Ostteils der libanesischen Hauptstadt als intakte Oase der (westlichen) Zivilisation hin. Die verbliebenen Menschen leiden nicht nur unter den rücksichtlosen Bombardements, die auch vor Krankenhäusern nicht halt machen. Wasser, Lebensmittel und elektrischer Strom sind Mangelware.

Zwei Ereignisse dürften General Aoun am Samstag zur vorläufigen Einsicht bewogen haben: Einerseits änderte Milizchef Geagea zum ersten Mal seit Ausbruch der Gefechte seine militärische Taktik und ging erfolgreich in die Offensive. Als die Miliz am vergangenen Freitag Gefahr lief, mit dem Verlust zweier strategisch wichtiger Statdtteile die Verbindungswege in die nördlich von Beirut gelegenen Christenregionen zu verlieren, schickte Geagea seine logistisch der Panzerübermacht Aouns hoffnungslos unterlegenen Verbände gegen die Kaserne von Adma, die rund 30 Kilometer östlich von Beirut gelegene Hubschrauberbasis der Armee. Gestern morgen gaben Geageas Phalangemilizen bekannt, sie hätten die Kontrolle über Adma errungen. Das Rote Kreuz konnte 400 Soldaten der Aoun-Truppen aus der Kaserne evakuieren. Diese, dank des Waffenstillstands nicht bis zum bitteren Ende geschlagene Schlacht hätte tragische Verluste bei der Zivilbevölkerung, aber auch auf seiten der militärischen Gegner gefordert.

Doch noch bedrohlicher für General Aoun scheint die Möglichkeit, daß der libanesische Staatspräsident Elias Hrawi den unter seiner Autorität stehenden, hauptsächlich aus moslemischen Soldaten bestehenden, zweiten Teil der „regulären Armee“ nach Ost-Beirut ordert. Sollte Hrawi sich gar unterstehen, die syrische Regierung zu bitten, Schützenhilfe zu leisten, und solcherart gemischte Verbände ins „Christenland“ zu schicken, hätte der jetzige Bruderkrieg zur Folge, was zu vermeiden ein Jahrzehnt lang erklärtes Ziel jeder christlich-maronitischen Politik war: die vollständige Kontrolle des arabischen Syriens über Libanon und über den „Brückenkopf“ christlicher Kultur im sonst moslemischen Orient.

Bislang hatte Hrawi, der in General Aouns Augen eine syrische Marionette ist, ein Eingreifen in den „Christenkrieg“ von der Anerkennung seiner Staatsführung durch Milizchef Geagea abhängig gemacht. Geagea hatte dann in einem spektakulären Appell am Freitag abend die „legalen libanesischen Autoritäten“ aufgerufen, sie mögen eingreifen und dem „Massaker“ ein Ende setzen. Über den milizeigenen Radiosender bat Geagea auch die internationale Gemeinschaft und die arabischen Länder um Hilfe. Präsident Hrawi hat bereits mehrfach mit dem Kabinett über entsprechende mögliche Schritte debattiert. Er bat die Regierungsmitglieder, West-Beirut übers Wochenende auf keinen Fall zu verlassen, damit akut entschieden werden könne. Und um weitere schreckliche Verluste unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden, müsse eine Intervention auch dann in Betracht gezogen werden, wenn Geagea sich nicht zur politischen Anerkennung Hrawis durchringen könne, hieß es dann am Samstag aus West-Beirut.

Den Einmarsch syrischer Truppen ins libanesische Christenland hatten Beobachter bis dato für ziemlich unwahrscheinlich gehalten. So hatten im vergangenen Jahr, als General Aoun über die „grüne“ Demarkationslinie hinweg den Krieg gegen die Westbeiruter Regierung geführt hatte, die strategischen Vorteile der syrischen Armee ausgereicht, mit schwerer Artillerie in günstigen Positionen empfindliche Schläge gegen Ost-Beirut zu landen. Die bei einem Einmarsch kaum vermeidbaren Straßenkämpfe und Guerilla-Aktionen der damals noch vereinten christlichen Kräfte hätten den syrischen Armee-Einheiten erhebliche Verluste beigebracht und vor allem eine auch nur mittelfristige Kontrolle Ost -Beiruts verhindert. Und letztendlich genossen Libanons Maroniten die Verbundenheit der USA und Frankreichs, der alten Kolonialmacht. Vor die Wahl gestellt, sich auf die ein oder andere Seite im Christenkrieg zu schlagen, kehrten in den vergangenen Tagen beide Großmächte dem kriegswütigen General den Rücken und forderten ihn auf, seine Attacken einzustellen. Syrien hätte wohl kaum mit besonders kritischem Echo der internationalen Öffentlichkeit zu rechnen, wenn es also ein weiteres Mal auf den Hilferuf libanesischer Autoritäten hören und seine Truppen zwischen brudermordende Milizen schicken würde. Die Bevölkerung Ost -Beiruts, die bislang große Stücke auf Aouns laute Versprechungen gehalten hat, das Milizwesen mit eisernem Besen anzugehen, hofft jetzt nur eines: ein Ende der erbarmungslosen Zerstörung und Vernichtung.