: Eine Festivalchronik von unten
■ Der vorläufig endgültige Beitrag über die Berlinale
Die taz-LeserInnen haben mehr (Berlin) oder weniger (deutsche Westgebiete) ihr Fett abbekommen vom Großereignis der Filmbranche, den Berliner Filmfestspielen. Interessierte mögen sich auch den einen oder anderen Fernsehbeitrag über den Zelluloidmarathon angesehen haben. Die Blickrichtung der Kamera auf der Leinwand vor Augen, verschwendete wohl kaum ein Festivalteilnehmer einen Gedanken an die Tatsache, selbst häufig im Blickfeld der elektronischen Kameras irgendeines der zahlreich vertretenen Fernsehteams zu stehen. Was mag wohl von all diesem Rummel und Getummel auf die Bildschirme der Daheimgebliebenen gelangt sein? Von der tatsächlichen Festivalatmosphäre vermutlich sehr wenig, denn „das Fernsehen“ ist ein zumeist bevorzugtes Medium.
Während beispielsweise vor den Pressekonferenzen die Fotografen vorn um die besten Plätze rangelten, den Stars ihre Anweisungen zuriefen, standen die TV-Kameras hoch erhoben auf einem Podest im Hintergrund, die Kameraleute suchten in Ruhe ihre Bilder und hoben damit den Zuschauer daheim in die bestmögliche Position.
Welchen Eindruck vermittelt eigentlich die Aspekte -Redaktion vom Festivalalltag, wenn sie sich strategisch günstig dem Wettbewerbskino Zoo-Palast gegenüber im ersten Stock einer Gebäudenase einrichtet, auf der auch noch Platz ist für drei monströse Scheinwerfer, die den Vorplatz des Kinos und den Breitscheidplatz in ein gespenstisch neonblaues, gleißendes Licht tauchen.
Die aufgenommenen Bilder zeigen zwangläufig eine Perspektive, die derjenigen der FestivalteilnehmerInnen nie entspricht. InterviewpartnerInnen vor der malerischen Kulisse der nächtens von innen leuchtenden Gedächtniskirche sind purer Kitsch, ein Fremdenverkehrs-Werbeimago. Denn ganz nebenbei - die Neubauten rund um den Kirchenstumpf sind Berlins architektonisch interessantestes Freiluftklo. Und so riechen sie auch.
Michael More, der Regisseur des enthusiastisch gefeierten Forums-Beitrages Roger and Me, und seine BegleiterInnen trugen ständig eine kleine Videokamera mit sich und filmten wild drauflos. Das Ergebnis würde ich mir gern einmal anschauen, denn mit einiger Sicherheit vermittelt es ein subjektiveres Puzzle aus Berlinalebildern als die distanzierten und bereinigenden Fernsehaufnahmen.
In meinem persönlichen Festivalfilmbericht hätten die Anbieter von Cheap und Junk Food ihren Platz, bei denen sich jene Filmfans verköstigen, die nie eine Einladung zu einem dieser geheimnisvollen Empfänge erhalten würden. Die Toilettenfrau und ihr Mann im Delphi dürften auf keinen Fall fehlen, und auch nicht die in der schlechten Luft des Cine Centers beinah Kollabierenden.
Die schnippischen Bemerkungender hochnäsiger Arroganzija hinter den Kartenausgabeschaltern würde man vermutlich nur mit versteckter Kamera aufs Band bekommen. Daß dem Eilenden stets die fußlahmsten Kreaturen des Festivals in den Weg treten, wäre auch nicht ganz einfach festzuhalten; leichter schon die stets an den engsten Stellen sich versammelnden Debattierclubs. Einen Wolf Donner, der freudestrahlend durch die Gänge schlendert und jeden Entgegenkommenden überschwenglich begrüßt, nur um anschließend seine Begleitung zu fragen, wer das denn nun wieder gewesen sei, würden die ZuschauerInnen vermutlich für eine klischierte Inszenierung halten. Ein Weichzeichner vor dem Objektiv entspräche dem diffusen Schleier, der im Laufe der Zeit den Blick zu trüben beginnt; der über Hemd und Hose vergossene Orangensaft sowie der gelöschte Labtop-Speicher der Kollegin vom 'Volksblatt‘ und andere Ereignisse von mikroskopisch geringer Bedeutung für die Weltgeschichte wären wunderbare Einschübe zur Auflockerung des Geschehens.
Die barschen Versuche der Amazone in der Akademie der Künste, das unfolgsame Publikum in den Griff zu bekommen, gehörten ebenso in die Fesitvalchronik wie das Zusammenzucken einige JournalistenkollegInnen, wenn sie sich erschreckt beim Amüsement ertappen. Schließlich gehen wir ins Kino, um Gesellschaftsanalysen und Denkschwerstarbeit zu verfolgen, und nicht etwa, um uns unterhalten zu lassen oder? (...allein mir fehlt der Glaube, d. s-in).
Harald Keller
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