piwik no script img

ACH, SCHEISSE!

■ oder: From East to West - Morgendliche Odyssee & Trauma

Freitag morgen, 4.05 Uhr. Vom Haus der Jungen Talente zum Alexanderplatz. Ausgestorbene Paradestraßen. S-Bahnhof, zehn Minuten warten. Besoffene Übriggebliebene der Nacht und noch halb schlafende Frühaufsteher. Jannowitzbrücke. Treppen runter, über die Holzmarktstraße zum U-Bahneingang. Verschlossen. Scheiße! Zurück zur S-Bahn. Besoffene Krakeeler (Ost) stimmen ein fröhliches Lied an: “...es steht an jeder Wand, es steht an jeder Ecke: Ausländer verrecke!“ Hört sich an wie eine Variaton von „Deutschland, einig Vaterland“. Mit leichter Übelkeit die Treppen hoch. „Wann macht denn bitte der Übergang auf?“ „Um fünf.“ „O Gott. Aber Friedrichstraße kommt man jetzt rüber, oder?“ „Gloob schon.“ 4.30 Uhr. Wieder rein in die S-Bahn, Richtung Friedrichstraße. „Marx-Engels-Platz. Alle aussteigen, der Zug endet hier. Reisende nach Friedrichstraße benutzen bitte den Schienenersatzverkehr, hinterer Ausgang.“ Scheiße! Treppen runter, immer der Menge nach. Leckt mich doch alle am Arsch! Blick auf die Uhr: 4.45 Uhr. Zurück zur S-Bahn. Nochmal Jannowitzbrücke, Treppen runter, über die Holzmarktstraße, alles wie gehabt. Na bitte: Übergang wird gerade geöffnet. Gähnende Zöllner. „Na, Herr - (schaut auf den Ausweis) - Müller. Wat lesen wa denn da Schönet? Wat Politisches?“ „Jaja, sozialistische Propagandalektüre.“ (Halte ihm meinen Tabori unter die Nase.) Böser Blick, die beiden anderen Zöllner sind plötzlich auch wach. „Zeigen Se mal her! - Na jut, ham wa noch Devisen? - Und Quittung?“ (Hört sich so an, als würde meine U-Bahn kommen.) „Jut, Herr Müller, schönen Morgen noch.“ Ich renne los, vielleicht krieg‘ ich ja noch die verdammte U-Bahn. „Halt! He Sie! Komm‘ Se mal zurück, Paßkontrolle!“ Scheiße, verfluchte! Nun mach‘ doch schneller, Idiot! (Von fern: „Richtung Leinestraße: Zurückbleiben!“) „Okay, Herr Müller. Aber Ordnung muß sein.“ Soll ich ihm jetzt sagen, was ich von seiner Ordnung halte? Mordgelüste. Fünfzehn Minuten warten. Endlich: 5.30 Uhr, U-Bahnhof Boddinstraße. Fast zu Hause. Fast im Bett. Schon wieder vier Besoffene (Ost). „Ej Alter, wo krieg'n wa jezz noch wat zu sauf'n?“ „Ach, Scheiße!“ „Wat? Wat haste jesacht? Ej Alter, bleib ma stehen! Ej! ...Alter!“ Endlich zu Hause. Raus aus den Klamotten, ein paar Spritzer Wasser ins Gesicht, Zähne poliert und ab in die Falle.

Klaus W. Müller

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen