„Hager war mein Hauptfeind“

■ Wolfgang Harich antwortet seinem Kritiker. Siehe taz vom 13.1. des Jahres

Michael Klonovsky: Herr Dr. Harich, Sie haben erklärt, Sie fühlen sich durch meinen Artikel P.P.S. zu W. Harich im Morgen vom 6./7. Januar diffamiert. Können Sie sich dazu näher äußern?

Wolfgang Harich: Ich möchte mich entschieden dagegen verwahren, in irgendeinen Zusammenhang mit Kurt Hager und Manfred Buhr gebracht zu werden, wie in Ihrem Artikel geschehen. In mir sehen Sie kein Werkzeug dieser Leute, sondern ein Opfer. Zum anderen entspricht es nicht den Tatsachen, daß ich durch Gutachten Einfluß auf Verlagsprojekte hatte. Ich hatte seit meiner Haftentlassung nie Einfluß auf die Edition von Büchern. Auch hier ist das Gegenteil wahr: Es waren meine Verlagsprojekte, die hierzulande ausnahmslos verhindert wurden.

Nun ist aber Ihr fanatisches Auftreten gegen Nietzsche bekannt und damit verbunden zwei Gutachten von Ihrer Hand gegen Heinz Malornys Nietzsche-Buch und Dr. Rudolphs Neuedition von Tönnies Nietzsche-Kultus.

Ich gebe zu, das ist ein Teil meiner Jagd auf die Nietzsche -Renaissance in der DDR. Aber das waren die einzigen Ausnahmen, geschrieben aus meiner Sorge, daß hier faschistisches Gedankengut hochkommt. Inwieweit sie Einfluß hatten, sei dahingestellt. Hager hatte angeordnet, sich über mein Urteil hinwegzusetzen.

Das heißt, Sie setzen Nietzsche und Faschismus gleich?

Nietzsche ist für mich schlimmer als Hitler, weil dessen Voraussetzung.

Würden Sie den Betriff „Nietzsche-Renaissance“ bitte näher definieren?

Ich wußte, daß man hier auf ein Nietzsche-Kolloqium 1994 zu seinem 150. Geburtstag zusteuerte mitsamt Wiederherstellung der Gedenkstätte in Weimar. Und zwar im Einvernehmen mit Hager. Im real existierenden Sozialismus wurde nämlich tendenziös die ideologische Basis auf immer reaktionärere Denker ausgeweitet, um den Widespruch zwischen selbstgestelltem geistigem Anspruch und Wirklichkeit wenigstens auf diesem Sektor etwas abzufangen...

Meinen Sie nicht, daß das vielmehr ein ganz vernünftiger Korrekturprozeß war?

Nein, weil gleichzeitig der Monolithismus der Partei jegliche Kritik an dieser Entwicklung unterdrückte, denn das hätte ja öffentliche Auseinandersetzung und damit Demokratie bedeutet. Dafür gibt es mehrere Beispiele, etwa die Wiederentdeckung der deutschen Romantik in den Siebzigern, die Luther-Ehrung, die Neubewertung von Friedrich II., Bismarcks, des Expressionismus, des Futurismus. Und dann auch Nietzsche. In einzelnen Fällen wäre dagegen nichts zu sagen, wenn man zugleich die Möglichkeit des Gegensteuerns offengelassen hätte. Aber man hat beispielsweise sämtliche in diesem Zusammenhang von mir vorgeschlagenen gegensteuernden - Verlagsprojekte abgelehnt, etwa das liberale Standardwerk zur Romantik, Rudolf Hayms Die romantische Schule oder Rudolf Augsteins Preußens Friedrich und die Deutschen oder Werner Hegemanns Fridericus, von einigen meiner Bücher ganz zu schweigen. Es müßte aber wenigstens gesagt werden dürfen, daß es auch andere Standpunkte gibt, doch das paßte nicht ins Konzept. Und was den Nietzsche angeht, da hat Hager mit dem Ausliefern des Nietzsche-Nachlasses an die Nietzscheaner Colli und Montinari einen riesigen Fehler gemacht und damit unfreiwillig einen Beitrag zur Refaschisierung dcer deutschsprachigen Kultur geleistet. Darum wurde meine dezidierte Nietzsche-Kritik unterdrückt.

Aber Ihr Artikel in Sinn und Form ist doch erschienen.

Nach welchen Kämpfen! Ich habe deswegen sogar an Honecker geschrieben. 1987 hat Stephan Hermlin im Westen behauptet, es gäbe in der DDR keine unterdrückten Manuskripte. Ich habe ihn mit dieser Äußerung faktisch erpreßt, er solle seinen Einfluß auf Honecker geltend machen und wenigstens mein Nietzsche-Manuskript durchsetzen. Nach dem Erscheinen des Artikels wurden auf dem X. Schriftstellerkongreß die ungeuerlichsten Verleumdungen gegen mich vorgebracht, von Hermlin, Kant und in Sinn und Form (1/88) veröffentlicht. Kant verglich mich mit Pol Pot, Hermling unterstellte mir, ich hätte mich früher schon für das Verbot von Heiner-Müller-Stücken eingesetzt und dergleichen. Diffamierungen. Und ich erhielt nie, bis heute nicht, die Gelegenheit, darauf zu erwidern. Ich stehe da als der Stalinist, ich sitze auf unveröffentlichten Manuskripten und mußte meine Schriften im Ausland drucken lassen.

Sie werden zugeben, daß Sie mit Ihrem inquisitorischen Auftreten gegen Nietzsche einen ziemlich wunden Punkt berührt hatten, nämlich die hiesigen Index-Praktiken...

Meine Meinung zu Nietzsche steht hier nicht zur Debatte, sondern die Frage: Wie geht man um mit Andersdenkenden? Und das ist es, was mir Hager und Konsorten so verhaßt macht die Unterdrückung des Marxismus, die Unterdrückung des frühen und des späten Lukacs, die Nichtveröffentlichung des marxistischen Ökonomen Ernest Mandel, des Historikers Isaak Deutscher, die Vertreibung marxistischer Denker aus der DDR. Und auch die Unterdrückung meiner Bücher und Artikel. Niemand in diesem Land, auch Ulbricht nicht, hat mich so unterdrückt wie Hager. Das ist mein größter Feind - oder ist es zumindest gewesen. Schon 1953 hat er mir wegen meiner Hegel-Interpretation ein Parteiverfahren angehängt, hat mir ständig hineingepfuscht in die Deutsche Zeitschrift für Philosophie.

Seit 1974 ist meine Straftat, wenn sie denn eine war, verjährt, was für mich keinerlei berufliche Konsequenzen hatte, ich durfte, angeblich wegen meiner Invalilidät, keine Vorlesungen mehr halten. Oder aber: Im Juni 1988 wurde die Diskussion über Nietzsches Wirkung auf die Literatur so gelegt, daß ich nicht teilnehmen konnte, eine Einladung zu einer Vortragsreihe nach Paris für die erste Märzhälfte 1989, datiert vom 5. Februar, kommt bei mir am 18. März an, und auf meine Beschwerde hin wird nicht mal dementiert, daß da jemand seine Finger drin hatte... - Können Sie Ihre Behauptung aufrechterhalten, ich sei ein Werkzeug von Hager?!

Der Morgen, 10.2.1990