„Wir haben gelernt, den Mund zu halten“

■ Slavenka Drakulic, bekannte Kolumnistin des kroatischen politischen Wochenmagazins „Danas“, hat gelernt, ihn aufzumachen. Die erfolgreiche Journalistin und Schriftstellerin aus Zagreb ist Mitgründerin der ersten feministischen Gruppe in Jugoslawien

taz: Als mir die Bekanntschaft mit einer bekannten jugoslawischen Feministin angeboten wurde, habe ich zuerst gefragt: Feministinnen in Jugoslawien, gibt's da überhaupt welche?

Slavenka Draculic: Das spricht nicht für dich (sie lacht). Natürlich gibt es welche. Alles fing an mit einem internationalen Kongreß vor zehn Jahren in Belgrad. Alice Schwarzer war auch dabei und Frauen aus Italien, Frankreich. Wir waren damals eine Gruppe von Freundinnen, gerade mit dem Studium fertig, Soziologinnen, Philosophinnen, Psychologinnen, frisch verheiratet, schwanger oder schon wieder geschieden. Zum ersten Mal hatten wir die Chance, über Feminismus nicht nur zu lesen, sondern konkrete Erfahrungen aus erster Hand zu hören. Wir kamen auf die Idee, selbst auch eine Gruppe zu gründen. Aber das war einfacher gesagt als getan. Denn wir gerieten gleich in die Schußlinie unseres offiziellen Frauenverbandes, der, wie in allen realsozialistischen Ländern auch, Transmissionsriemen der Kommunistischen Partei ist. Aber diese Angriffe stärkten unseren Widerstand. Wir fingen an, Diskussionsrunden zu organisieren - die waren wirklich stark. Es kamen nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Sie sagten: Was soll denn das heißen, Feminismus in einem sozialistischen Land? Davon haben wir noch nie was gehört. Natürlich nicht, denn wir waren tatsächlich das erste sozialistische Land mit einer Gruppe, die sich offen zum Feminismus bekannte. Wir waren damals acht Frauen, aber wir warenziemlich tapfer (sie lacht). Glücklicherweise bekamen wir eine gute Presse, denn Verleger und Chefredakteure haben ja ein Gefühl für sensationelle Stories. Wir lernten bald, mit den Medien umzugehen und fingen an, selbst zu schreiben.

In welchen Medien?

In offiziellen Zeitungen. Es gab ja keine private, unabhängige Presse. Das hat uns zwar bekannt gemacht, aber wir wurden auch verspottet: Guckt euch die verrückten Weiber an, die sind doch alle aus dem Westen importiert. Wie die aussehen, die sind doch alle geschieden. Die brauchen einen richtigen Mann, um mal ordentlich gebumst zu werden.

Ich war besonders exponiert, weil ich bereits als Journalistin arbeitete und in verschiedenen Zeitungen über alles mögliche schrieb - nicht nur über Feminismus. Ich bekam schrecklichen Briefe, anonym natürlich. Da stand unter anderem drin, daß man mich auf dem größten Platz von Zagreb anketten und totschlagen müßte. Und zwei Jahre lang spuckte jemand regelmäßig morgens vor meine Haustür. Ich hatte eigentlich keine Angst um mich selbst, aber um meine Tochter.

Um als Gruppe offiziell arbeiten zu können, schlossen wir uns der Soziologischen Gesellschaft von Kroatien an. Anfang der 80er Jahre veranstalteten wir dann monatlich in deren Räumen eine Art offenes Forum. Die Themen beschränkten sich aber nicht auf Feminismus, sondern waren in weitem Sinn politisch. Wir luden dazu verschiedene Referenten und Referentinnen ein, und unsere Veranstaltungen waren stadtbekannt und erfüllten politisch eine wichtige Aufgabe.

Habt ihr auch über intellektuelle Kreise hinaus Einfluß?

Du meinst, ob wir in die Fabriken und auf die Dörfer gehen?

Oder zum Beispiel auf die Straße.

