Dubcek: Das Parlament muß im Zentrum stehen

■ Alle Opfer der Willkürherrschaft seit 1948 sollen rehabilitiert werden / Havel sieht Beziehungen zwischen der CSSR und der UdSSR auf einer neuen Grundlage / Treffen mit sowjetischen Demokraten / Der Truppenabzug hat begonnen / Trister Abschied für die Sowjetsoldaten

Prag (ctk(zum ersten Mal!)/taz) - In Prag ist am Dienstag des tschechoslowakische Parlament zusammengetreten, um bis Mitte März 20 grundlegende Gesetze zu den Bürgerfreiheiten und zur Durchsetzung der Marktwirtschaft anzunehmen. In einer programmatischen Eröffnungsrede forderte Parlamentspräsident Dubcek, daß das Parlament nie wieder Schauplatz der Machinationen nur einer politischen Kraft sein dürfe. Es müße künftig zur wichtigsten Institution der neuen Demokratie werden.

Dubcek erinnerte an den siebzigsten Jahrestag der ersten tschechoslowakischen Verfassung, nach der die einzige demokratische Republik Ostmitteleuropas in der Zwischenkriegszeit funktionierte. Alle Opfer der Willkürherrschaft seit 1948 müßten rehabilitiert werden, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. In diesem Zusammenhang griff Dubcek den Vorschlag des Parlamentspräsidenten von 1968, Josef Smrkovsky, auf, den Fallschirmspringern ein Denkmal zu setzen, die 1942 einer Weisung der Londoner Exilregierung folgend auf den SS-Führer Heydrich ein Attentat verübten. Diese Ehrung wäre zugleich eine Rehabilitierung des bürgerlichen antifaschistischen Widerstandes und des Londoner Exil-Präsidenten Benesch, der später durch den kommunistischen Putsch von 1948 entmachtet worden ist. Beneschs National-Sozialistische Partei wurde nach 1948 zum Satelliten der KP und ging unter dem Namen Sozialistische Partei November 1989 auf die Seite der Demokratiebewegung über. Der Besuch des tschechoslowakischen Präsidenten Havel bei Gorbatschow ist mit der Unterzeichnung einer Deklaration über Gleichberechtigung und gegenseitige Achtung der Souveränität abgeschlossen worden. Gleichzeitig wurde von den Außenministern beider Staaten das Truppenrückzugsabkommen unterzeichnet. Havel meinte, die Deklaration stelle die Beziehungen der CSSR zur SU auf eine neue Grundlage, sprach sich aber dagegen aus, das Beistandsabkommen mit der UdSSR zu verlängern.

Mit Hilfe eines Systems von Beistandsabkommen war in der Breschnew-Zeit die militärische Unterordnung der ostmitteleuropäischen Staaten unter die UdSSR sanktioniert worden. Havel meinte, in der deutschen Frage lägen die Auffassungen der Sowjetunion und der CSSR sehr nahe beieinander. Er glaube, „daß der Prozeß der Vereinigung die europäischen Beziehungen nicht hemmen, sondern im Gegenteil als Lokomotive die europäische Entwicklung beschleunigen wird“. Der tschechoslowakische Präsident hatte während seines Aufenthalts mit Vertretern der radikaldemokratischen interregionalen Gruppe im Obersten Sowjet und der litauischen Sajudis gesprochen.

Der sowjetische Truppenabzug hatte am Montag in Frenstadt in Nordmähren begonnen. Nur wenige Menschen waren gekommen, um den heimfahrenden Sowjetsoldaten Lebewohl zu sagen. Bei einer kurzen Abschiedsfeier in der Kaserne spielte eine Kapelle die Internationale - niemand sang mit. Die Zahl der Journalisten überstieg die der Einheimischen. Ein Sprecher des Bürgerforums, Karel Micek, sagte: „Das Hauptproblem der sowjetischen Truppen war, daß sie überhaupt hier waren. Für uns bedeuteten sie leere Regale in den Geschäften, verdrecktes Wasser, gelegentlich eine Wirthausrauferei und die Erinnerung daran, daß wir kein freies Land waren.“

cs