Kirche will Pastor feuern

■ Kirchenaufstand bei Diepholz: Gemeinde will ihren bereits strafversetzten Pastor behalten

Die evangelisch-lutherische Kirche Hannovers ist ziemlich nachtragend, wenn einer der ihren mit einem anderen der ihren onaniert. Diesen Frevel leistete sich der Hilfspfarrer von St.Hülfe-Heedewetschen, Martin Engelhardt, anno domini 1984, und heute soll er dafür büßen. Mitte Januar flatterte dem 37-jährigen eine Kündigung zum ersten April 1990 auf den Tisch. Dabei bedient sich das Landeskirchenamt höchst fadenscheiniger Begründungen, über die sich fast die ganze Gemeinde von St.-Hülfe Heedewetschen bei Diepholz empört. So auch Gemeindemitglied Dankenbrink: „Dem Herrn Engelhardt wurde gesagt, er könne nicht mit Menschen umgehen. Dabei ist er für jeden dagewesen. Seitdem er da ist, ist die Kirche wieder voll. Die Zahl der Jugendlichen, die zum Gottesdienst kommen, hat sich um mindestens hundert Prozent gesteigert.“

In dem Kündigungsschreiben wurde Engelhardt außerdem vorgeworfen, er habe sich bei einer Brautpredigt im Ton vergriffen und zu einer Predigt eine Klotür mitgebracht. Die Kirchenleute interessiert es dabei herzlich wenig, daß das Brautpaar die Predigt o.k. fand und die Klotür der Illustration einer christlichen Botschaft diente.

Die Kündigung ist nicht der erste Versuch des Landeskirchenamtes, den ungeliebten Pastor loszuwerden. Der ist seinen Vorgesetzten seit 1984 ein Dorn im Auge. Da war er mit einem Kirchenorganisten im Urlaub. Nach einem starken Zechgelage kam es zu einem sexuellen Kontakt. Der Organist sprach später von Vergewaltigung, Martin Engelhardt davon, daß die beiden bei einer „einmaligen Verfehlung“ sich gegenseitig „beim Onanieren ge

holfen“ hätten. Die evangelisch-lutherische Kirche Hannovers entließ Engelhardt daraufhin. Der erhob Einspruch und bekam vom obersten Kirchengericht Deutschlands, mit Sitz Hannover, Recht. Der ganze Kirchenrechtsstreit dauerte bis zum Mai 1988. Dann bekam der bis dahin suspendierte Engelhardt die Hilfspfarrerstelle in St. Hülfe-Heedewetschen. Und jetzt stand die Übernahme auf Lebenszeit an.

Der Kündigung vom Januar folgte am 25.1. ein zweiter Schlag: Das Landeskirchenamt versetzte Engelhardt nach Hesepe-Riefe bei Bramsche. Offensichtlich hofften die Kirchoberen, einen Protest der Gemeinde zu verhindern. Da kannten sie ihre Schäfchen allerdings schlecht. Die boykottierten den

Gottesdienst in St.Hülfede, charterten drei Busse und fuhren nach Hesepe-Riefe und lauschten dort der Predigt ihres Pastors. Damit aber nicht genug: Sie traten Landessuperintendenten Dr. Gottfried Sprondel und Oberlandeskirchenrat Hans-Joachim Brauer so lange auf die Füßen, bis diese sich bereit erklärten, der Gemeinde zu erklären, was sie gegen Engelhardt haben. Am 19.2. konnten über 500 Gemeindemitglieder bei einer Veranstaltung in einem Hotel die „Arroganz“ der oberen Kirchenmänner bestaunen. Engelhardt-Sympathisant Dankenbrink: „Ein Gemeindemitglied forderte von denen mehr Menschlichkeit und fügte hinzu, daß man sich so nicht wundern braucht, wenn immer mehr Leute die Kirche verlassen. Daraufhin sagte Rauer:‘ Wer meint, daß er

gehen muß, soll ruhig gehen ‘.“

Der Landessuperintendent Dr. Gottfried Sprondel über diesen Abend:“ Das waren die 2 1/2 unangenehmsten Stunden meiner gesamten Amtszeit.“ Über die Kündigung wollte er sich gegenüber der taz nicht äußern: „Das Landeskirchenamt hat beschlossen, über Personalsachen nicht öffentlich zu sprechen. Was wir den Gemeindemitgliedern nicht direkt mitteilen, wollen wir auch nicht über die Presse verbreiten.“

Einen Aufstand gibt es in der Kirchengemeinde St.Hülfe jetzt auch gegen den eigenen Kirchenvorstand. Dankenbrink: „Der stellt sich gegen Gemeinde und Pastor. Aber wir haben schon einen Gemeindebeirat gewählt, der dem leider nicht abwählbaren Vorstand auf die Finger klopft.“ David Safier