Nein, in allen diesen Ländern war es fast unmöglich, auf die Straße zu gehen. Aber wir sind auch nicht auf die Idee gekommen. Denn wir hatten nicht die Kanäle, um massenhaft Frauen zu erreichen. Wir hatten zwar unseren Platz in der Presse, in der Universität, aber wir hatten keine Möglichkeiten, Frauen in den Fabriken oder auf dem Land zu erreichen. Es war also nicht möglich, eine Massenbewegung auf die Beine zu bringen. Inzwischen gibt es im ganzen Land aber mindestens 15 Frauengruppen, die auf verschiedenen Ebenen arbeiten. In Zagreb organisierte eine Gruppe letztes Jahr einen Notruf für Frauen, in Belgrad und in Ljubljana sind sie gerade dabei. Und in Slowenien soll eine Frauenpartei gegründet werden. Die 50-Prozent-Quotenregelung ist eine ihrer Hauptforderungen.

Versuchen die verschiedenen Gruppen zusammenzuarbeiten?

Unser Problem in Jugoslawien ist, daß wir politisch und kulturell entlang nationaler Linien geteilt sind, Männer wie Frauen. Frauen haben in den verschiedenen Landesteilen verschiedene Probleme. Ein für unsere Verhältnisse hoch entwickeltes Slowenien steht einem extrem unterentwickelten Kosovo gegenüber. Dort haben sie die höchste Geburtenrate und die höchste Analphabetenrate unter Frauen in Europa. Es ist also wirklich schwer, zusammenzukommen. Aber wir versuchen den Leuten klarzumachen, daß wir einen Minimalkonsens finden müssen. Wie zum Beispiel in der Frage der Abtreibung, des gleichen Lohns für gleiche Arbeit...

Gibt's da irgendwelche Initiativen für einen solchen Konsens?

Es wird einen feministischen Kongreß in diesem Frühjahr geben, wo diese Frage sicher auf die Tagesordnung kommt. Aber ich finde, daß wir immer noch nicht stark genug landesweit arbeiten und uns die notwendige Einheit fehlt. Wenn nämlich die konservativen Kräfte heute die Abtreibungsfreiheit in Kroatien in Frage stellen, dann werden sie morgen dasselbe in anderen Teilen des Landes tun.

Frauen in sozialistischen Ländern erwarten irgendwie immer, daß alles - Gute oder Schlechte - von oben kommt. Niemals hast du die Macht, selbst etwas zu entscheiden.

Ich hatte kürzlich eine Lesung in der Nähe von Split, in einer sehr konservativen Stadt. Teilnehmerinnen fragten mich dort, ob ich es für notwendig hielte, Unterschriften gegen die Abschaffung des Abtreibungsgesetzes zu sammeln. Natürlich, habe ich gesagt. Wenn wir schon Unterschriften für den Tierschutz sammeln, warum dann nicht auch für Frauen. Dann haben sie mich gefragt: Wie sollen wir uns organisieren? Und ich habe gesagt: Das ist euer Problem, das müßt ihr selbst wissen. Ein spezielles Problem der jugoslawischen Frauen ist, daß sie gelernt haben, ihren Mund zu halten und zufrieden zu sein mit dem, was sie haben oder bekommen.

Wir sind schon mitten in die Abtreibungsfrage geraten, bevor du überhaupt erklärt hast, was diesbezüglich bei euch im Schwange ist. Ich dachte bislang, Abtreibung sei in Jugoslawien legal wie in den meisten sozialistischen Ländern auch.

In Jugoslawien wie in den anderen Ländern, wo der Kommunismus abgeschafft wurde oder hoffentlich abgeschafft wird, gibt es einen großen Aufschwung einer konservativen Opposition. In Kroatien zum Beispiel haben wir eine starke Oppositionspartei, den Kroatischen Demokratischen Bund. Es ist interessant, daß die sechs oder sieben neuen Parteien Frauen in ihrem Programm mit keinem Wort erwähnen. Die konservativste aber tut es: Sie fordert die die Abschaffung des Abtreibungsgesetzes - und zwar mit zwei Begründungen: Erstens die Sorge um die Gesundheit der Frauen; in Jugoslawien werden ca. 300.000 Abtreibungen pro Jahr durchgeführt. Das Verhältnis ist 1:1, das heißt, auf eine Geburt kommt eine Abtreibung.

Glaubst du diesen Statistiken? Das ist doch sicher Propaganda.

