: Zweite Runde im Nudel-Streit
■ Der schwäbische Spätzlekonzern Birkel verlangt im größten bundesdeutschen Lebensmittel-Schadensersatzprozeß vom Land Baden-Württemberg 43 Millionen Mark
Berlin (taz) - Der Schadensersatzprozeß des Teigwarenherstellers B. Birkel Söhne GmbH, Weinstadt, gegen das Land Baden-Württemberg geht heute in die zweite Runde. Vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht beginnt die Berufungsverhandlung des Landes gegen die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart vom 23.Mai 1989. Damals hatte die 17. Zivilkammer im größten deutschen Schadensersatzprozeß im Lebensmittelbereich - Birkel forderte 43,2 Millionen Mark entschieden, daß Birkel „dem Grunde nach“ Anspruch auf Schadensersatz hat. Als Vergleichsvorschlag wurden acht Millionen Mark genannt.
Der Streit führt zurück in das Jahr 1985. Damals, am 15. August, verbreitete das Stuttgarter Regierungspräsidium eine Pressemitteilung, die besagte, daß bei elf baden -württembergischen Nudelprodukten mikrobakteriell verdorbenes Flüssigei verwendet worden sei. Fünf der beanstandeten Produkte kamen von Birkel. Der Nudelhersteller protestierte, doch es half nichts - der Absatz ging in den Keller.
Proben der Chemischen Untersuchungsanstalt in Hamm hatten einen hohen Milchsäuregehalt ergeben. Deshalb wurde auf die Verwendung von verdorbenem Flüssigei geschlossen. Im Verlauf des darauffolgenden Prozesses konnte Birkel dem Gericht jedoch nachweisen, daß die Firma Trocken- statt Flüssigei für seine Produkte verwendet. Das Eigelb wird beim Trocknen fermativ entzuckert. Um danach den PH-Wert auszugleichen, wird Milchsäure zugeführt, was die vergleichsweise hohen Werte erklärte.
Nach Meinung des Gerichtes hätte sich die Behörde intensiver über die Rezepturen der betroffenen Teigwaren vergewissern müssen. „Es sei unstrittig“, so damals Richter Helmut Kiesl, daß die Ware nicht gesundheitsgefährdend war. Im übrigen sei das Regierungspräsidium Stuttgart überhaupt nicht zuständig gewesen. Die Nudeln seien im Birkel-Werk Schwelm (Nordrhein-Westfalen) hergestellt worden. Im Bereich des Regierungsbezirks Stuttgart seien keine Waren dieser Produktion „in warnungsrelevanter Weise“ vorhanden gewesen.
Die Grünen im Stuttgarter Landtag nannten damals den Vergleichsvorschlag des Gerichts „den Anfang vom Ende der Verbraucher-Information“. Die Grünen befürchteten, daß Behörden, die mit millionenschweren Schadensersatzklagen rechnen müßten, die Entscheidung stets zu Gunsten der ökonomischen Interessen der Hersteller fällen. Allerdings ist bis heute diese Entwicklung nicht eingetreten.
Mittlerweile plant die Birkelfamilie den Verkauf des größten deutschen Teigwarenherstellers (Umsatz 1989: 250 Millionen Mark) an den französischen Nahrungsmittelkonzern BSN und nennt als wichtigen Grund die Umsatzeinbußen durch die Rufschädigung.
Peter Huth
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