Bonn verweigert Polen sichere Grenzen

■ Die Bundesregierung vertröstet Polen / Erst nach der Wiedervereinigung soll es einen Vertrag über die Oder-Neiße-Grenze geben

Bonn/Warschau (taz/ap) - Die Bundesregierung stellt sich weiterhin stur, wenn es um die Sorge der Polen geht, ihre Westgrenze könnte nach der deutschen Vereinigung wieder in Frage gestellt werden. Regierungssprecher Dieter Vogel lehnte gestern den jüngsten Vorschlag des polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki ab, nach den Wahlen in der DDR sollten beide deutsche Staaten mit seinem Land einen Friedensvertrag schließen und darin die Oder-Neiße -Grenze anerkennen.

Die Bundesregierung besteht darauf, eine solche Anerkennung könne erst ein „gesamtdeutscher Souverän“ aussprechen. Und Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth ließ Berichte dementieren, wonach sie in ständigem Kontakt mit DDR -Politikern stehe, um kurzfristig den Text einer Garantieerklärung beider deutscher Parlamente abstimmen zu können.

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher dagegen unterstützt, wie das Londoner Außenministerium mitteilte, die Position der polnischen Regierung, hinter die sich gestern auch die polnische Abgeordnetenkammer Sejm mit einer Erklärung stellte. Thatcher hatte am Mittwoch in einem Interview erklärt: „Wir befinden uns in enger Konsultation mit Polen, das mit Recht darauf beharrt, einen richtigen Vertrag, einen richtigen Friedensvertrag zur Garantie seiner Grenzen zu haben.“ Es werde sich herausstellen, daß auch andere Nachbarstaaten Deutschlands, etwa Belgien und die Niederlande, an einem solchen Vertrag interessiert seien. Vor der internationalen Presse hatte Mazowiecki am Mittwoch seine Forderung begründet: „Wir brauchen Klarheit vor der Wiedervereinigung.“ Er melde sich zu Wort, „weil es in dieser neuen historischen Phase, in die die deutsche Wiedervereinigung fällt, in der Sache unserer Grenzen keine Zweideutigkeiten geben darf.“ Mazowiecki sprach nur von „potentiellen Gefahren“, die durch solche Zweideutigkeiten entstünden. „Wir sind uns bewußt, daß wir es in Deutschland mit einer neuen Generation zu tun haben. Aber das Entstehen einer Partei wie der Republikaner oder jüngste nationalistische Auftritte in Leipzig können uns auch nicht gleichgültig sein.“

Mazowiecki spielte auch auf Bundeskanzler Kohls Weigerung bei dessen Polenbesuch im November an, die Bundestagsresolution zur polnischen Westgrenze zu übernehmen - ohne allerdings den Kanzler namentlich zu erwähnen: „Es ist eine Sache, wenn jemand sagt, er spreche nur für die Bundesrepublik und anerkenne als deren Vertreter unsere Westgrenze und werde dies auch in der Zukunft vertreten. Es klingt aber ganz anders, wenn man erklärt, man spreche nur für die Bundesrepublik und was die Zukunft bringe, sei offen.“ Polen könne nicht zulassen, daß jemand in der Zukunft behaupten könne, die Verträge von Zgorzelec und Warschau seien mit Staaten geschlossen worden, die nicht mehr bestünden, und es müsse neu verhandelt werden. Mit Polen werde es über seine Grenzen keine Verhandlungen geben.

Der Bonner Regierungssprecher reagierte gestern ebenfalls auf Mazowieckis Forderung, Polen müsse an den Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten beteiligt werden. Zunächst würden, so Dieter Vogel, die beiden deutschen Regierungen über die internen Aspekte sprechen und dann gemeinsam mit den vier Großmächten über die äußeren und internationalen Aspekte. Der Weg werde nur im Einvernehmen mit den europäischen Nachbarn beschritten. Dazu gehörten „selbstverständlich auch vertrauensvolle Gespräche und Konsultationen mit der polnischen Regierung“, sagte Vogel. Mazowiecki hatte erklärt, er stelle sich vor, daß „die Verhandlungen in der ersten Phase nur Fragen der Sicherheit in Europa betreffen und daß wir nur dabei anwesend sein werden“. In dieser Sache habe er bereits vier Briefe an die Regierungschefs der Siegermächte gerichtet. US-Außenminister Baker verteidigte allerdings gestern noch einmal die geplante Sechserrunde. Auf die Frage eines Journalisten erklärte Mazowiecki auch, Polen sei gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen überhaupt, „besonders auch an die Deutschen“. Indirekt sprach sich Mazowiecki dafür aus, daß die Grenze zwischen Nato und Warschauer Pakt weiter an der Elbe verläuft und sowjetische Truppen in der DDR stationiert bleiben.

Klaus Bachmann/mr