Ich glaube, daß die Statistiken in Jugoslawien nicht so gefälscht sind wie in anderen sozialistischen Ländern. Aber das andere Argument, daß fällt, ist typisch nationalistisch. Es lautet: Die kroatische Nation ist vom Aussterben bedroht, wenn nicht jede kroatische Frau mindestens zwei Kinder auf die Welt bringt. Also schrieb ich in meiner Kolumne in 'Danas‘: Bin ich eine Verräterin? - so hieß der Titel. Denn ich habe nur ein Kind. Was soll ich tun? Ich bin 40 Jahre alt. Soll ich nun noch schnell zwei weitere Kinder machen? Das ist doch wirklich lächerlich. Und zum Schluß fragte ich die Chefs von dieser neuen Partei HDC: Wollen Sie eine Menstruationspolizei aufstellen wie Herr Ceausescu? Ich bin aber fest davon überzeugt, daß selbst eine Menstruationspolizei Frauen nicht dazu zwingen kann, Kinder zu bekommen, wenn sie nicht wollen.

Kurz: Die Abtreibungsfrage wird noch zu einem wichtigen politischen Thema werden. Die Nationalisten benutzen Frauen als politische Waffe, als Manövriermasse, wann immer es ihnen paßt. Aber zumindest in Kroatien ist das nicht mehr so einfach. Denn dort hat der Feminismus einen gewissen Einfluß. Und es gibt eine Menge einflußreicherJournalistinnen.

Neben der Abtreibungsfrage, was sind die größten Probleme für die Frauen in Jugoslawien?

Es heißt, wir hätten die höchste Arbeitslosenrate in Europa. Sie liegt zwischen 14 und 17 Prozent. Frauen sind davon natürlich am stärksten betroffen. In Kroatien sind 75 Prozent der Arbeitslosen Frauen, und ein großer Teil davon ist qualifiziert und gebildet. Im Durchschnitt warten sie drei Jahre, bis sie ihren ersten Job kriegen. Hinzu kommt die Einführung der Marktwirtschaft in Jugoslawien. Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, daß viele Fabriken schließen werden. Frauen werden dabei natürlich als erste den Arbeitsplatz verlieren. Aber ich glaube nicht, daß sich die Frauen einfach so zurück ins Haus schicken lassen. Denn die ökonomische Situation ist einfach so, daß du nicht von einem einzigen Einkommen eine ganze Familie ernähren kannst. Frauen müssen also lohnarbeiten. Letztes Jahr hatten wir eine Inflationsrate von 2.500 Prozent. Das ist ein Problem, das das ganze Land zerreißt. Wenn ich also diese Probleme in eine Rangordnung bringen sollte, würde ich sagen: Zuerst kommen die nationalen Probleme, dann folgt die Arbeitslosigkeit und dann kommen die spezifischen Probleme von Frauen.

Treffen der Nationalismus und die gewalttätigen Konflikte Frauen in einer besonderen Weise?

Ich glaube, Frauen und Männer sind in gleicher Weise davon getroffen. Das Schlimme am Nationalismus ist, daß er von den sozialen Problemen ablenken soll. Die nationalen Parteien, die sich an ihre Macht klammern, haben die sozialen Bewegungen, die sogenannten „Bewegungen für Brot“ benutzt. 60 Prozent der Beschäftigten leben am oder unter dem Existenzminimum. Glücklicherweise gibt es diese graue Ökonomie, sodaß wir irgendwie überleben können. Doch diese Massenaufläufe und großen Streiks, die vor zwei, drei Jahren losgingen, wurden pervertiert und politisch in nationalistische Bewegungen hineinmanipuliert. Die Parteien benutzen sie als Waffe. Hoffentlich wendet sie sich eines Tages gegen sie selbst.

In einem Punkt aber sind Frauen vom Nationalismus besonders betroffen, das heißt, er zielt auf ihren Körper. In Serbien, Slowenien und Kroatien will man die Geburtenrate steigern, gleichzeitig aber die in den Familien albanischer Herkunft runterdrücken. Das ist Bevölkerungspolitik. In Tetovo, einer Stadt in Mazedonien, sind 57 Prozent der Bevölkerung AlbanerInnen, die im Vergleich mit den Mazedoniern wesentlich mehr Kinder auf die Welt bringen. Dort gibt es ein Gesetz, das Familien mit mehr als vier Kindern dadurch bestraft, daß für jedes weitere Kind Schulgeld und Arztkosten selbst bezahlt werden müssen. Dieses Gesetz ist völlig verfassungswidrig, aber es wird dennoch angewandt. Die Behörden sagen natürlich, daß es nicht explizit gegen AlbanerInnen gerichtet ist. Aber tatsächlich trifft es nur sie, weil nur sie mehr als vier Kinder haben. Es ist also ein ganz nationalistisches Gesetz.

Du hast vorhin gesagt, daß Frauen in Jugoslawien noch kaum eine Stimme haben. Wie kommt es dann, daß sich etliche Frauen einen Namen im Journalismus machen konnten?

Das trifft zunächst nur auf Zagreb zu. Da gibt es viele einflußreiche politische Journalistinnen. Seit kurzem auch im Fernsehen, in erster Linie aber in unserem Verlag. Ich glaube nicht, daß es Zufall ist, daß in unserer Zeitschrift von 24 Journalisten 12 Frauen sind - und sie sind bekannter als die Männer, und unsere Kollegen sind deswegen in gewisser Weise eifersüchtig. Es hat sicher etwas mit unseren jahrelangen Aktivitäten zu tun. Auf der anderen Seite ist Zagreb eine sehr tolerante, weltläufige, bürgerliche Stadt. Die ganze kulturelle Atmosphäre ist nicht so bedrückend wie in anderen Städten. Darum haben es Frauen leichter gehabt, nach oben zu kommen. Natürlich sind sie auch wirklich gut. Aber sie hatten nicht die gleichen Hindernisse zu überwinden, die sich vor Frauen in anderen Landesteilen aufbauen. Natürlich, wenn du eine dieser Journalistinnen fragst, ob sie Feministin ist, wird sie nein sagen, weil sie immer noch Angst vor dem Begriff hat. Aber aus dem, wie und was sie schreiben und wie sie leben, kannst du wirklich feststellen, daß sie Feministinnen sind.

Du aber hast deinen Ruf als Feministin weg. Meinst du, das schadet dir?

Nein, ich glaube nicht. Ich sage immer, ihr könnt mich nennen, wie ihr wollt. Ich schreibe, was ich schreiben will.

Du bist nicht nur Journalistin, sondern auch Schriftstellerin - eine bekannte obendrein. Du hast bisher zwei Romane geschrieben. Dein zweiter, Marmorhaut, ist vor etwa zwei Monaten erschienen, und die erste Auflage ist bereits verkauft. Wie erklärst du dir deine Popularität?

Das kann ich auch nicht erklären. Das war für mich auch höchst überraschend. Ich mache, so behaupten die Kritiker, Frauenliteratur. Das ist ein neues Genre in Jugoslawien. Es gibt erst ein paar Frauen, die über sogenannte „Frauenthemen“ schreiben, und Frauen lesen diese Literatur und zwar massenhaft. Ich weiß das, weil ich ein großes Feedback von ihnen bekomme. Und das ist ja auch kein Wunder, weil ich eben über Erfahrungen von Frauen schreibe.

Marmorhaut handelt von der Beziehung zwischen einer Mutter und ihrer Tochter. Wenn ich mir selbst schmeicheln wollte, würde ich sagen: Ich habe eben den Nerv der Leserinnen getroffen. Dann gibt es noch das Gerücht, Mamorhaut sei pornographisch. Das stimmt natürlich nicht. Es geht darin aber um Sexualität, und das ist natürlich ein großes Tabu in unserer Gesellschaft. Männer haben bisher auf dieses Buch kaum reagiert. Es kommt zwar darin auch ein Stiefvater als Vergewaltiger vor, aber der steht nicht im Mittelpunkt der Erzählung. In meinem Roman wird das patriarchale Bild der Mutter als Heilige entmystifiziert. Meine Mutter ist ein Mittelding zwischen Heiliger und Hure. Das verwirrt die Leute ein bißchen (sie lacht).

Mit Slavenka Draculic unterhielt sich angeregt Ulrike Helwerth